Das Jahr 2009 wird großen Raum in der Autobiografie des Roland Koch einnehmen. Erst macht er sich mit seinem ausländerfeindlich getönten Wahlkampf in Hessen zum Buhmann der Nation. Dann verliert er krachend seine absolute Mehrheit und regiert nur noch geschäftsführend. Zwei Mal muss er um Haaresbreite die Staatskanzlei in Wiesbaden räumen, weil SPD, Linkspartei und Grüne ein Bündnis gegen ihn schmieden. Schließlich werden Neuwahlen ausgerufen - und Koch gibt öffentlich den reuigen Sünder, der aus seinen Fehlern gelernt habe. Damit scheint er Erfolg zu haben. Die jüngsten Umfragen bescheinigen ihm beste Chancen, gemeinsam mit der FDP wieder die Regierung zu stellen.
Zum Dank schütteten die Delegierten auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart kanisterweise Sprit in die Kampfmaschine Koch - sie wählten ihn mit 88,76 Prozent zum stellvertretenden Vorsitzenden. Damit bekam Koch das beste Ergebnis unter den vier Stellvertretern - und reichlich 20 Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Kein Wunder, dass Koch in den Stuttgarter Messehallen ein strahlendes Gesicht zur Schau trug. Frisch gestärkt kann er sich nun in seine vorvorletzte Mission stürzen: die CDU in Hessen zum Sieg zu führen. Danach wird er in das Kabinett Angela Merkel wechseln. Und eines Tages versuchen, sie abzulösen. Denn darum geht es in der CDU: Macht.
Kurs der kleinen Schritte
Inhalte sind zweitrangig. Ein eindrucksvoller Beleg dafür war die Steuerdebatte. Wochenlang stritt sich die CDU über das Thema, immer vehementer forderten Wirtschaftsliberale und CSU sofortige Steuersenkungen und ein umfangreicheres Konjunkturprogramm. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy höhnte, seine Nation handele, Deutschland denke nur nach. Auch die Medien begannen, Merkel in bislang ungewohnter Schärfe zu kritisieren. Von der "Klempnerin der Macht" war die Rede (stern), von "Angela Mutlos" (Spiegel), von "Angela Ratlos" (Stuttgarter Zeitung), die "Bild" montierte Merkel gar eine Ludwig-Erhard-Zigarre in den Mund und forderte sie auf, die Krise energischer anzupacken. Doch was geschah? Merkel blieb bei ihrem Kurs der kleinen Schritte. Die Begründung lieferte sie in Stuttgart nach - in dürren, leidenschaftslosen Worten. Parallel dazu legte ihr Gehilfe Ronald Pofalla einen Leitantrag vor, der Merkel völlige Handlungsfreiheit lässt.
Eigentlich hätte die CDU von ihrer Chefin konkrete Ansagen erwarten dürfen, was sie zu tun gedenkt. Eigentlich hätte die CDU sogar eine großen Entwurf erwarten dürfen, der die Wirtschaftskompetenz der Partei ins Rampenlicht rückt. Eigentlich hätte es deswegen zumindest eine kritische Debatte geben müssen. Doch bis auf die Solo-Vorstellung des Finanzexperten Friedrich Merz blieb es ruhig, selbst der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Ramsauer kam bei seiner Rede nicht aus der Deckung. Das Ende vom Lied: Der Leitantrag ging bei der Abstimmung problemlos durch, Merkel wurde mit knapp 95 Prozent als Parteichefin bestätigt - ein Prozentpunkt mehr als vor zwei Jahren. Deutlicher kann die CDU nicht belegen, dass sie sich Angela Merkel unterworfen hat. Der Kanzlerin Angela Merkel.
Pubertäre Verdrängungsmechanismen
Mitunter ruft der Wille zur Macht in der Partei geradezu pubertäre Verdrängungsmechanismen hervor. Zum Beispiel bei der Debatte um die DDR-Vergangenheit der CDU. Die Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche ließ in Stuttgart ein Kartenspiel austeilen, das den Titel "Der große Wissenstest: Wie war das in der DDR?" trägt. Hinweise auf die CDU gibt es nur auf zwei Karten. Die eine fragt: "Wie hieß der erste Kanzler des wiedervereinigten Deutschland?" (Helmut Kohl, CDU). Die andere "Wo verlebte die erste gesamtdeutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Jugend?" (Templin). Später, bei der Aussprache zum Antrag "Geteilt. Vereint. Gemeinsam" zu den Perspektiven Ostdeutschlands, trat der Treptower Kreisvorsitzende Fritz Niedergesäß auf und verklärte die DDR-Blockflötenpartei CDU zu einem Nest des Widerstands. Lauten Applaus kassierte Niedergesäß für seine Anmerkung, man dürfe sich von diesen "Halunken" des linken Lagers nicht vorführen und "beschmuddeln" lassen. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich, dessen Verstrickung in die DDR-Diktatur die Diskussion erst ausgelöst hatte, saß schweigend auf dem Podium und hörte zu. Einige Minuten später war das Thema offiziell erledigt, der Antrag angenommen.
Offizieller Zweck des Parteitags war es, die CDU für das Wahljahr 2009 vorzubereiten. Die personelle Aufstellung dafür wurde gefunden. Ein Thema jedoch, eine Vision, für die sich die Partei ins Zeug legen könnte, war nirgends aufzuspüren. Stattdessen schien es, als trage die gigantische Videoleinwand über Köpfen der CDU-Granden auf dem Podium ein geheimes Wasserzeichen: "kämpfen, siegen, herrschen" (und bloß nicht zuviel quatschen).

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Der Machtwille der CDU lässt sich im Dezember 2009 allerdings nur negativ definieren - es geht darum, die "Roten" zu verhindern. Die Wähler jedoch werden mehr verlangen: klare Aussagen darüber, wozu die Macht der CDU eigentlich gut sein soll.