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Rededuell im Bundestag Advantage: Steinbrück

Verständlich, dass Kanzlerin Merkel nur ein TV-Duell mit Herausforderer Steinbrück will - rhetorisch ist sie ihm klar unterlegen, wie im Bundestag wieder einmal zu besichtigen war.
Von Lutz Kinkel

Das Wort "Wachstum" war häufiger zu hören. Das Wort "Solidität" auch. Der Zusammenhang blieb jedoch unklar, weil in so vielen Krisenstaaten Europas genau das nicht zusammengeht. In Deutschland übrigens auch nicht, sonst läge die gesamtstaatliche Verschuldung nicht bei mehr als zwei Billionen Euro. Aber Kanzlerin Angela Merkel ging es in ihrer Regierungserklärung im Bundestag wie so oft nicht um Zahlen, um konkrete Ziele, um Messbares. Ihr ging es um Begriffe, mit denen sie assoziiert werden möchte. Um positive Begriffe. Solidität und Wachstum. Die Kanzlerin präsentierte sich als eine Art tagcloud, als lebende Stichwortwolke - und machte es damit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück leicht.

Das Ergebnis des Rededuells, dem dritten und letzten, das sich Merkel und Steinbrück im Bundestag lieferten, fiel deshalb eindeutig aus - 1:0 für Steinbrück. Der Kandidat der Sozialdemokraten mag Merkel in vielerlei Hinsicht unterlegen sein, vor allem, was die Professionalität seiner Wahlkampagne und den persönlichen Rückhalt in der Partei betrifft. Aber rhetorisch ist er ihr haushoch überlegen. Das war schon immer so, und deshalb hat Merkel den Vorschlag Steinbrücks, zwei TV-Duelle vor der Wahl abzuhalten, auch sofort zurückweisen lassen. Sie hat in der direkten, verbalen Auseinandersetzung nichts zu gewinnen. Tagcloud gegen Kavallerie. Klar, wem bei dieser Rollenverteilung die Aufmerksamkeit gehört. Und wer die Mundwinkel nach unten zieht.

Der kleine Unterschied

Merkel, deren Regierungserklärung eigentlich der Europapolitik gewidmet sein sollte, wechselte im Minutenrhythmus die Themen. Sie begann mit Syrien, stieg kurz auf die Steuervermeidung multinationaler Konzerne ein, streifte die geplante Freihandelszone zwischen den USA und Europa, die Jugendarbeitslosigkeit in den Nachbarstaaten, redete zur Bankenaufsicht, der EU, dem Beitritt Lettlands zur Eurozone, den Unruhen in der Türkei. Ein Mal immerhin, ein einziges Mal, erlaubte sie sich eine direkte Attacke auf die Opposition, ein paar Minuten Wahlkampf, natürlich ohne den Namen Steinbrück zu erwähnen, wie üblich. "Sie", sagte Merkel in Richtung SPD und Grüne, wollten trotz der höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik "wieder die Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft" belasten. "Wir nicht, und das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns." Merkel ging sogar noch weiter und stellte in Aussicht, den Bürgern in der kommenden Legislaturperiode Geld zurückgeben zu wollen. Unterm Strich war das eine ziemlich plumpe Botschaft: Wählt mich, das tut Eurem Portemonnaie gut.

Steinbrück hörte sich die Rede mit offenem Mund an, verkeilte seinen Rücken im Stuhl, umklammerte mit der rechten Hand die Lehne: eine Art Lauerstellung. Mitunter machte er sich auch Notizen, um seine Konter zu präzisieren. Um 9.37 Uhr stand er endlich am Rednerpult - und ritt in den kommenden gut zwanzig Minuten eine furiose Attacke auf Merkel. Zunächst sagte er etwas, das wohl jedem Zuhörer unwillkürlich durch den Kopf gegangen war: "Man hat den Eindruck, dass man diese Regierungserklärung schon drei, vier Mal gehört hat." Dann geißelte Steinbrück Merkels Europapolitik: Sie habe den Krisenstaaten Europas eine brutale Sparpolitik verordnet und damit einen "Teufelskreis von Sparen, Wachstumseinbrüchen und Arbeitslosigkeit" ausgelöst. Und die Jugendarbeitslosigkeit, wie sie diese denn bekämpfen wolle? Etwa mit den versprochenen sechs Milliarden Euro bis 2020? Während für die Bankenrettung mehr als eine Billion ausgegeben worden sei? Lächerlich, insinuierte Steinbrück.

Sparen sollen die anderen

Natürlich wären Steinbrücks Argumente noch wirkungsvoller gewesen, hätten SPD und Grüne die Euro-Politik Merkels nicht über die gesamte Legislaturperiode hinweg unterstützt. Sie tragen politisch eine Mitverantwortung für den Zustand, in dem sich der Kontinent befindet - und der ist nicht gut. Aber sie tragen keine Mitverantwortung für die schwarz-gelbe Haushaltspolitik, die sich Steinbrück ebenfalls vorknöpfte. Er rechnete vor, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble trotz Rekordsteuereinnahmen über die gesamte Legislaturperiode hinweg 100 Milliarden neue Schulden aufgenommen habe. Und nun, im Wahlkampf, nicht gegenfinanzierte Geschenke in Höhe von 50 Milliarden verteilen wolle. "Der Punkt ist einfach: Sie können nicht mit Geld umgehen. Ja: Genau so ist das", polterte Steinbrück. "Wenn Sie in der Wüste regieren, wird der Sand knapp."

Das war direkte Angriff auf die Begriffe "Wachstum" und "Solidität", die Steinbrück versenkte, als wäre es ein Tontaubenschießen. Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen, legte später noch einmal nach und nannte Merkel "die Schuldenkanzlerin Deutschlands". Selbstredend war das auch der Versuch, ein gängiges Vorurteil gegenüber dem linken Lager umzudrehen, wonach dieses nicht mit Geld umgehen könne. Abwegig ist die These deswegen nicht, denn die schwarz-gelbe Haushaltpolitik war in der Tag nicht ruhmreich. Schäuble hätte den Haushalt viel früher ausgleichen können, wenn er es gewollt hätte. Aber er fühlte sich in der Rolle des Glücksritters, der die gute Konjunktur genießt und die Steuereinnahmen verteilt, naturgemäß wohler. Sparen? Das sollten und sollen immer nur die anderen.

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