Die Bundesregierung lässt also ein Ermittlungsverfahren gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu. Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in Berlin. Der umstrittene Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, der das Ermittlungsverfahren ermöglicht, soll bis 2018 abgeschafft werden.
Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, begrüßt etwa, dass der Konflikt um Jan Böhmermanns Schmähgedicht jetzt bei der Justiz landet. "Darüber sollen im Rechtsstaat Gerichte entscheiden, nicht Politiker", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Allerdings habe die Kanzlerin in dieser Sache Fehler gemacht, weil sie ohne Absprache mit dem Koalitionspartner SPD agiert habe. "Sie stand zwischen Koalitions- und Staatskrise und hat sich für die Koalitionskrise entschieden." Letztere könne man besser bewältigen.
Weitere Reaktionen im Überblick:
"Ich hätte von unserer Kanzlerin hier eine klar andere Haltung erwartet. Stattdessen werden wir nun Teil der türkischen Satire von Präsident Erdogan."
(Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Chef)
"Das war eine schwierige Entscheidung. Für beide Alternativen gibt es gute Gründe. Die SPD geführten Ressorts haben nach sorgfältiger Überlegung gegen die Erteilung der Ermächtigung gestimmt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Bundeskanzlerin. Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht hätte erteilt werden sollen. Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unserer Verfassung."
(Frank-Walter Steinmeier, Bundesaußenminister der SPD)
"Die Symbolwirkung im Fall Böhmermann ist sehr groß. Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen."
(Christian Lindner, FDP-Chef)
"Bundeskanzlerin Merkel unterwirft sich dem türkischen Präsidenten Erdogan. Sie ermächtigt den Despoten vom Bosporus, den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes vor Gericht stellen zu lassen."
(Sevim Dagdelen, Mitglied Bundestagsfraktion der Linkspartei)
"Wir sind tief enttäuscht, dass die Bundesregierung unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel eingeknickt ist. Diese Form der außenpolitischen Rücksichtnahme ist ein absolut falsches Signal. Satire-, Kunst- und Medienfreiheit dürfen nicht verhandelbar sein."
(Frank Werneke, Vizechef der Gewerkschaft Verdi)

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"Die Entscheidung der Bundesregierung im Fall Böhmermann ist richtig. Satire darf alles, aber nicht jede Beleidigung ist Satire. Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte. Deswegen hat die Bundesregierung hier richtig gehandelt."
(Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion)
"Türkische Journalisten und Künstler werden noch mehr leiden."
(Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament)
"Despoten aller Länder, beeilt euch! Satire ab 2018 wieder erlaubt."
(Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linkspartei)
"Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie."
(Thomas Oppermann, SPD-Fraktionschef im Bundestag)
"Die Bundesregierung nimmt den Rechtsstaat ernst. Auch wenn es manchmal wehtut."
Peter Tauber, CDU-Generalsekretär)
"Unerträglicher Kotau: Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland."
(Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linkspartei)