"Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe)
Merkel hat sich, egal wie man zu ihr steht, zu Deutschlands erfahrenster politischer "Widerstandskämpferin" gemausert, sie ist zur Meisterin in der Kunst des Durchhaltens und Taktierens gereift - vor allem deswegen wird sie Deutschlands erste Kanzlerin werden, sollten ihr die Abgeordneten nicht noch bei der Wahl einen Streich spielen.
"Darmstädter Echo"
Angela Merkel kann es, wie gesagt, an politischer Härte allemal mit Schröder aufnehmen. Nun muss sie zeigen, dass sie auch in der Lage ist, Menschen mitzunehmen und von der Richtigkeit ihres Wegs zu überzeugen.
"Hamburger Abendblatt"
Als CDU-Chefin hat Angela Merkel ihre Riege von Ministerpräsidenten und sonstige Konkurrenten für manche überraschend gut im Griff gehabt. Nun aber geht es nicht mehr um einen Parteivorsitz, der nach dem Spendenskandal ohnehin nicht von jedermann begehrt war. Nun geht es um die Macht in Deutschland. Und um die Zukunft des Landes, die Vorrang vor persönlichen Ambitionen haben muß. Soviel dürfen die Wähler von ihren Regierenden verlangen.
"Kölnische Rundschau"
Angela Merkel hat ihre nächste Machtprobe bestanden - die erste außerhalb der Union. Merkel hat auffällig viel von Fairness, gemeinsamen Wünschen und gegenseitiger Achtung der Kompetenzschwerpunkte gesprochen. Ein paar inhaltliche Eckpunkte stehen, wesentliche fehlen noch. Dafür mag man allein die Mehrwertsteuer nennen. Erst nach Abschluss der Verhandlungen ist die Beantwortung der Frage möglich, ob es zu einer große Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners kommt oder zum großen Wurf für grundlegenden Reformen mit breitem Fundament.
Lausitzer Rundschau
Weite Teile der CDU sehen nicht, welche Gefahr in den weitreichenden inhaltlichen Zugeständnissen an die SPD steckt. Denn deren Notwendigkeit erklärt sich ja nur aus dem Zwang, Merkel Kanzlerin werden zu lassen. Es hat ja auch etwas Zwanghaftes, wenn ausgerechnet Deutschlands Konservative die erste Frau auf den wichtigsten Posten der Republik heben. Denn wirklich gewollt hat auch das keiner der christdemokratischen Granden. Auch dieser Neuanfang war Ausdruck einer Zwangslage, die ertragen werden musste. Angela Merkels Chance liegt aber auch genau darin - dass sie weiter notwendig bleibt für diese Partei.
"Leipziger Volkszeitung"
Erneut hat ein Mann den Durchsetzungswillen der beharrlichen CDU-Chefin unterschätzt. Nur diesmal keiner aus der Union. Während sich der scheidende Medienkanzler im Abtauchen übte, gönnte sich Merkel ein selten entspanntes Lachen: Sie wird so gut wie sicher die erste deutsche Regierungschefin. Und eine aus den neuen Bundesländern dazu: Ein zweifellos historisches Ereignis, eine beispiellose Karriere. Ob der gute Tag für Merkel auch ein guter Tag für Deutschland war, ist jedoch noch längst nicht ausgemacht. Denn die große Koalition ist keine von politischen Freunden, sondern eine von Gegnern, wenn nicht gar Feinden, die sich argwöhnisch belauern. Wie in dieser Konstellation Aufbruchstimmung gedeihen soll, ist bisher völlig unklar.
"Mannheimer Morgen"
"Durchregieren", wie sie noch vor der Bundestagswahl angesichts glänzender Umfragewerte frohlockte, kann Merkel mit einer Großen Koalition kaum. Dieses Bündnis zwingt zu Kompromissen, ist von vornherein auf Konsens angelegt. Es nimmt jenen Tönen die Schärfe, die den Wahlkampf diktierten. Die Union hatte für ihr "ehrliches" Programm bluten müssen. Sie wurde abgewatscht vom Wähler, der sich zwar eine andere Regierung als Rot-Grün wünschte - aber eine, die den Reformkurs sozial abfedert und nicht noch weitere Härten verspricht. So entspricht die Große Koalition exakt dem Willen des Souveräns, und die als Radikal-Reformerin angetretene Kanzlerkandidatin muss nun eine eher moderierende Vollstreckerin sein.
