Kommentar Umfragen gehen nicht zur Wahl

  • von Hans Peter Schütz
Erst am Wahltag zeigt sich der wahre Wählerwille - Umfragen sind nur Momentaufnahmen
Erst am Wahltag zeigt sich der wahre Wählerwille - Umfragen sind nur Momentaufnahmen
© Colourbox
Es ist ein niederschmetternder Wert für Kurt Beck: Nur jeder zehnte Bürger in Deutschland will den SPD-Chef als Bundeskanzler sehen. Aber was sind schon Umfragen? Die politische Gesamtform ist viel wichtiger - und hier steht es um die CDU nicht deutlich besser.

In kommenden Büchern zur Zeitgeschichte dürfte er kaum stehen, allenfalls als Fußnote. Gäbe es ein Guiness-Rekordbuch der Politik, Kurt Beck stünde darin ganz oben. Als der Mann, der den Bürgern als der am wenigsten kanzlerfähige SPD-Politiker erschien. Zehn Prozent, so fand Forsa heraus, würden sich für ihn als Kanzler entscheiden. Selbst 84 Prozent der SPD-Wähler halten den SPD-Vorsitzenden nicht für kanzlerfähig. Es könnte also auf CDU-Seite schadenfroh gejubelt werden. Zumal Angela Merkel weiterhin wie seit Monaten stabil bei 60 Prozent Kanzlerfähigkeit rangiert.

Die Walz aus der Pfalz

Ist dieser Beck ein Mensch mit total gestörter Wahrnehmung, wenn er die SPD dennoch wieder "deutlich über Wasser" ortet, ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Bundestagswahl prophezeit und der SPD dabei ein Ergebnis "um die 40 Prozent" zutraut? Überhaupt nicht. Die Demoskopie misst Tagesstimmungen. Im Fall Beck lag sie mit ihren Trendprognosen schon einmal arg neben dem Endergebnis: Anderthalb Jahre vor der letzten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz stufte sie ihn bei 33 Prozent ein, die CDU bei 49. Am Wahltag holte Beck die absolute Mehrheit.

Erinnert werden muss auch an den CDU-Kanzler Helmut Kohl. Während seiner Amtszeit lag er meist tief unter den Werten seiner Partei. 1976 stolperte er als Walz aus der Pfalz ungelenk durch die politische Szene Bonns - und holte dann mit 48,6 Prozent das zweitbeste Unionsergebnis aller Zeiten. Ein Ergebnis, von dem die allseits geschätzte Kanzlerin Angela Merkel nur träumen kann. Um die 35 Prozent pendelt die Union derzeit bei der Frage, wer sie wählen würde. Das ist dürftig genug. Geradezu verheerend wirkt, dass ihr gerade mal 23 Prozent der Bundesbürger zutrauen, die Probleme der Republik lösen zu können. Dazu passt, dass der Merkel-Stellvertreter Christian Wulff laut ins Land ruft, die Union brauche mehr Kampfgeist und mehr Mut. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz wirft Merkel vor, sie vertreibe langjährige Stammwähler der Union. Und in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft nistet inzwischen tiefe Enttäuschung über den lauen Kurs der Dame, die sich dort einmal als Reformerin angedient hat.

Was man wählt, das weiß man nicht

Wichtiger als die Momentaufnahmen der Demoskopie ist aber die Frage, wie fit denn die beiden Volksparteien in ihrer personellen wie programmatischen Gesamtform sind. Da präsentiert sich die SPD in der Tat als arg zerstrittener Haufen, mit eher mittelmäßigem Personalangebot an der Spitze und mit einem programmatischen Durcheinander, bei dem derzeit keiner weiß, was er wählen würde, wenn er die SPD wählte. Sie braucht eine Agenda 2020.

Die Union allerdings befindet sich ebenfalls auf einem Kurs, bei dem niemand weiß, wohin er im Kern führen soll. Wirkliche Richtungsbestimmung ist Merkels Sache gewiss nicht. Sie moderiert ein bisschen herum, setzt hier mal ein Akzentchen, dort mal eines. Eine mutige Kursbestimmung, mit der sie sich 2005 an die Macht - ja, man muss das sagen - gemogelt hat, ist nicht zu erkennen. Machtbehauptung ist das einzig erkennbare Ziel ihrer Politik. Wie sie damit die erkennbar schwieriger werdenden wirtschaftlichen Probleme bewältigen will, ist nicht zu sehen. Ebenso wenig sind klare Antworten auf die dramatischen Veränderungen unserer Gesellschaft zu hören. Die soeben vollzogene außergewöhnliche Erhöhung der Renten um ein paar Eurolein ist typisch für diese Politik kurzfristiger Taktiererei.

Ob Beck bei zehn Prozent liegt, oder Merkel bei 60 ist vor allem einem ganz bestimmt wachsenden Publikum völlig egal: den Nichtwählern.

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