Grünen-Politikerin Russlands Einfluss in der EU wächst "im Netz und über gekaufte Eliten". Doch viel gefährlicher ist China

Altkanzler Gerhard Schröder (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin
Freunde mit gewissen Vorzügen: Altkanzler Gerhard Schröder (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin
© Maxim Marmur / AFP
Seit Russland die Schlinge um die Ukraine immer enger zieht, wächst in Europa die Gefahr von gezielter Desinformation. Wieso besonders Deutschland dafür anfällig ist, erläutert die Grünen-EU-Abgeordnete Viola von Cramon-Taubadel im Gespräch mit dem stern.

Russlands Einfluss in Europa ist seit dem aufgeflammten Ukraine-Konflikt in aller Munde. Als Mitglied des INGE-Sonderausschuss im EU-Parlament beschäftigen Sie sich schon länger mit ausländischer Einflussnahme. Was sind die Ziele des Ausschusses, Frau von Cramon?

Der Ausschuss wurde ins Leben gerufen, weil wir schon seit längerer Zeit beobachten, dass verschiedene Länder – Russland natürlich am offensichtlichsten – ein Interesse daran haben, unsere Wahlen zu manipulieren, auf unsere Medien Einfluss zu nehmen und unser öffentliches Leben zu destabilisieren. Das kann dazu führen, dass es in einigen Staaten an die Fundamente der Demokratie geht.

Unsere Aufgabe als Ausschuss war es daher zunächst herauszufinden, mit welchen Bedrohungen wir es zu tun haben, wer die Akteure sind, auf welchen Ebenen die Einflussnahme stattfindet – im Netz, in den Medien, in der Schule, in der Wissenschaft, über gekaufte Eliten usw. – um dann in einem zweiten Schritt festzustellen, was die EU schon dagegen macht und wo sie besser werden muss.

Nach gut 18 Monaten Arbeit hat der Sonderausschuss kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der den europäischen Regierungen und der Öffentlichkeit ein "auf überwältigende Weise" mangelndes Bewusstsein für ausländische Einmischung diagnostiziert. Sie sagen im Prinzip, die EU sieht die Einflussnahme nicht als Problem an, weil sie gar nichts von ihr weiß. Woher kommt dieser blinde Fleck?

Ich glaube, dass dies teilweise am einzelnen politischen Willen scheitert. Es gibt einige Regierungen, die haben gar kein Interesse an Aufklärung, weil sie selbst auch mit Desinformation und Manipulation arbeiten und keine unabhängige Presse zulassen wollen. Zudem wird oft erst zu spät gesehen, mit welchen Gefahren die Einflussnahme verbunden ist.

Ich sehe es beispielsweise als wichtiges Zeichen, dass nun dem russischen Sender RT untersagt wurde in Deutschland zu senden. Doch diesen nur zu verbieten, reicht nicht. Man muss auch erklären, dass es sich dabei um eine Institution der russischen Regierung handelt, die systematisch ein falsches Bild von Deutschland zeichnet und daher unserer Idee einer freien unabhängigen Presse widerspricht.

Sie haben den russischen Sender RT erwähnt. Auf welchen anderen Wegen versucht Russland Einfluss in der EU zu nehmen?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Wege sind extrem vielfältig. Zum einen sehen wir gerade sehr deutlich, dass es Russland erfolgreich gelingt, politische Eliten auch in Deutschland zu vereinnahmen (im Sinne des englischen "capturing") – Herrn Schröder, Herrn Platzek, aber auch Frau Schwesig oder Herrn Sellering, um nur ein paar Namen zu nennen. Diejenigen sind anscheinend in der Lage, eine militärische Bedrohung auszublenden und nach wie vor der Lobby für eine Gasleitung die Bühne zu überlassen, was ich absolut unverantwortlich finde.

Viola von Cramon-Taubadel

Viola von Cramon-Taubadel

Die Grünen-Politikerin Viola von Cramon-Taubadel (51) sitzt seit 2019 als Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET), im Sonderausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland (INGE) sowie stellvertretende Vorsitzende in der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine.

Zum anderen durch Parteienfinanzierung. Wir sehen, wie teils rechte, teils linke (aber immer anti-EU) Parteien mit finanziellen Mitteln unterstützt werden – oder wie im Fall der AfD mit Plakaten und Broschüren über private Stiftungen in der Schweiz verdeckt Einfluss genommen wird. Vieles deutet daraufhin, dass große Summen für diese Materialbereitstellung aus unklaren Quellen stammen, möglicherweise auch von russischen Oligarchen.

Aktuell stehen rund 130.000 russische Soldaten an der Grenze der Ukraine. Könnte Russlands Desinformationskampagne mit über die Frage entscheiden, ob es in Europa Krieg gibt?

