Ukraine-Krieg Russland dreht Polen und Bulgarien den Gashahn zu – was heißt das für Deutschland?

Wirtschaftsminister Robert Habeck
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, Deutschland könne binnen Tagen unabhängig von russischem Öl werden. Aber wie sieht es beim Gas aus?
© John MacDougall / DPA
Inmitten der Spannungen rund um den Ukraine-Krieg stoppt Russland die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien. Beide Länder reagieren betont gelassen. Doch was, wenn das Gas demnächst auch in Deutschland ausbleibt?

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben sich die Spannungen zwischen dem Westen und Moskau massiv verschärft. Nun macht Russland eine seiner Drohungen wahr und stellt ab Mittwoch die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Sowohl das polnische Erdgasunternehmen PGNiG als auch das bulgarische Unternehmen Bulgargas teilten mit, von Moskau schriftlich über die "Aussetzung" der russischen Gaslieferungen informiert worden zu sein. Auch der russische Staatskonzern Gazprom bestätigte den Lieferstopp.

Angesichts der neuesten Entwicklungen bei den polnischen Nachbarn, rückt auch in Deutschland ein drohendes Lieferstopp-Szenario spürbar näher. Für den FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff ist das Ganze nur noch eine Frage der Zeit. "Sobald wir uns dem Punkt nähern, an dem wir von russischen Lieferungen unabhängig sind, muss man mit so etwas rechnen, mit solchen politischen Gesten", sagte Lambsdorff im Deutschlandfunk. Er appellierte daran, sich jetzt "nicht einschüchtern" zu lassen, da man sowieso auf dem Weg sei, sich "von diesen Lieferungen zu verabschieden".

Gas-Versorgung in Deutschland gewährleistet

Aus dem Wirtschaftsministerium gab es vorerst Entwarnung. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei derzeit weiter gewährleistet, sagte eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch. "Wir beobachten die Lage genau." Zuvor hatte der Wirtschaftsminister selbst betont, "bei Gas mit Hochdruck daran zu arbeiten, die hohe Abhängigkeit, die Deutschland hier hatte und die ein Fehler war, zu überwinden". Bei seinem Besuch in Warschau kündigte Habeck zudem eine enge Zusammenarbeit im Energiebereich mit Polen an.

Auch die Bundesnetzagentur sieht momentan wenig Anlass zur Sorge. Aktuell werde relativ konstant eingespeichert und demnach würden sich die deutschen Erdgasspeicher langsam wieder füllen, teilte ein Sprecher der Bonner Behörde am Mittwochmorgen mit. Am Montag lag der Füllstand aller deutschen Speicher bei 33,4 Prozent, wie aus dem Lagebericht der Bundesnetzagentur zur Gasversorgung hervorgeht. Der Stand sei demnach vergleichbar mit dem Jahr 2017 und mittlerweile deutlich höher als im Frühjahr 2015, 2018 sowie 2021, so die Behörde.

Seit dem 5. April nimmt der Füllstand laut einer Übersicht der europäischen Speicherbetreiber kontinuierlich zu. Zum Vergleich: Am 18. März waren die Speicher zu 24,2 Prozent gefüllt, der niedrigste Wert des Winters 2021/22. "Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil", betonte die Bundesnetzagentur. Die Gasnetzbetreiber hätten bislang keine Beeinträchtigungen der Gaslieferungen nach Deutschland gemeldet.

Diese Einschätzung wird auch von der Energieexpertin Claudia Kemfert geteilt. Es sei derzeit nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da Deutschland und Europa "ausreichend mit Gas versorgt" seien, sagte die Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Polen und Bulgarien trotz Gas-Lieferstopp entspannt

Trotz des zugedrehten russischen Gashahns ist die Lage auch in Polen und Bulgarien stabil. Für polnische Haushalte werde sich nichts ändern, man sei auf die Situation vorbereitet, verkündete die Regierung in Warschau. "In polnischen Wohnungen wird es keine Gas-Engpässe geben", bekräftigte Polens Klimaministerin Anna Moskwa. "Vom ersten Tag des Krieges (in der Ukraine) an haben wir erklärt, dass wir auf die vollständige Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen vorbereitet sind", erklärte Moskwa. Polen verfüge über die "notwendigen Gasreserven und Versorgungsquellen, um unsere Sicherheit zu schützen". Regierungschef Mateusz Morawiecki betonte, die Gasspeicher in Polen seien zu 76 Prozent gefüllt. Polen sei bereit, "Gas aus allen möglichen anderen Richtungen zu beziehen".

Auch das bulgarische Energieministerium teilte mit, dass die staatlichen Gasversorger Bulgargas und Bulgartransgas "Schritte unternommen haben, um alternative Vereinbarungen für Erdgaslieferungen zu treffen und die derzeitige Situation zu meistern". "Gegenwärtig besteht keine Notwendigkeit, den Verbrauch einzuschränken", fügte das Ministerium hinzu. Bulgarien ist bei einem Jahresverbrauch von rund drei Milliarden Kubikmetern Gas fast vollständig von Russland abhängig. Das Balkanland erhält nur geringe Mengen aus Aserbaidschan. Nun hofft die Regierung in Sofia darauf, diese Lieferungen nach der Fertigstellung einer wichtigen Pipelineverbindung zum benachbarten Griechenland noch in diesem Jahr zu erhöhen.

Als Grund für den Lieferstopp gab der russische Staatskonzern Gazprom an, dass die beiden EU-Mitgliedstaaten keine Zahlungen in Rubel geleistet hätten. Ende März hatte Kremlchef Wladimir Putin gefordert, dass mit Wirkung zum 1. April westliche Staaten Konten bei der Gazprom-Bank eröffnen müssen, um zur russische Gaslieferungen zu bezahlen. Andernfalls würden die Lieferungen für die "unfreundlichen" Länder eingestellt. Nach einem von Putin unterzeichneten Dekret können die Zahlungen jedoch weiter in Euro oder Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Regierungen in Sofia und Warschau betonten, diese Zahlungsverpflichtungen erfüllt zu haben.

Zudem warnte Gazprom am Mittwoch beide Länder davor, russisches Gas anzuzapfen, das über ihr Territorium an andere Länder geliefert wird. "Bulgarien und Polen sind Transitländer. Wenn sie unerlaubt russisches Gas aus den Transitmengen für Drittländer entnehmen, werden die Transitlieferungen in dieser Höhe gesenkt."

Kommt das Öl-Embargo gegen Russland?

Angesichts des inzwischen rund zwei Monate andauernden Krieges in der Ukraine wird in der Europäischen Union derzeit heftig über weitere Energiesanktionen gegen Russland debattiert. Anfang August tritt in der EU bereits ein Kohle-Embargo gegen Russland in Kraft. Mehrere EU-Mitgliedstaaten drängen zudem auf eine Ausweitung des Embargos auf russisches Öl und Gas.

Nachdem sich Deutschland zunächst gegen eine solche Ausweitung ausgesprochen hatte, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag bei einem Besuch in Warschau, dass er davon ausgehe, dass Deutschland die Unabhängigkeit von Öllieferungen aus Russland innerhalb weniger Tage erreichen könne.

Auch die Untersuchung des Energieexperten Steffen Bukold für die Umweltorganisation Greenpeace kommt zum Ergebnis, dass ein Ölembargo gegen Russland für Deutschland verkraftbar wäre. Die Folgen für die Ölpreise wären voraussichtlich begrenzt. Ein Embargo wäre wirksam und würde Russland treffen, heißt es darin.

DPA · AFP
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