Oktober 2006
Nach einer siebenstündigen Nachtsitzung im Kanzleramt verschiebt die Koalition die Einführung des Gesundheitsfonds auf das Jahr 2009. Die umstrittene Obergrenze von ein Prozent des Jahreseinkommens für Zusatzbeiträge bleibt, allerdings können die Kassen Beträge bis zu acht Euro im Monat ohne Prüfung einziehen. Bundeskanzlerin Merkel freut sich über den Durchbruch auf dem Weg zu einer "weit reichenden Reform" "Das ist ein guter Kompromiss", sagt Kurt Beck. "Es gibt noch eine ganze Reihe von Wirkungen, die wir prüfen müssen", sagt Edmund Stoiber.
Hörbeitrag: Hans-Ulrich Jörges zur Gesundheitsreform
Januar 2007
Die gesetzlichen Krankenkassen erhöhen ihre Beitragssätze um durchschnittlich einen Prozentpunkt. Edmund Stoiber sagt in einem Interview, dies sei zwar "ungehörig", er könne diesen Schritt aber verstehen. Nun sei es an der Politik, endlich Entscheidungen zu treffen. "So kann es nicht weitergehen. Wir müssen das Reformtempo deutlich erhöhen."
Ende Januar 2007
Nachdem sich drei Arbeitsgruppen der großen Koalition nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag für einen Gesetzestext einigen können, setzt Angela Merkel ein Spitzengespräch der Koalitionsparteien an. Die Verhandlungen ziehen sich über 13 Stunden hin. Beteiligte versichern hernach, man habe relativ schnell Einigkeit erzielt; es habe nur deshalb so lange gedauert, weil Edmund Stoiber sich aus dem Kanzlerbüro ausgesperrt hatte und man bedauerlicherweise sein Rufen und Klopfen über Stunden hinweg nicht gehört habe. Vor der Presse betont Kanzlerin Merkel, die Koalition sei auf dem Weg, "unser Gesundheitssystem grundlegend umzugestalten, einen riesigen Schritt vorangekommen". Die Einführung des Fonds werde mit Rücksicht auf mögliche Probleme bei der Umsetzung auf das Jahr 2012 verschoben. Kurt Beck sagt, es sei ein Erfolg für die SPD, dass die Ein-Prozent-Regel nicht angetastet werde; mit der Regelung, dass die Kassen Zusatzbeträge zwischen sechs und 60 Euro pro Monat ohne Prüfung einziehen dürfen, könne er leben. "Das ist ein guter Kompromiss." Edmund Stoiber sagte allerdings einschränkend: "Es gibt noch eine ganze Reihe von Wirkungen, die wir prüfen müssen." Davon werde er seine endgültige Einwilligung abhängig machen. Er hoffe, dies sei die letzte Sitzung dieser Art gewesen, "ich habe schließlich auch noch Familie."
April 2007
SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wird vermisst gemeldet. Solange nicht geklärt sei, was mit ihr passiert ist, werde ihr Posten nicht neu besetzt, teilt Bundeskanzlerin Merkel mit, "das gebietet der menschliche Anstand". Edmund Stoiber bietet an, das Gesundheitsreformgesetz in seinem Gesundheitsministerium ausarbeiten zu lassen. Sein Vorschlag wird abgelehnt. Kurz darauf wird SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach festgenommen. Er war gewaltsam in Schmidt Büro eingedrungen und hatte versucht, sich an ihrem Schreibtisch anzuketten.
August 2007
Bei einem Geheimtreffen am Rande der Wagner-Festspiele in Bayreuth verabreden Merkel, Stoiber und Beck, wegen unvorgesehener Schwierigkeiten bei der Umsetzung den Zeitplan für die Gesundheitsreform "leicht zu modifizieren" (Merkel). Der Fonds werde nun verbindlich zum 1.1.2015 eingeführt. "Auf drei Jahre mehr oder weniger sollte es uns bei einer Jahrhundertreform wie dieser nicht ankommen", sagt Beck nach dem Treffen. Für die SPD sei es wichtig, dass es bei der Ein-Prozent-Regel bleibe. Sie werde allerdings "leicht flexibilisiert". Die Kassen könnten nun zwischen zwei und 200 Euro pro Monat ohne Einkommensprüfung von den Versicherten zusätzlich einziehen. "Das ist ein guter Kompromiss." Auch Edmund Stoiber zeigte sich "im Prinzip erfreut". Die Vereinbarung der Spitzenrunde, sich künftig nur noch in München zu treffen, gehe "eindeutig in Richtung Durchbruch". Ob der Kompromiss bei der Gesundheitsreform trage, müsse sich allerdings noch zeigen. "Es gibt noch eine ganze Reihe von Wirkungen, die wir prüfen müssen", sagte Stoiber.