Niemand weiß, was Russland vor hat. Ich glaube, dass Putin selbst auch nicht wirklich weiß, was er will. Die Frage ist, braucht er in den nächsten Jahren einen Krieg, um innenpolitisch zu überleben oder geht es nur darum, uns – die Nato, den Westen, die Ukraine – weiter zu erpressen. Inzwischen hat der russische Außenminister Lawrow selbst Irland vorgeworfen, Russland zu bedrohen. Man kann ja viel sagen, aber dass irische Fischer mit Minibooten die russische Marine bedrohen, ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Diese Geschichten zeigen, dass Russland sein Blatt gerade überreizt. Aber wir sehen, dass viele Länder um uns herum die russische Bedrohung sehr ernst nehmen und deswegen glaube ich, ist es gut, wenn wir uns einerseits an deren Seite stellen und andererseits auch selbst alle Vorkehrungen für den Ernstfall treffen.

Ist Deutschland gerade deshalb anfälliger für russische Einflussnahme, weil wir uns noch nicht so eindeutig positioniert haben, wie zum Beispiel andere Nachbarstaaten?

Was Desinformation angeht, würde ich sagen ja, weil dieses Narrativ eines 'starken Russlands' bei uns durchaus noch verbreitet ist. Es gibt Teile in der Bevölkerung, die zeigen viel Verständnis für vermeintliche Sicherheitsbedingungen Russlands. Ich kann das nicht teilen, weil ich nicht sehe, dass die Nato an irgendeiner Stelle eine Bedrohung für Russland dargestellt hat.

Mit Beginn der Coronakrise kam es in Europa vor allem aus China zu massiven Desinformationskampagnen. So wurden beispielsweise Journalist:innen und Aktivist:innen an Veröffentlichungen zum Virusursprung gehindert, weil die Regierung in Peking dies gern vertuschen wollte. Inwiefern unterscheidet sich die chinesische von der russischen Einflussnahme?

Anders als Russland geht China sehr systematisch vor. Einerseits schreibt China den eigenen Diplomaten vor, wie sie aggressiv gegen andere Länder vorzugehen haben. Bisher war es absolut unüblich, dass Botschafter das Land, indem sie selbst zu Gast sind, angreifen. Das hat sich massiv verändert. Andererseits versteht es die Regierung in Peking sehr gut, systematisch eigene Medien zu kreieren, bestehende zu kaufen und den öffentlichen Raum zu nutzen, um ein positives Bild von China zu zeichnen. Das Problem ist, dass es unglaublich schwierig ist überhaupt zu entdecken, inwiefern Einfluss auf Redaktionen genommen wird, wer genau hinter welchen Social-Media-Kanälen steckt und wohin überall chinesisches Geld fließt, um Stimmungen in der Gesellschaft zu beeinflussen.

Zudem baut China auch in unseren Bildungseinrichtungen seinen strategischen Einfluss immer weiter aus – vom Kindergarten bis zur Hochschule. An Konfuzius-Instituten soll hierbei nicht nur die chinesische Sprache, sondern auch das Mindset einer Überlegenheit des chinesischen Systems vermittelt werden. Das heißt, im Gegensatz zu Russland ist China viel geschickter, viel strategischer und viel effizienter in seiner Einflussnahme – und dadurch bis zu einem gewissen Grad auch gefährlicher.

Der INGE-Bericht zeigt, dass die Gefahr ausländischer Einflussnahme in unseren Demokratien allgegenwärtig ist. Welche Maßnahmen empfiehlt der Sonderausschuss der EU?

Wir müssen auf den verschiedenen Ebenen dafür sorgen, dass das Bewusstsein gesteigert wird und wir eine Art Widerstandskraft entwickeln, damit die entsprechenden Akteure – von Politikern bis zu Lehrerinnen – diesen Einfluss erkennen und entkräften können.

Erstens soll das verstärkt über die sogenannte EU East StratCom Task Force des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) geschehen, die dazu dient, Desinformationskampagnen aufzudecken und darüber zu informieren. Diese Analyseeinheit, die aktuell aus rund 30 Leuten besteht, muss so verbessert werden, dass sie stärker über die chinesische Einflussnahme berichtet, dass sie sich mit den EU-Mitgliedsstaaten und Institutionen stärker vernetzen kann und selbst unabhängiger agieren kann.

Zweitens ist der Digital Service Act ein erster Schritt, um die großen Online-Plattformen mit einem legislativen Rahmen transparenter zu machen. Da ist aber noch sehr viel Musik drin, da die Verbreitung von Desinformation speziell über die Social-Media-Kanäle sehr erfolgreich ist. Zudem müssen wir auch in EU-Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn, wo die Pressefreiheut bedroht wird, unabhängige Journalistinnen und Journalisten schützen, die an der Aufdeckung von ausländischer Einflussnahme arbeiten.

Zu guter Letzt brauchen wir einen Rechtsrahmen für Sanktionen. Im Moment sind die Kosten für diejenigen, die den Schaden verursachen, sehr gering. Wir müssen klarstellen – ähnlich wie bei Menschenrechtsverletzungen – dass, wenn jemand in schädlicher Weise auf unsere Demokratien Einfluss nimmt, dass das Konsequenzen hat.