Erst schwieg Ralf Wohlleben jahrelang, wie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Vergangenen Dezember brach er sein Schweigen im Münchner NSU-Prozess, kurz nach Zschäpe. In den vergangenen beiden Verhandlungen stellte er sich erstmals den Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl nach der Vorgeschichte des NSU, nach Hintergründen und Waffen.
Wohlleben ist als mutmaßlicher Organisator der "Ceska"-Pistole angeklagt, mit der die NSU-Terroristen neun ihrer zehn Mordopfer erschossen haben sollen. Die Bundesanwaltschaft hält ihn außerdem für die "steuernde Zentralfigur" hinter der Gruppe.
NSU-Prozess: Immer wieder kommt Wohlleben auf Brandt zu sprechen
Schon am gestrigen Verhandlungstag war Wohlleben immer wieder auf einen Mann zu sprechen gekommen, den er womöglich statt seiner für die "steuernde Zentralfigur" hält - Tino Brandt. Der war jahrelang Chef des "Thüringer Heimatschutzes", koordinierte die "Kameradschaften" in Thüringen und flog 2001 als V-Mann auf. Derzeit sitzt Brandt wegen Kindesmissbrauchs im Gefängnis.
Um Brandt, so Wohlleben, sei es etwa gegangen, als er sich Anfang 1999 mit Zschäpe und ihren beiden Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos getroffen habe. Da lebten die drei schon seit einem Jahr im Untergrund und versteckten sich bei Gesinnungsgenossen in Chemnitz. Er habe sich mit Böhnhardt von den anderen beiden ein Stück entfernt. Böhnhardt habe ihm dann gesagt, "dass er sich nicht der Polizei stellen will und dass er sich eher erschießen will". Dafür brauche er eine Waffe, bitte "ein deutsches Fabrikat". Und was die Bezahlung dafür angehe, da wende er sich bitte an - Tino Brandt.
Wohlleben erklärte, er habe Böhnhardt dann aber hingehalten. Schon auf der Heimfahrt sei ihm klargeworden, dass es ihm dreieinhalb Jahre Gefängnis einbringen könne, wenn er Böhnhardts Bitte erfülle. Der habe dann immer wieder auf konspirativen Wegen über ein "Telefonzellensystem" Kontakt mit ihm aufgenommen und gefragt, ob denn schon eine Waffe in Aussicht sei. "Ich hab dem irgendwann gesagt, dass ich jemand an der Hand habe, irgendeinen Kakao erzählt, um die hinzuhalten", erinnert sich Wohlleben. Bekommen hätten die drei die Pistole dann auf anderen Wegen, nicht über ihn, aber vermutlich mit Hilfe Tino Brandts.
Warum er das vermute, fragt Richter Götzl nach. Einmal deshalb, weil Böhnhardt ihn auf Brandt angesprochen habe, antwortet Wohlleben, und dann auch deshalb, weil Brandt selber diesen Verdacht nahegelegt habe - nämlich im November 2013, als das Gericht Brandt als Zeugen zum NSU-Prozess geladen hatte.
Ralf Wohlleben hat sich gut auf die Aussage vorbereitet
Wohlleben hat sich vorbereitet und nennt eine Aktenfundstelle, und dort findet sich tatsächlich ein Schreiben, in dem Brandts Rechtsanwalt Tomas Jauch den Richter bittet, auf dessen Vernehmung zu verzichten. Sollte Brandt nämlich als Zeuge aussagen, könne es passieren, dass ihm Hilfe bei der Beschaffung der Waffe vorgeworfen werden könne, "welche letztendlich von den Verstorbenen Böhnhardt und Mundlos zur Ermordung von zehn Personen verwendet wurde". Brandt stehe demnach ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, weil niemand sich selber vor Gericht belasten müsse.
Als Wohlleben dann 2001 erfuhr, dass Tino Brandt die Szene jahrelang als V-Mann ausspähte, da - so der Angeklagte - habe er das kaum glauben können. Gerüchte habe es zwar immer gegeben, aber solche Gerüchte seien über viele Leute im "nationalen Lager" umgegangen. "Nachdem klar war, dass er V-Mann war, hatte ich keinen Kontakt mehr", sagt Wohlleben an einer Stelle seiner Aussage.
An einer anderen jedoch beschreibt er, dass Brandt, bis dahin Pressesprecher der NPD in Thüringen, nach seinem Auffliegen "auf mich zukam und fragte, ob ich seinen Posten als Pressesprecher übernehmen würde". Ein Widerspruch?
"Ich wollte ja so wenig wie möglich wissen"
Am heutigen Verhandlungstag gestaltete sich die weitere Befragung jedenfalls zäh. Der Mitangeklagte wollte sich an viele Details nicht mehr erinnern können. Vieles habe ihn auch nicht interessiert, sagte er vor Gericht. "Ich wollte ja so wenig wie möglich wissen." Allerdings wusste er noch, dass er sich im Frühjahr 2001 ein weiteres Mal mit dem zu dieser Zeit in Zwickau abgetauchten NSU-Trio getroffen habe - konnte aber nicht mehr genau sagen, was dabei besprochen wurde.
Es sei wohl um Tino Brandt gegangen, sagte Wohlleben. Wahrscheinlich sei darüber gesprochen worden, ob Brandt dem Verfassungsschutz etwas über den Aufenthaltsort von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verraten könne. Möglicherweise, so Wohlleben weiter, habe er mit dem Trio auch über eine geplante Flucht der beiden Männer nach Amerika oder Südafrika gesprochen und über Pläne für Zschäpe, sich den Behörden zu stellen.
Zum Zeitpunkt dieses Treffens sollen Mundlos und Böhnhardt bereits den ersten Mord begangen haben, für den Zschäpe sich als mutmaßliche Mittäterin im NSU-Prozess verantworten muss. Opfer war der Blumenhändler Enver Simsek im September 2000 in Nürnberg. Insgesamt werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zehn Morde vorgeworfen. Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios. Wohlleben und drei weitere Männer sind als mutmaßliche Helfer angeklagt.