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November 2007
Die vorgesehene Kabinettsentscheidung über den Text zur Gesundheitsreform muss verschoben werden. Der vom Sozialministerium erarbeitete Vorschlag sei zwar "handwerklich einwandfrei", sagt Edmund Stoiber, aber über die Einschnitte bei den privaten Krankenkassen müsse man "bei Gelegenheit noch mal reden. Das geht so nicht, wie ich das beschlossen habe".
Januar 2008
Die gesetzlichen Krankenkassen erhöhen ihre Beitragssätze um durchschnittlich 2.5 Prozentpunkte. Damit sei die "Grenze des Erträglichen deutlichst überschritten", sagt Edmund Stoiber in einem Interview. "Die Bundesregierung muss endlich handeln und zwar sofort."
Frühjahr 2008
Die Beteiligung bei den Wahlen in Hessen und Niedersachsen fällt unter 40 Prozent. Nach dem Einzug der NPD in beide Landtage regieren nun auch in Wiesbaden und Hannover Große Koalitionen. Edmund Stoiber verlangt ein umgehendes Krisentreffen der Koalitionsspitze für den kommenden Mittwoch. Da der FC Bayern ein Champions-League-Spiel habe, könne er daran nicht persönlich teilnehmen, "first things first", er werde aber seinen Generalsekretär Markus Söder schicken. Nach dem Treffen in der Münchner Staatskanzlei teilt Angela Merkel mit, dass die privaten Krankenkassen "vorläufig" von der Reform ausgenommen werden, der Fonds dagegen "vermutlich" wie vereinbart 2015 starten könne. "Bei uns in der Pfalz sagt man: Nu mer net huudle", sagt Kurt Beck. Die SPD werde prüfen, ob sie der Union bei der Ein-Prozent-Regel noch etwas entgegenkommen könne. "Aber eins ist klar: Die Eins muss stehen", sagt Beck. "Das ist ein guter Kompromiss." Angela Merkel sagte: "Ich glaube, wir nähern uns dem Durchbruch." CSU-Generalsekretär richtete "herzliche Grüße" seines Parteivorsitzenden aus sowie die Botschaft: "Es gibt noch eine ganze Reihe von Wirkungen, die wir prüfen müssen."
Sommer 2008
Im niedersächsischen Uelzen wird ein offenkundig verwirrter älterer Herr aufgegriffen, der permanent "Scheiß-Gesundheitsreform, Scheiß-Gesundheitsreform" brüllt. "Lasst mich los, ich bin der SPD-Fraktionsvorsitzende", herrscht er die ihn festhaltenden Beamten an. Er wird in die psychiatrische Landesklinik eingeliefert. Dort liefert er sich hitzige Wortgefechte mit einer Patientin, die behauptet, die Gesundheitsministerin zu sein.
Oktober 2008
Nach den Wahlen in Bayern verfehlt die CSU die Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen um 0,023 Prozentpunkte. Edmund Stoiber führt dies auf "das unwürdige, endlose Gezerre um die Berliner Gesundheitspolitik" zurück und verlangt umgehend ein klärendes Treffen der Koalitionsrunde. "So kann das einfach nicht weitergehen." Leider seien er, aber auch sein Generalsekretär Söder durch die Kabinettsbildung in Bayern so beansprucht, dass sie in den nächsten Monaten nicht selbst an einem Spitzengespräch teilnehmen könnten; er werde jedoch seinen Referenten schicken, "der hat die Zahlen sowieso alle aufgeschrieben".
November 2008
Nach einem zweieinhalbtägigen Koalitionsgespräch teilen Bundeskanzler Koch und SPD-Chef Beck leicht übernächtigt mit, dass sich die Koalitionsparteien darauf verständigt hätten, die Gesundheitsreform auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben. "Es ist mir eine große Freude, Ihnen sagen zu können, dass mir der Fonds egal wie Worschtsupp´ ist", sagt Koch. "Und zwar flexibel 100-prozentig", ergänzt Beck. Fragen werden keine zugelassen. Stoiber meldet sich aus München per Pressemitteilung. Überschrift: "Gesundheitsreform - Durchbruch endlich erreicht."