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Nach dem Rücktritt von Guttenberg Trümmerfrau Angela Merkel

Bis zuletzt hat Angela Merkel für Karl-Theodor zu Guttenberg gekämpft - und sich angreifbar gemacht. Nun steht sie vor einem Scherbenhaufen. Wie konnte das passieren?
Von Claudia Kade, Lorenz Wagner und Claus Gorgs

Die SMS geht um 9.07 Uhr ein. Eben erst ist Angela Merkel in die Halle 12 gekommen, Cebit, ein Pflichttermin, nichts Aufregendes, am Stand der Türkei hat der Präsident der Handelskammer Istanbul seine Rede begonnen, Worte des Dankes, entspannt hört Angela Merkel zu, neben sich Forschungsministerin Annette Schavan, als ihr Handy sich meldet. Sie liest, gibt es Schavan. Die liest - und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er wird also zurücktreten, Karl-Theodor zu Guttenberg, der Mann, für den sie sich schämt, wie sie offen sagt. Angela Merkel aber ist nicht zum Lachen zumute. Ihr Gesicht ist eingefroren. Nur mehr die Finger sind in Bewegung. SMS nach SMS. Und dann unterbricht sie den Rundgang. Zehn Minuten telefonieren, mit den Bündnispartnern, Horst Seehofer und Guido Westerwelle. Die Katastrophe ist da.

Der Rücktritt des Verteidigungsministers ist für Merkel ein Desaster. Zwei Wochen hat sie versucht, ihn zu stützen. Genutzt hat es nichts. Zurück bleibt eine Kanzlerin, die selbst angeschlagen ist. Die Kanzlerin habe durch die Affäre "beträchtlichen Schaden" genommen, sagt der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograph Gerd Langguth. Sie sei beschädigt, weil sie gesellschaftliche Werte verhöhnt habe, sagt Politberater Michael Spreng, einst Wahlkampfmanager Edmund Stoibers. "Der Rücktritt ist ein herber Rückschlag für sie", kommentiert die "New York Times". Wie konnte es dazu kommen? Dass sie an diesem 1. März dasteht wie eine Ahnungslose, die Entscheidendes per SMS erfährt. Dass sie wirkt wie eine Frau, die Instinkt und Kontrolle verloren hat.

Zunächst übliche Krisenroutine

Am Anfang der Affäre, vor zwei Wochen, ahnt Merkel die Gefahr noch nicht. Erste Vorwürfe kommen auf, Guttenberg habe Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Die Lage ist unklar, also hält sich Merkel an die übliche Krisenroutine: Sie spricht mit Vertrauten, wahrt Distanz zu allen und bleibt im Ungefähren. "Ich denke, der Verteidigungsminister und die Uni Bayreuth werden die Dinge klären", sagt sie Stunden nachdem die ersten Passagen als Plagiate enttarnt sind. "Auch meine Promotionsarbeit wurde schon begutachtet." Näher lässt sie die Affäre nicht an sich heran. Doch schon bald melden sich immer neue Autoren: Guttenberg habe auch bei ihnen gestohlen. Merkel handelt, wenn auch nur zum Alibi. Sie bestellt den Minister zum Rapport. Vor dem Kanzleramt warten bereits Kameras. Kein Zufall, heißt es in der Union. Der Kanzlerin sei es recht gewesen, das Signal zu geben, sie lasse dem Politstar das nicht durchgehen, ohne mal nachzufragen. Kurz darauf lässt sie ausrichten, Guttenberg habe ihr Vertrauen. Obwohl nun bereits Dutzende Seiten als abgeschrieben gelten.

Wo ist die kühle Machtstrategin geblieben?

Die Affäre beginnt Merkel weh zu tun. Auch weil Guttenberg Fehler macht. Kurzfristig räumt er in einem Flur des Ministeriums vor Journalisten Versäumnisse ein. Er lässt seinen Doktortitel ruhen - "vorübergehend". Die Aktion wird im Kanzleramt als "unglücklich" eingestuft. Eine Spur zu selbstherrlich sei der Minister aufgetreten, sagen Parteifreunde. "Danach war klar: Es muss nachgelegt werden", sagt ein Unionsstratege. Merkel, Guttenberg, Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich telefonieren. Als weitere Vorwürfe und Rücktrittsgerüchte auftauchen, entscheidet Merkel, dass sie ihre Krisenroutine, ihr Aussitzen aufgeben muss. Es ist der Moment, in dem sie den Fehler macht, der sie heute einholt: Ohne Wenn und Aber stellt sie sich vor Guttenberg - obwohl die Affäre immer mehr an Wucht gewinnt.

Merkel glaubt, keine Wahl zu haben. Sie, die sich immer aus anderer Leute Affären raushält, die auch mal einen Parteifreund fallen lässt, macht in diesem Fall eine Ausnahme. Ist Guttenberg nicht der beliebteste Politiker im Land? Umfragen zufolge wollen Dreiviertel der Deutschen, dass er im Amt bleibt. Dazu macht die "Bild Zeitung" Stimmung für ihn. Merkel will es sich mit niemandem verscherzen. Im März wird in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gewählt. Fliegt die CDU in Stuttgart nach 58 Jahren aus der Regierung, wird es für Merkel schwierig, sich in Berlin an der Macht zu halten.

