Müntefering präsentiert Buch Linksdrall im Wirtschaftsteil

2004 türmten sich die Bücher, die freie Marktwirtschaft predigten, jetzt türmen sich die Bücher, die den Turbokapitalismus verdammen. Das jüngste hat SZ-Redakteur Ulrich Schäfer geschrieben. Die Laudatio hielt SPD-Chef Franz Müntefering. Oskar Lafontaine hätte es sicher auch gern getan.

Die zentralen Begriffe fühlen sich an wie ein mächtiges Gewitter. Krise, Krise, Krise. "Wir fahren auf Sicht", sagt SPD-Chef Franz Müntefering. Soll heißen: Die Politik reagiert vorsichtig, taktierend, immer die aktuelle Situation abwägend. Ein Navigationsgerät, das den Weg durch Rezession auf eine Karte zeichnet und die richtigen Manöver mit warmer Stimme ansagt, existiert leider nicht. Müntefering weiß nur, wie das Ziel aussehen soll. Er beschreibt einen Sozialstaat, in dem der Kapitalismus gezähmt ist. Eine Wirtschaftselite, die für ihr eigenes Handeln einen Ehrenkodex entwickelt hat. Einen TÜV für Finanzprodukte, der das Zocken mit hochkomplexen Papieren beendet.

Müntefering spricht über "DER CRASH", so steht es auf dem Buchcover, das am Rednerpult klemmt, große schwarze Buchstaben auf orangefarbenem Hintergrund. Die Aufmachung signalisiert Gefahr, sie soll beunruhigen, zumindest Aufmerksamkeit erregen. Erst auf den zweiten Blick ist der ganze Titel zu erkennen: "Der Crash des Kapitalismus. Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte."

Von den Linken gelernt

Geschrieben hat das Buch Ulrich Schäfer, 41, ehemals beim "Spiegel", jetzt Ressortleiter Wirtschaft der "Süddeutschen Zeitung." Das Blatt gilt als liberal, die Wirtschaftsredaktion als marktnah, aber selbst deren Redakteure bemühen heutzutage Vokabeln, die vor wenigen Jahren noch unter Kommunismusverdacht standen. Müntefering kann sich einen saloppen Hinweis darauf nicht verkneifen und zitiert eine Passage, in der Schäfer einst den freien Markt predigte. Schäfer bekennt in seiner Rede reumütig, auch Journalisten seien "lernfähig". Das Resultat ist auf 326 Seiten nachzulesen, ein historischer Aufriss, von der Freigabe der Wechselkurse Mitte der 70er Jahre über den Manchester-Kapitalismus in Schwellenländern und das Platzen der Dotcom-Blase bis zur Krise unserer Tage. Und Schäfer bleibt die Antwort nicht schuldig, "Was jetzt zu tun ist", auch das steht auf dem Cover.

22 Regeln stellt Schäfer auf, und sie lesen sich tatsächlich so, als hätte Oskar Lafontaine ihn ins Gebet genommen: Trocknet die Steueroasen aus, verbietet riskante Finanzprodukte, begrenzt die Managergehälter, erhöht den Spitzensteuersatz, besteuert die Börsenumsätze, investiert in Bildung, schafft einen Mindestlohn. Das alles deutet auf eine andere, sozialwirtschaftlich runderneuerte Republik, von der bisher allenfalls die Linkspartei träumte. Vielleicht ist die Krise tatsächlich eine "Zeitenwende", wie sowohl Müntefering als auch Schäfer sagen. Sie scheuen weder den Vergleich mit der Wiedervereinigung noch mit den Anschlägen vom 11. September. Kein Stein bleibt auf dem anderen, soll das heißen.

Gutscheine war gestern

Aber: Autoren können auch tausend Empfehlungen herausgeben, was "jetzt" zu tun ist. Entscheidend ist, ob und wie die Politik reagiert. Müntefering bleibt in der Deckung. Er halte nichts von schnellen Steuersenkungen, sagt er. "In der nächsten Legislaturperiode wird es sicherlich auch eine grundlegende Steuerreform geben müssen“. Aber eben nicht "jetzt". Auch die Idee, Konsumgutscheine auszugeben, scheint nicht mehr auf der Agenda des SPD-Chefs zu stehen. Von stern.de danach gefragt, weicht Müntefering aus und spricht über die steuerbegünstigte Wärmedämmung von Häusern. "Das halte ich von Gutscheinen", schließt er. Er hätte auch sagen können: Ich äußere mich nicht mehr zu Konsumgutscheinen. Die Idee ist tot.

"Wir fahren auf Sicht." Ende der Pressekonferenz. Es regnet in Berlin.