Nach der Berliner Großdemonstration gegen die Corona-Politik mehren sich Forderungen nach einer härteren Gangart bei Missachtung von Mindestabstand und Maskenpflicht. Bei der Veranstaltung von gut 20.000 Kritikern der Corona-Politik am Samstag waren die Auflagen bewusst missachtet worden, die Kundgebung wurde schließlich von der Polizei aufgelöst. Der Einsatz zog sich bis in die Nacht hinein.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betonte im Anschluss, Demonstrationen müssten zwar auch in Corona-Zeiten möglich sein. "Aber nicht so. Abstand, Hygieneregeln und Alltagsmasken dienen unser aller Schutz", schrieb er auf Twitter.
Pressestimmen zu den Corona-Demos in Berlin
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Wenn in Berlin 20.000 Esoteriker, Links- und Rechtspopulisten sowie besorgte Bürger in seltsamer Allianz das "Ende der Pandemie" ausrufen, ist das Meinungsfreiheit - so abstrus die Parole auch ist. Nicht tolerabel ist jedoch die mutwillige Missachtung aller Hygieneregeln. Denn damit gefährden die Corona-Leugner die Gesundheit anderer. Unsere Demokratie erlaubt hasserfüllte Debatten und Idiotismus, aber das Virus verzeiht keine Dummheit und Nachlässigkeit. Eine Demo, die vorsätzlich mit allen Corona-Regeln bricht, darf sich nicht wiederholen. Das müssen die Innenbehörden sicherstellen, damit keine "Superspreader-Events" entstehen."
"Augsburger Allgemeine": "Im Corona-Ausnahmezustand hat sich die Gesellschaft bewährt, jetzt droht sie in der Corona-Normalität zu versagen. Es scheint, als ginge uns bereits die Kraft aus, dabei haben wir vielleicht erst einen kleinen Teil eines langen, steinigen Weges geschafft. Doch wir sollten nicht resignieren oder unsere Hoffnung allein auf einen Impfstoff setzen. Von dem weder klar ist, wann, noch ob er überhaupt kommt. Sicher ist dagegen, dass der Herbst kommt. Dann kehren die Urlauber zurück in die Betriebe, dann besuchen Kinder wieder Schulen und Kitas, dann verlagert sich das Leben nach drinnen. In geschlossenen Räumen aber ist die Ansteckungsgefahr höher als an der frischen Luft. Es hilft nichts. Wir müssen uns jetzt zusammenreißen, gleichzeitig muss der staatliche Druck auf die Unbelehrbaren wieder zunehmen. Sonst droht eine zweite Welle, die weit verheerender wird als die erste."
"Kölner Stadt-Anzeiger": "Wer wegen seiner Gesundheits-Überzeugungen gemeinsam mit Rechtsextremen, Reichsbürgern und anderen Demokratieverächtern marschiert, muss sich ernsthaft die Frage nach seinen politischen Koordinaten stellen und danach, von wem er sich da vereinnahmen lässt. Die, die da die Reichskriegsflagge schwenken, Journalisten anpöbeln, führen Meinungs- und Pressefreiheit und Demokratie nur als hohle Worte im Mund. Wenn es eine Gefahr gibt für die Freiheit, dann liegt sie hier."

"Neue Presse": "Staat und Bürger kommen nicht umhin, den Schutz von Leben in Relation zu anderen wichtigen Zielen zu setzen. Anders gesagt: Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben und dabei ein gewisses Restrisiko in Kauf nehmen. Anders wird es nicht gehen, wenn die große Mehrheit mitziehen soll. Das ist auch wichtig im Hinblick auf den hoffentlich bald erhältlichen Impfstoff. Ohne breite Akzeptanz für die Corona-Politik könnten zu viele einen Bogen um die Impfung machen - und damit die möglichst schnelle Rückkehr zu so etwas wie Normalität gefährden."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Bei diesen Anti-Corona-Demonstrationen findet zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört. Mit dabei sind Menschen, die sich im konkreten Fall vom Staat zu stark eingeschränkt fühlen und solche, die wegen der Einschränkungen um ihr kleines Unternehmen fürchten. Dann aber gibt es auch Gruppen, die den Eindruck erwecken, dass es ihnen vor allem darum geht, den ihnen verhassten Staat herauszufordern. Doch genau an dem Punkt muss dieser Flagge zeigen. Werden auf Demos Hygieneregeln missachtet, muss die Polizei einschreiten und notfalls die Demo auflösen - wie jetzt in Berlin geschehen. Das gilt aber auch im Alltag, bei Maskenverweigerern in Bus und Bahn oder bei Spontanpartys. Wo Bitten und nachdrückliche Aufforderungen nicht wirken, müssen tatsächlich höhere Strafen her."