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle)
Bald wird die Frau aus dem Osten Kanzlerin in einer Großen Koalition sein. Eine Konstellation, in der das Regieren wesentlich aus den beiden Komponenten Integrieren und Moderieren besteht. Zwei Eigenschaften mithin, die sicher nicht zu den Stärken Angela Merkels gehören. Gelingt es ihr aber nicht, vor allem auch innerhalb der Union die Meinungsführer auf dem von ihr vorgezeichneten Weg mitzunehmen, wird sie von drei Seiten belauert: von der Opposition, von den Sozialdemokraten und von den eigenen Leuten. In dieser Konstellation können schon kleine politische Fehler große Wirkung haben. Ob Angela Merkel die Legislatur unbeschadet überstehen wird, ist also keineswegs gewiss.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Neue Presse" (Hannover)
Von Triumph keine Spur: Als Angela Merkel gestern in Berlin vor die Presse trat, da wunderten sich gleich zwei ausländische Journalistinnen, dass sie so wenig Freude über den eigenen Erfolg zeigte. Die künftige Kanzlerin wirkte angespannt. So, als sei ihr zu jeder Sekunde klar, dass die ganze Arbeit noch vor ihr liegt, dass diese Arbeit gewaltig sein wird und wohl auch nicht allzu viel Spaß bringt. Wenn man so will, spiegelte sich auf Merkels Gesicht schon einiges von dem wider, was auf die Republik zukommt.
"Saarbrücker Zeitung"
Noch sind viele Sozialdemokraten geschockt ob der Vereinbarungen, die Franz Müntefering und Gerhard Schröder mit der Unionsspitze getroffen haben. Das Knurren und Murren ist ein klares Indiz dafür, dass dieses Spiel um Macht und Einfluss noch nicht zu Ende ist. Überhaupt gibt die SPD ein diffuses Bild ab bei ihrer verzweifelten Suche nach dem passenden Personal. Warum taktiert Müntefering noch immer? Und weshalb soll Schröder weiter mitreden, wenn er der Politik doch Adieu sagen will? Es sind noch viele Fragen zu klären, bis weißer Rauch aufsteigt über dem Reichstag. Erst die Koalitionsverhandlungen werden zeigen, ob die Partner wirklich zueinander finden.
"Stuttgarter Zeitung"
In einer großen Koalition ist völlig undenkbar, dass Angela Merkel wie ihr Vorgänger in einem Küchenkabinett eine Agenda 2010 ausbrütet und dann damit die eigene Partei, den Koalitionspartner und die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen stellt. Sie wird mehr Moderatorin als Regentin sein. Dies zeigen schon die ersten inhaltlichen Festlegungen für die Koalitionsverhandlungen. Vom Reformeifer, den sie noch vor zwei Jahren versprühte und im Wahlkampf mühsam zügelte, ist darin nichts mehr zu finden. Die neue Regierung, wenn sie denn zu Stande kommt, wird sehr viel sozialdemokratischer sein, als Merkel und die Union erwartet haben. Nur eines bleibt wie immer: für Misserfolge haftet vor allem die Kanzlerin.
"Thüringer Allgemeine" (Erfurt)
Das wird kein einfacher Weg. Für Angela Merkel nicht. Aber auch für Deutschland nicht. Stur und beharrlich quält sich die Frau vorbei an all den ehrgeizigen Männern Richtung Kanzleramt. Noch traut es ihr kaum jemand zu. Doch gerade dann, wenn sie von Feind wie Freund unterschätzt wurde, lief eine Angela Merkel immer wieder zu neuer Form auf. Falls diese große Koalition an Format gewinnen sollte, dann dürfte dies in erster Linie in ihrer Verantwortung liegen. Die meisten der bisher als Minister gehandelten Namen stehen eher für Mittelmaß. Um so größer der Spielraum für die erste Kanzlerin, selbst zu gestalten. Nehmen die Koalitionäre ihre eigenen Reden ernst, gibt es durchaus Chancen, das Land aus der Trägheit herauszuführen.
"Die Welt" (Berlin)
Beide Volksparteien stehen in der Verantwortung. Sie sind zum Erfolg verdammt. Die Union wird für die Rettung ihrer arg zerzausten Reformagenda kämpfen müssen. Die SPD sollte sich daran erinnern, daß ihr abtretender Kanzler mit der Absicht in den Ring stieg, ein Mandat zu gewinnen für die Fortsetzung seiner Reformpolitik. Der sozialdemokratische Urschrei gegen eine angeblich neoliberale Wende war Populismus im Wahlkampf, der keine Maßgabe sein kann für die kommenden Monate. Der Wählerwille erlaubt zahlreiche Deutungen, aber eines bleibt klar: Die Politik muß real existierende Probleme lösen und kann sich den Luxus ideologischer Stellvertreterkriege nicht leisten.
"Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf)
Wirklich problematisch ist nicht die Frage, wie lange die neue Regierung hält, sondern was sie für eine Politik macht. Denn eine echte Reformfähigkeit ist leider von ihr nicht zu erwarten, weil die Opposition ja nicht nur mit drei leinen Parteien im Bundestag sitzt, sondern sogar in der Regierung. Wer also etwa beim Steuerrecht oder für den Arbeitsmarkt wirkliche Veränderungen erhofft hatte, wird enttäuscht werden. Wahrscheinlicht bekommen wir nur schreckliches Kompromiss-Flickwerk. Im günstigsten Fall gelangen wir zu guten Lösungen, verlieren aber viel Zeit auf dem Weg dahin. Beides sind keine Aussichten, die glücklich machen.