Die einen sagen so, die anderen so. Robert Habeck sagt: "Das fasst mich auch an". Das sei bei allen in seiner Partei so. "Aber trotzdem müssen wir das erklären, was richtig ist."
Gemeint ist die Räumung von Lützerath, die bereits in vollem Gange ist, als der grüne Klimaschutzminister am Mittwochabend im "heute journal" erklärt, was er für richtig hält. "Und richtig war – leider –, die Gasmangellage, eine Energienotlage in Deutschland abzuwehren, auch mit zusätzlicher Verstromung von Braunkohle – und hintenraus den Kohleausstieg vorzuziehen."
Dilemma für Vizekanzler Habeck
Dieser "Kompromiss" – Lützerath wird abgebaggert, andere Dörfer bleiben dafür verschont, und der Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen wird auf 2030 vorgezogen – hinterlässt auch bei den Grünen tiefe Gräben, stellt laut Habeck aber einen absehbaren "Schlussstrich" unter die Braunkohleverstromung in Deutschland dar. "Insofern – mit großem Respekt vor der Klimabewegung – ist meiner Ansicht nach der Ort das falsche Symbol."
Musik, Menschenketten, fliegende Steine: So wehren sich die Aktivisten gegen die Räumung in Lützerath

Für die Grüne Jugend ist Lützerath mehr als das. Das sagt ihr Bundessprecher Timon Dzienus, der an den Protesten gegen die Räumung teilnimmt. Ihn nerve es, dass der Protest in Lützerath als Symbol abgetan und damit delegitimiert werde.
Noch am Mittwochmorgen teilt er von dort ein Selfie, das ihn mit geballter Faust zeigt. "Wir verteidigen Lützerath", schreibt er. Später kritisiert er eine "unheilvolle Allianz gegen das Klima", gemeint sind der Energiekonzern RWE und die Polizei, bis er nach eigenen Angaben auch geräumt wird. "Aber der Protest wird weiter gehen", versichert Dzienus.
Grüner Nachwuchs auf Konfrontation mit Mutterpartei
Der Nachwuchs auf Konfrontationskurs mit der Mutterpartei, Proteste aus der eigenen Klientel: "Das tut auch weh", räumt Habeck ein. Er hatte jenen "Kompromiss" mit dem Energiekonzern RWE im Herbst ausgehandelt, zusammen mit der grünen Wirtschaftsministerin Mona Neubar aus Nordrhein-Westfalen. Beide verteidigten die Pläne damals als Notwendigkeit, einerseits, für das Klima habe man zudem "das Bestmögliche" rausgeholt, andererseits.
Die eigene Basis widerspricht und protestiert gegen die Räumung, auch vor der Partei-Zentrale in Berlin. Derweil wächst die Sorge, eine wichtige Wählergruppe zu verprellen.
"Wir müssen mit der Klimabewegung auch in kritischen Situationen im Austausch bleiben", sagt Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, zur "Süddeutschen Zeitung". Demnach fordere er von seiner Partei einen selbstkritischeren Umgang mit den Forderungen der Aktivisten. "Angesichts der Dramatik der Klimakatastrophe verstehe ich den friedlichen Protest in Lützerath. Das ist legitim", sagt er der Zeitung. Und: "Wir müssen in der Klimapolitik noch grundsätzlicher und härter werden."
In einem offenen Brief, adressiert an Habeck und Neubaur, kritisieren mehrere Grüne den ausgehandelten Deal mit RWE, der "mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen" drohe. Die Räumung von Lützerath könne man "weder verstehen noch hinnehmen" und müsse "sofort und dauerhaft" gestoppt werden. Dahinter können sich bislang mehr als 1000 Basisgrüne versammeln.
Kritik schlägt der Partei auch von Klimaaktivisten entgegen. "Die Grünen haben sich auf einen fatalen Deal mit RWE eingelassen", heißt es etwa in einem Gastbeitrag von Luisa Neubauer und Pauline Brünger für die "taz". Die "Fridays for Future"-Aktivistinnen werfen der Partei vor, die Energiekrise zu "missbrauchen". Man habe gehofft, die Grünen würden die "ökologischen Linien in der Ampel ziehen und verteidigen". Nun seien sie diejenigen, "die sie einreißen wollen".

Sehen Sie im Video: Polizei setzt Räumung von Lützerath gegen 150 Aktivisten fort.
"Der Umweltminister schläft schlecht"
Die Braunkohle-Debatte hatte schon im Oktober einen sichtbaren Riss durch die Partei gezogen. Seinerzeit scheiterte ein Antrag der Grünen Jugend, der ein Moratorium für Lützerath forderte, und das knapp: Sie unterlagen den Befürwortern des Kompromisses mit RWE mit nur 294 zu 315 Stimmen.
Die Partei-Spitze verteidigt zwar die Räumung von Lützerath, versucht die grünen Gemüter aber zu beruhigen. Co-Vorsitzende Ricarda Lang betonte, dass durch die Einigung im rheinischen Revier 2030 Schluss sei mit der Kohle. "Trotzdem habe ich Verständnis für Menschen, die jetzt dort demonstrieren, für Frust und vor allem auch für Druck für mehr Klimaschutz", sagte sie. Ähnlich argumentierte Co-Chef Omid Nouripour.
Für die Grünen startet 2023 – das zum "Jahr des Klimaschutzes" ausgerufen wurde – mit einer Zerreißprobe. Auch Oliver Krischer, Umweltminister in Nordrhein-Westfalen, ist hin und her gerissen. Einerseits verteidigt der Grüne die Vereinbarung, die "das letzte Kapitel beim Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen schreibt." Andererseits räumt er ein: "Das ist eine schwierige Zeit, der Umweltminister schläft schlecht, weil mir das weh tut."
Quellen: "Süddeutsche Zeitung", ZDF-"heute journal", "taz", Offener Brief an Mona Neubauer und Robert Habeck, "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Deutschlandfunk, WDR, mit Material der Nachrichtenagentur DPA