Olaf Scholz platziert seine zentrale Botschaft gleich zu Beginn seiner Rede, die weder laut noch lebhaft daherkommt, sondern betont staatsmännisch und bestimmt: "Wer unsere Freiheit angreift, und unseren Frieden stört, der hat mich als seinen entschiedensten Gegner."
Der besonnene Friedenskanzler definiert sich neu, nicht nur außen-, jetzt auch noch innenpolitisch. Er erklärt sich zum Endgegner aller Freiheitsfeinde, die den inneren Frieden in Deutschland bedrohen. Der die Konfrontation nicht scheut und dafür auch zu drastischen Mitteln greift. Wie gesagt: Das ist die Botschaft. Ob sie auch in die Tat umgesetzt wird, ist eine andere Frage.
In einer kurzfristig angekündigten Regierungserklärung am Donnerstagmorgen hat Scholz die aktuelle Sicherheitslage adressiert. Die Nachrichtenlage machte diesen Rundumschlag notwendig. Außerdem steht die EU-Wahl kurz bevor, bei der die Kanzlerpartei SPD ihren historischen Tiefstwert von 2019 nochmal unterbieten könnte. Scholz, dessen eigenes Standing ausweislich der Umfragen ebenfalls gelitten hat, dürfte nichts dagegen haben, wenn sein Auftritt da ein wenig Abhilfe verschaffen könnte.
Der tödliche Messerangriff auf einen jungen Polizisten, mutmaßlich durch einen islamistisch motivierten Täter. Das Hochwasser in Süddeutschland, somit die vierte Flutkatastrophe allein in diesem Jahr. Und Russlands brutales Massenbombardement auf die Stadt Charkiw, das neue Wege der Gegenwehr verlangt: Die Krisendichte ist nicht von der Hand zu weisen, wenngleich sich der innere Zusammenhang nicht auf Anhieb erschließt.
Scholz‘ Erklärung: Jedes dieser Ereignisse schüre Unsicherheit – und wo es an Sicherheit fehle, seien Furcht und Angst nicht weit. Der Kanzler leitet daraus eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat ab, die derzeit von allen Seiten unter Druck stünden: durch Links- und Rechtsextremismus, aber auch durch den Islamismus. Bemerkenswert deutliche Worte findet der Kanzler vor diesem Hintergrund für das "Messerattentat" von Mannheim, das Ausdruck einer menschenfeindlichen Ideologie und radikalen Islamismus sei. Dafür gebe es nur einen Begriff, sagte Scholz: "Terror".
Das Motiv des 25-jährigen Afghanen, der bei einer islamkritischen Kundgebung auf dem Mannheimer Markplatz ein Messer gezogen hatte, ist noch nicht abschließend geklärt. Noch ermittelt die Bundesanwaltschaft, die von "religiösen Gründen" ausgeht. Doch die Tat hat längst eine altbekannte Debatte wieder angestoßen, ob schwerkriminelle Ausländer konsequenter abgeschoben werden müssten – auch, wenn sie aus unsicheren Herkunftsländern stammen.

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Scholz hat dazu nun deutlich Stellung bezogen, was angesichts der rechtlichen Hürden noch auf ihn zurückfallen könnte. "Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch, wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", sagte Scholz. Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder hätten "hier nichts verloren". "Wer unseren Schutz ausnutzt, der hat unseren Schutz verwirkt. Da gibt es null Toleranz." Das Bundesinnenministerium suche nach Wegen, diese Abschiebungen zu ermöglichen, sagte Scholz. Die Regierung sei schon in Gesprächen mit Nachbarländern Afghanistans.
Olaf Scholz' Forderung wirft auch praktische Fragen auf
Eine klare Ansage, aber mit Hintertür: Der Kanzler sagte nicht, dass er für Abschiebungen in diese Länder ist. Offenkundig eine bewusst formulierte Unschärfe. Denn Rückführungen nach Afghanistan sind seit August 2021 ausgesetzt, seinerzeit als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban. Auch nach Syrien, wo Diktator Assad seit 2011 einen brutalen Krieg gegen seine Bürger führt, schiebt Deutschland nicht ab.
Scholz‘ Forderung wirft folglich viele praktische Fragen auf, die ausgerechnet Britta Haßelmann, Co-Fraktionsvorsitzende des grünen Koalitionspartners, ausführlich aufzählt. Wie wolle man mit einem "Terrorregime" in Afghanistan, mit dem man "keinerlei Beziehungen" pflege, über Abschiebungen verhandeln? Und für welches Drittland sollte es attraktiv sein, Terroristen und schwere Straftäter aufzunehmen? SPD-Politiker hatten das zu Afghanistan benachbarte Pakistan ins Spiel gebracht. "Ich bin gespannt darauf, welche Antworten wir darauf finden", sagte Haßelmann, ohne ihren Unmut zu verbergen. Sie sprach sich dafür aus, die Sicherheitsbehörden zu stärken und das Waffenrecht zu verschärfen – ein Wink an den liberalen Koalitionspartner, der sich hier querstellt.
Keinen nennenswerten Widerspruch erfährt der Kanzler zu seinen Ausführungen zur Flutkatastrophe in Süddeutschland, die für ihn eine sträfliche Mahnung mehr darstellt, den menschengemachten Klimawandel zu bekämpfen. Oppositionsführer Friedrich Merz, der als erster Redner auf Scholz‘ Regierungserklärung reagiert, erwähnt das Thema in seinem Beitrag mit keiner Silbe. Dafür nimmt er den Kanzler bei der Ukraine-Unterstützung in die Mangel.
Kürzlich hatte der Kanzler im Schulterschluss mit den Verbündeten abermals eine rote Linie revidiert. Nun darf die Ukraine in ihrem Abwehrkampf auch mit westlichen Waffen auf russische Militäreinrichtungen schießen, in enger Absprache mit den Lieferanten. Der Schritt erfolgte als Reaktion auf das brutale Bombardement auf die grenznahe Stadt Charkiw und brachte den Friedenskanzler in Erklärungsnot. "Frieden sichern", sagte Scholz in Anlehnung an den SPD-Wahlkampfslogan, bedeute nicht, die weiße Fahne zu hissen und zu kapitulieren – sondern die Ukraine zu unterstützen.
Doch Unionsfraktionschef Merz will darin keine Besonnenheit erkennen, vielmehr Zögerlichkeit und Ängstlichkeit, gar eine "Politik des Hin-und-Hers". Zu oft habe Scholz seinen Kurs gewechselt und nicht ausreichend erklärt. Er wage daher die Prognose, dass Scholz auch irgendwann den Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern werde. Und auch dann sei es wieder zu spät, kritisierte Merz. Überhaupt warf der Oppositionsführer der Regierung vor, nur zaghaft zu handeln. Der Messerangriff in Mannheim habe "gravierende Missstände" offengelegt, sagte Merz. Die Zeit des Abwiegelns, des Warnens sei jetzt vorbei. "Sie müssen jetzt handeln, Sie müssen die Lage in den Griff bekommen", forderte Merz. "Enttäuschen Sie uns bitte nicht."
Sicherheit sei der Schlüssel, sagte Scholz am Ende seiner Rede, ein Pfeiler der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Deswegen trete die Bundesregierung konsequent dafür ein. Darauf könnten sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen.
Daran wird Kanzler Scholz gemessen werden.