Dazu will Merkel nicht schon wieder als kühle Machtstrategin dastehen, deren Weg gesäumt ist von abservierten Gegnern. Dass Friedrich Merz aufgab, haben ihr bis heute viele Parteifreunde nicht verziehen. Ähnlich ist es mit Roland Koch. Einen weiteren Star zu entmachten, traut sich Merkel nicht. "Für sie gab es nichts zu gewinnen", heißt es in ihrem Beraterkreis. Also Augen zu und durch.

Affäre schadet Merkel

Am Montag vor einer Woche macht sie ihren zweiten großen Fehler. Sie habe Guttenberg als Minister berufen und nicht als wissenschaftlichen Assistenten, sagt sie. Damit trifft sie zwar die Meinung vieler Unionswähler. Aber sie bringt Deutschlands Wissenschaftler gegen sich auf. Die beginnen laut zu werden, die Universität Bayreuth, bekannte Rechtsgelehrte, Plagiatsforscher quer durch die Republik, zuletzt Guttenbergs Doktorvater. Es kommt zum Aufruhr, der auch nicht abebbt, als die Uni Guttenberg den Doktortitel aberkennt. Für den Minister ist es der Anfang vom Ende. Und für Merkel der Augenblick, in dem sie die Kontrolle verliert. Denn jetzt beginnt es auch in der Union zu rumoren. Bundestagspräsident Norbert Lammert rügt Guttenberg öffentlich. Auf einmal kursieren Gerüchte, der habe das Verfassen der Arbeit einem Ghostwriter überlassen. Merkel muss zusehen, wie die eigenen Leute ihr die Gefolgschaft verweigern. Sie steht da als Chefin ohne Durchsetzungskraft. Selbst ihre Vertraute, Ministerin Schavan, stellt sich gegen Merkels Kurs. Sie schäme sich für ihren Kabinettskollegen, sagt sie Anfang der Woche. Spätestens nun ist klar, dass die Kanzlerin selbst Schaden genommen hat. Aber sie kann nichts mehr dagegen tun. Nur mehr hoffen, dass Guttenberg tatsächlich durchhält, wie er bis zuletzt versicherte.

Wissen reduziert Blamage

Doch so plötzlich ist es mit dem Durchhalten vorbei, dass es die Kanzlerin ohne Vorbereitung trifft, sie keine Strategie aufbauen kann für einen geregelten Rückzug. Sie sei mit der Bitte um einen Anruf bei Guttenberg überrascht worden, sagt sie im Kanzleramt. "Es wird mit Sicherheit nicht das letzte persönliche Gespräch von ihm und mir gewesen sein." Ihre Aussagen bleiben karg und knapp. Blamiert steht sie da. Nicht zum ersten Mal nach einem Rücktritt. Aber diesmal ist es anders - und ernster.

Da war zuerst Roland Koch, der so gerne Kanzler oder Finanzminister geworden wäre. Viele wussten Bescheid vor seinem Abgang. Sein designierter Nachfolger, Volker Bouffier. Mitglieder des "Andenpakts", der alten Seilschaft aus der Jungen Union. Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Christian Wulff. Ein Dutzend hessischer Parteifreunde. Irgendwann erfuhr es auch Merkel, per SMS auf einer Reise im fernen Arabien.

Und da war der Fall Horst Köhler. Merkel hatte ihn zum Bundespräsidenten gemacht. Es war ihre Personalie, ihr Coup. Auf einmal trat er zurück, er fühlte sich von ihr in Tagen der Kritik alleine gelassen. Er warnte sie nicht, setzte sie nur in Kenntnis. Und ließ eine fahrige Frau zurück, die ihm gleich dreimal für die vergangenen fünf Jahre dankte, dabei war Köhler sechs Jahre im Amt.

Zuletzt war es Bundesbankchef Axel Weber, der sie vor den Kopf stieß. Der war der Meinung, Merkel setze sich nicht genug für ihn ein. Als er hinwarf, nahm er keine Rücksicht auf sie. Viele wussten Bescheid, Freunde, Vorstandskollegen, Journalisten. Nur den Presseberichten am Morgen des geplanten Rücktritts verdankte es Merkel, dass sie nach dem Köhler-Drama nicht schon wieder als Ahnungslose dastand. Gerade noch konnte sie Weber überzeugen, einige Tage zu warten. Das gab ihr Zeit, ihren Vertrauten Jens Weidmann auf den Posten zu hieven.

Position durch Rücktritt gesichert

Ja, Koch, Köhler und Weber haben die Kanzlerin düpiert; aber der Fall Guttenberg wiegt schwerer. Die anderen waren Enttäuschte, Gegner, die Merkel auflaufen ließen - das nahmen die Wähler und Parteifreunde auch so wahr. Im Skandal um die unsaubere Doktorarbeit hat sie selbst Partei ergriffen und sich so zum Teil der Affäre gemacht. Das wird an Merkel haften bleiben, sagen Experten. Politisch ist das eine Katastrophe. Einen Vorteil hat es allerdings. Bis vor zwei Wochen sahen viele Parlamentarier in Guttenberg schon den nächsten Bundeskanzler. Unionsabgeordnete redeten sogar intern darüber, was wäre, wenn die CDU in Baden-Württemberg die Macht verlöre. Ein Szenario: Angela Merkel tritt noch vor der nächsten Bundestagswahl 2013 zurück und Guttenberg übernimmt - ein fliegender Kanzlerwechsel. Merkel kannte das Getuschel. Wenigstens darum muss sie sich nun nicht mehr kümmern.

FTD

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