Alte Männer sind nichts Neues: 1980 kämpften mit Franz-Josef Strauß (65) und Helmut Schmidt (61) gerecht verteilte 126 Jahre um die Kanzlerschaft. Helmut Kohl versuchte 1998, mit 68 Jahren an der Macht zu bleiben, ganz zu schweigen von Konrad Adenauer, der anno 1961 mit 85 Jahren nochmal in den Ring stieg.
Die erste Reihe der Republik 2009 ist dagegen geradezu jugendlich: Die Kanzlerin steht mit 55 Jahren in der Blüte ihrer Macht, ihr designierter Außenminister ist 47 und kämpft mit dem Image eines chronisch 27-jährigen. Unter der silbergrauen Mähne des Oppositionsführers Frank-Walter Steinmeier steckt ein 53-jähriger Kopf, der im "richtigen" Leben - je nach sozialdemokratischer Stimmungslage - noch 12 beziehungsweise 14 Jahre auf die Rente warten müsste.
Koalitionsverhandlungen: Alte Männer für die FDP
Die Gerontokratie, also Herrschaft der Alten, zeigt sich heute subtiler als zu Zeiten der Hornbrillen und Brillantine-Frisuren: Ausgerechnet Westerwelles jungdynamische FDP nominierte jüngst Rainer Brüderle (64) und Hermann Otto Solms (69) für die Koalitionsverhandlungen mit der CDU. "Youngster" wie Otto Fricke (43) und Daniel Bahr (32) sind nur in den Fach-Arbeitsgruppen vertreten. Philipp Rösler (36), derzeit niedersächsischer Wirtschaftsminister, darf zwar am Hauptverhandlungstisch mittun, ein Ministeramt für ihn ist derzeit aber unwahrscheinlich. Unter den FDP-Ministern der künftigen Regierung könnte damit allein Guido Westerwelle jünger als 50 sein. Bei einer derart nachwuchsstarken Partei wie der FDP grenzt das an Verrat.
Dabei steht überhaupt nicht in Frage, dass die Alten den Job ebenso gut wie oder gar besser machen als die Jungen. Nur: Sie halten sie auf - und mit ihnen den Wandel parteiinterner Strukturen. Zu lange hielt die SPD am Urtyp aller aktiven Gerontokraten fest, dem Sauerländer Franz Müntefering (69). Die Folge: Keine Führungspersönlichkeiten wuchsen nach, man speiste sich bis zuletzt, siehe Frank-Walter Steinmeier, aus der "Generation Gerhard". Die SPD 2009 wirkt damit wie die CDU 1998: abgewirtschaftet, überholt, irgendwie planlos und auf Jahre abgeschrieben. Spätestens seit der Bundestagswahl steht sie da wie eine Fußballmannschaft, die während der laufenden Saison ihren "Handlungsbedarf" erkennt und hektisch ihren Kader umbaut. Dass bisherige Talente und Ergänzungsspieler (Nahles, Gabriel) von Mitspielern und Zuschauern nicht gleich als Spielmacher akzeptiert werden, ist nur folgerichtig und sollte Warnung für andere Parteien sein, allen voran die Grünen.
Grünen-Spitze: Biologisch jung, politisch verbraucht
Doch die erweisen sich als belehrungsresistent: Zwar ist die zukünftige Fraktionsführung mit Renate Künast (53) und Jürgen Trittin (55) biologisch gesehen noch durchaus frisch - politisch steht sie aber genau für jene Fixierung auf eine Generation von Alpha-Tieren, die der SPD gerade um die Ohren fliegt. Hochtalentierte Politiker wie Alex Bonde (34), Sven Giegold (40) und Gerhard Schick (37) sitzen im Bundestag in der zweiten Reihe. Cem Özdemir (43) ist nicht einmal dort angekommen und damit auch als Parteivorsitzender schwer beschädigt. Özdemirs Nachfolger in der Hoffnungsträgerrolle, Tarek Al-Wazir (38), versauert in Hessen in der Opposition.
Eins muss bei alledem klar sein: Biologisches Alter ist kein Maßstab für einen Politiker. Oskar Lafontaine (66) ist, gemessen an seinen Amtsjahren, als Vorsitzender der Linkspartei, durchaus jung und noch lange nicht erledigt. Aber politisches Alter, die Verbrauchtheit einer Person innerhalb einer Struktur, sollte generell eine Größe in der Personalplanung der Parteien werden. Die müssten inzwischen - aus den leidvollen Erfahrungen der CDU nach Kohl und der SPD nach Schröder - wissen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sein Personal "zur Zeit" zu wechseln und nicht zur Unzeit, also nach verlorenen Wahlen.
In dubio pro juvenes
Personalentscheidungen müssen daher "in dubio pro juvenes", im Zweifel für die Jugend, fallen. Warum entwickeln Parteien nicht die Intelligenz, im richtigen Moment den vielen Alten rechtzeitig ein paar Junge zur Seite zu stellen? Warum lernt die FDP nicht aus dem Guttenberg-Effekt und drängt die Union ihrerseits mit jungem Personal in die Defensive? Warum schaffen die Grünen nicht durch die Nominierung eines jungen Fraktionsvorsitzes Grundlagen für die Wahl 2013? Schließlich: Warum hält die CDU - zumindest bisher - weiter an der hochkontroversen Figur Wolfgang Schäuble (67) fest, die ihr schon so viele Sympathien gerade bei jungen Wählern gekostet hat?
So lange taktisch intelligentes Verhalten einer Partei vom politischen Besitzstandswahrertum ihrer Spitzen verhindert wird, werden sich Fehler der politischen Personalplanung bis in Ewigkeit fortsetzen. Wie sich Sigmar Gabriel (50), dem laut einer Forsa-Umfrage für den Stern nur 32 Prozent der Deutschen die Rettung der SPD zutrauen, aus totaler Defensive heraus schlägt, dürfte, selbst wenn er Erfolg hat, Anschauungsmaterial aus der Reihe "Situationen, zu denen man es besser gar nicht erst hätte kommen lassen!" bieten. Und das nicht nur für die SPD.