Kanzler Gerhard Schröder und Rot-Grün trügen mit ihrer Arbeitsmarktpolitik Schuld am Erstarken der NPD, hatte Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber via "Welt am Sonntag" verlauten lassen.
Die Stoibersche Provokation zeigte sofort Wirkung: Allenthalben schrien rot-grüne Politiker empört auf. Montagmittag schlug nun auch Kanzlersprecher Bela Anda zurück. Stoiber habe sich mit seinen umstrittenen Äußerungen zur rechtsextremen NPD auch in den eigenen Reihen isoliert. Mit Ausnahme seiner "Hintersassen" - gemeint sind CSU-Politiker -mache sich auch in der Union niemand Stoibers Einschätzung zu eigen, sagte Anda. Stoiber werde offenbar auch in den eigenen Reihen nicht mehr ernst genommen.
Stoiber bricht überparteilichen Konsens
Die Empörung in Berlin ist auch gerade deswegen so groß, weil Stoiber anfängt, mit dem Kampf gegen die Rechtsextremen Parteipolitik zu betreiben. Er bricht damit den in Berlin vorherrschenden Konsens, das Vorgehen gegen die NPD und andere Rechtsausleger müsse ein gemeinsames Projekt aller gemäßigten Parteien sein.
Grünen-Fraktionschefin Krista Sager tadelte Stoibers Aussage. "Die Argumentation ist verharmlosend und unverantwortlich, weil er damit die Neonazis von der Täter- in die Opferrolle schiebt," sagte sie. Zudem unterstelle der CSU-Chef, Arbeitslose würden den Rechten in Scharen hinterherlaufen. Stoiber bediene ein Thema, das "den Neonazis das Gefühl gibt, sie seien in guter Gesellschaft", so Sager.
Clement nennt Vergleiche mit der Weimarer Zeit "hirnrissig"
"Das ökonomische Versagen der Regierung Schröder, dieses Ausmaß an Arbeitslosigkeit, bildet den Nährboden für Extremisten", hatte Stoiber in einem Interview gesagt. Die Massenarbeitslosigkeit sei "Hauptursache für das Wiedererstarken der NPD". Das Land stehe vor einer Situation wie "seit 1932 nicht mehr".
Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement nannte Vergleiche mit der Weimarer Zeit "hirnrissig" und "abscheulich". Der Vorwurf Stoibers gegen Rot-Grün sei eine Entgleisung, kritisierte er am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen". CDU-Chefin Angela Merkel sagte in der Sendung: "Ungelöste politische Probleme wie die Arbeitslosigkeit stärken immer die Extremen."
Auch Wissenschaftler bestreiten, dass Stoibers Argumente zutreffen. Der Hamburger Politologe Wolfgang Gessenharter hat den Vorwurf zurückgewiesen, die Arbeitsmarktpolitik der Regierung Schröder sei hauptverantwortlich für die NPD-Erfolge. Die Argumente des CSU-Chefs seien "genauso simpel gestrickt wie die Vorwürfe, die wir von der NPD immer wieder hören in Bezug auf die regierenden, auf die herrschenden Parteien", sagte Gessenharter am Montag im NDR.
Spiegel appelliert an Demokraten
Der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, warnte vor unzulässigen Vereinfachungen. Er sagte in der Montagsausgabe der "Leipziger Volkszeitung", die Ursachen für Rechtsradikalismus seien vielfältig. "Sie aber nur auf einen wirtschaftlichen Aspekt zu reduzieren, entspricht nicht den Tatsachen und Erfahrungen."
Spiegel appellierte "an alle demokratischen Parteien in dieser für Gesamtdeutschland so wichtigen Frage, an einem Strang zu ziehen". Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) forderte ein "breites Bündnis gegen Rechts", um den Einzug von Rechtsextremen in den Bundestag zu verhindern. Die Vertreter der demokratischen Parteien sollten in die Hochburgen der NPD gehen und deutlich machen, dass diese Partei keine Beiträge zur Lösung von Problemen wie der Arbeitslosigkeit liefere, sagte Thierse in der Montagsausgabe der "Welt".
CSU hält trotz aller Kritik an dem Vorwurf fest
Trotz aller Kritik hält die CSU an dem Vorhaben fest, die Regierung für das Erstarken der NPD verantwortlich zu machen. Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU), bekräftigte in der "Passauer Neuen Presse": "Ein wesentlicher Grund für den Zulauf bei den Rechtsradikalen ist die Hoffnungslosigkeit vor allem vieler junger Menschen, die keine Aussicht auf Arbeit haben. Da hilft es nichts, dass Rot-Grün wegen ihres wirtschaftlichen Scheiterns diesen Zusammenhang totschweigen und leugnen will."