"Lübecker Nachrichten": Recht des Stärkeren
Selbst wenn ein demokratisierter Irak zum Leuchtturm demokratischer Freiheit wird, wie Bush es ja verheißen hat, womit er die Destabilisierung der arabischen Regime quasi zur offiziellen US- Politik gemacht hat: Was, wenn die Muslime ihre demokratische Freiheit nutzen, um islamistische - und amerikafeindliche - Parteien zu wählen? Tritt dann der Chile-Effekt ein wie 1973, als die USA die «unverantwortliche» Wahl der Chilenen (so damals Henry Kissinger) mit einem Putsch gegen den Sozialisten Allende beantworteten? Falls ja, an wie vielen Fronten wollen die USA irgendwann kämpfen? Und mit wem gegen wen? Nach gültiger neokonservativer Doktrin in Washington bestimmen die aktuellen Erfordernisse die jeweilige Koalition im Kampf gegen den jeweiligen Bösewicht - toller Ersatz für das Völkerrecht, das die USA nun durch ihr Vorrecht des Stärkeren ersetzt haben.
«Bild am Sonntag» (Hamburg): Fehlender Bundestags-Beschluss rächt sich
Was haben der Kanzler und sein Außenminister in den letzten Tagen bei der Antwort auf die Frage «Verstößt der Krieg der USA und der Briten gegen den Irak ohne Mandat der UNO gegen das Völkerrecht?» herumgeeiert! Hätten Gerhard Schröder und Joschka Fischer getreu der Logik ihrer vielen vorangegangen Erklärungen schlicht mit «ja» geantwortet, wären der Abzug der Bundeswehr-Soldaten aus den Awacs-Flugzeugen, der Rückmarsch-Befehl der Spürpanzer-Besatzungen aus Kuwait und ein Verbot aller US-Militärflüge über Deutschland unausweichlich gewesen. Doch jetzt wird nicht mehr in Berlin, sondern in Ankara entschieden, ob die Deutschen in den Aufklärungsflugzeugen drin bleiben dürfen oder nicht. Jetzt rächt sich, dass die Bundesregierung sich geweigert hat, den Bundestag mit dieser Frage zu befassen. Nur eine Entscheidung des deutschen Parlaments vermag den Soldaten die Rechtssicherheit zu geben, die sie für ihren Auftrag brauchen.
«Express» (Köln): Krieg durch die Hintertür
Es schien alles so klar: Die Bundesrepublik wird sich auf keinen Fall am Irak-Krieg von US-Präsident Bush beteiligen. Eine einfache, eindeutige Position, wie es scheint. Doch der Schein trügt. Der Krieg und seine Auswirkungen kommen zur Hintertür zu uns herein. Zurzeit in Gestalt der AWACS-Aufklärungsflugzeuge, in denen die Deutschen im Rahmen des NATO-Bündnisses ein Drittel der Besatzung stellen. Ohne sie ist das AWACS-System kaum einsetzbar. Der Irak-Krieg und eine seiner Folgen gefährden nun die Einsatzfähigkeit und den Schutz des türkischen Luftraums, obwohl das NATO-Bündnis an diesem Krieg nicht beteiligt ist. Denn wenn die Türkei ins Kurdengebiet im Irak einmarschiert, steigen die Deutschen aus den AWACS-Maschinen aus. Doch das ist eine schwammige Festlegung. Denn türkische Truppen sind bereits seit Jahren in den irakischen Kurdengebieten.
«Der Tagesspiegel» (Berlin): Türkei will Nordirak kontrollieren
Die regierungsamtliche Behauptung, dass sich mit Hilfe der Einsatzregeln für die zu einem Drittel deutschen Awacs-Besatzungen klar trennen ließe zwischen Türkei-Verteidigung und faktischer Mithilfe im Irak-Krieg, verlangt ein gewisses Maß an Gutgläubigkeit. Die Türkei ist mehr als nur ein zufälliger, unbeteiligter Nachbar des Konflikts. Die Türkei hat massive eigene Interessen an der Zukunft des Kurdengebiets im Nordirak. Die Türkei ist auf dem Wege, unter dem Deckmantel einer angeblichen Polizeioperation zur Eindämmung eventueller Flüchtlingsströme Teile des Nachbarlands unter ihre Kontrolle zu bringen. Das alles ist der Bundesregierung nur allzu bewusst. Sie weiß, dass die Awacs in einer Grauzone zwischen Schutz eines Bündnispartners und Unterstützung eines Kombattantenstaates operieren. Jetzt sollen die Deutschen, das hat das Sicherheitskabinett beschlossen, aus den Maschinen aussteigen, wenn die Türkei «Kriegspartei» werden sollte. Und wer bestimmt das? Die Türkei? Die wird sich kaum selbst zum Kombattanten erklären.