"Rhein-Zeitung": "Es bedarf mehr Konsequenz. Demonstrationen unter Auflagen zu stellen, damit das Grundrecht ausgeübt werden kann, darf danach nicht als Freibrief zum Missachten von Hygiene- und Abstandsregeln aufgefasst werden. Dass die Ordnungshüter in der Vergangenheit großzügig über massenhafte Missachtung der Regeln hinwegsahen, hat auch mit einer weite Bereiche des Alltags erfassenden Sorglosigkeit zu tun. Die Innenstädte sind voll von dicht an dicht das Leben genießenden und feiernden Menschen. Natürlich macht der soziale Kontakt den Menschen aus. Aber er steht in diesen Zeiten unter dem Grundverdacht, sehr konkret tödlich enden zu können. Deshalb war es gut, dass die Polizei nach wiederholten Aufforderungen die Berliner Kundgebung beendete und so lange einschritt, bis auch der harte Kern der Corona-Leugner aufgelöst war."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Rheinpfalz": "Wer glaubt, dass der Staat Corona zum Anlass nehme, um die Menschen zu gängeln und unfrei zu machen, dem sei gesagt: Die Freiheit ist hierzulande auch inmitten der Pandemie so stark ausgeprägt, dass Zehntausende Menschen unbehelligt durch die Hauptstadt marschieren, krude Thesen verbreiten und ihrer Wut Luft machen können. Wenn sie dabei allerdings die Hygiene-Auflagen missachten und dadurch sich selbst und andere in Gefahr bringen, dann ist es nur angemessen, dass der Staat dem Treiben ein Ende setzt."
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Geradezu rücksichtlos verhielten sich rund 20.000 Menschen, die am Wochenende in Berlin gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße gingen. Ohne Abstand, ohne Maske. Und die Polizei ließ sie Stunden lang gewähren. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Verfassungsgut. Wenn allerdings die gesundheitlichen Auflagen dafür vorsätzlich missachtet werden, muss der Staat konsequent einschreiten. Das Gegenteil war der Fall."
"Volksstimme": "Dem Sommer-Genuss der grenzenlosen Freiheit steht nichts mehr im Wege, die Pandemie ist vorbei, Masken endlich runter! Schön wär's, wenn stimmen würde, was Tausende Demonstranten auf dem Marsch in Berlin verkündeten. Die von der erdrückenden Mehrheit der Deutschen unbestrittenen Tatsachen sind leider andere. Doch das prallt bei der seltsamen Mischung von Impfgegnern bis Rechtsextremen ab. Diese Leute sind zwar nicht gegen das Coronavirus immun, aber gegen jedes Argument, das ihrem vermeintlichen Freiheitsdrang entgegensteht. Das ist eine Form von individueller Sabotage, die ein zusätzliches Hindernis für die Eindämmung der Seuche bildet. Vor solchen Fanatikern müsste die Gesellschaft wahrlich mit einem weiteren Corona-Schutzschirm bewahrt werden. Doch das scheint unmöglich: Die Staatsmacht in Form der Polizei ist, weil selbst im Dauerfeuer der Kritik stehend, dazu offensichtlich nicht in der Lage."
Österreich
"Der Standard": "Ein Schwachkopf zu sein verstößt nicht gegen das Gesetz. Das stammt aus einem Hollywood-Film, der schon fast dreißig Jahre alt ist, und sollte in jedem Land gelten. Aber schwachsinnigem Verhalten, das andere gefährdet, dürfen - nein: müssen - Grenzen gesetzt werden. Die Berliner Polizei hat am Samstag vielleicht zu große Langmut bewiesen. Doch Verstand bewiesen die, die nicht nach Berlin kamen. Bei 20.000 Demonstranten ist der Rest der 82 Millionen in der Überzahl. Und das ist dann doch einigermaßen beruhigend."
Tschechien
"Lidove noviny": "Die Demokratie ermöglicht es, Regierungen abzuberufen oder sie zumindest zum Rücktritt aufzurufen. Deshalb gibt es Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit, die auch unter den Bedingungen einer Pandemie aufrechterhalten werden müssen. (...) Trotz aller Bedenken lässt sich sagen, dass die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen ein guter Test für die Demokratie sind. Sie sind etwas, was sich in China nicht abspielen könnte - und wohl auch nicht in Südkorea oder Taiwan. (...) Man kann sagen, dass die deutsche Demokratie diesen Test am Samstag bestanden hat. Die Polizei löste die Protestkundgebung mit rund 20.000 Teilnehmern erst auf, nachdem trotz wiederholter Aufforderungen die Hygieneregeln nicht eingehalten worden waren."