Die Grünen ziehen mit einer Mannschaft aus erfahrenen Kandidaten und neuen Hoffnungsträgern in die Europawahl. Die Vize-Chefin der Europa-Fraktion, Rebecca Harms, und der frühere Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer vertreten die Grünen auf den Spitzenplätzen der Kandidatenliste für die Wahl am 7. Juni. Als Quereinsteiger kamen Attac-Mitbegründer Sven Giegold und die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Barbara Lochbihler, beim Bundesparteitag in Dortmund am Samstag auf vordere Listenplätze.
Mit großer Mehrheit beschlossen die rund 700 Delegierten ein ökologisch-soziales Reformprogramm mit der zentralen Forderung nach einem weitgehenden Umbau der Wirtschaft.
Harms erreichte auf Platz eins der Europa-Liste 80,4 Prozent der Stimmen, Bütikofer schaffte auf Platz zwei 81,7 Prozent. Der 55-Jährige hatte sich im November auf eigenen Wunsch aus der Parteispitze zurückgezogen und seinem Nachfolger Cem Özdemir Platz gemacht, der demnächst aus dem Europaparlament ausscheidet. Neben Harms hatte Daniel Cohn-Bendit bei der Wahl 2004 die deutsche Liste angeführt - er kandidiert diesmal in Frankreich.
Auf sichere Listenplätze kamen nach Kampfabstimmungen die frühere Grünen-Geschäftsführerin und langjährige Europapolitikerin Heide Rühle (Platz drei mit 50,79 Prozent), Attac-Mitbegründer Giegold (Platz vier/73,2 Prozent) und Lochbihler (Platz fünf/82,3 Prozent). Im Jahr 2004 hatten die deutschen Grünen bei der Europawahl ein Rekordergebnis von 11,9 Prozent und damit 13 Mandate erreicht. Grünen-Chef Cem Özdemir gab für die Wahl am 7. Juni ein zweistelliges Ergebnis als Ziel aus.
Bütikofer rief den Delegierten zu: "Wir brauchen Europa, wenn wir unsere großen Visionen verwirklichen wollen." Er schwor die Grünen auf einen offensiven Wahlkampf ein: "Ändern wir die Mehrheiten in Europa, damit Europa besser werden kann." Harms sagte: "Es ist dringend nötig, dass die Europäische Union eine andere Politik macht und überzeugenderer Politik für ihre Bürger macht."
Grüner "New Deal" für Europa
Die Europawahl soll nach dem Willen der Grünen die "große Koalition" von Konservativen und Sozialdemokraten im Europaparlament beenden, "die so viel dem Götzen des Neoliberalismus geopfert haben, anstatt für ein soziales Europa zu kämpfen". Die Grünen fordern eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte und massive Investitionen in Klimaschutz - einen grünen "New Deal" gegen die aktuellen Krisen.
Die Weltwirtschaft brauche "an allen Ecken und Enden" Veränderungen, sagte Bundestags-Fraktionschef Fritz Kuhn. Möglichst bis 2040, spätestens aber bis 2050 soll die Energie in Europa komplett ohne Kohle, Öl und Atomkraft produziert werden, Strom möglichst schon 2030. CO2-Verschmutzungsrechte sollen komplett gegen Geld versteigert werden. Mindestlöhne in jedem EU-Land sollen europaweit vor Armut schützen. Ausdrücklich bekennen sich die Grünen zur EU-Integration mit dem Ziel einer EU-Verfassung. Europaweite Referenden und Bürgerbegehren sowie ein Wahlrecht für EU-Bürger in anderen EU-Staaten sollen die Demokratie grenzüberschreitend stärken.
Kritik am Konjunkturpaket
Kuhn erneuerte die Kritik am Konjunkturpaket der Bundesregierung und sprach von einem "hektischen, schnell gestrickten Sammelsurium-Programm". Nicht FDP und Union hätten die richtigen Antworten auf die Krise, sondern die Grünen. Forderungen nach einer Aufweichung des Euro-Stabilitätspakts in der Konjunkturkrise erteilten die Delegierten eine Absage.
Die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Renate Künast, forderte einen Umbau der EU-Agrarsubventionen. Volle Zahlungen sollten nur noch ökologische Betriebe erhalten. Geschäfte mit riskanten Wertpapieren sollten verboten werden. Künast: "Wir müssen sicherstellen, dass in Zukunft solche Abzockverträge, wie sie die Banken gemacht haben, nicht mehr abgeschlossen werden dürfen."