Noch befindet sich Deutschland im Corona-Lockdown. Trotzdem werden vermehrt Rufe nach einer konkreten Öffnungsstrategie laut. Nun legt Schleswig-Holstein vor: Die schwarz-grün-gelbe Landeskoalition in Kiel hat einen konkreten Vorschlag für einen abgestuften Lockerungsplan im Fall einer Verbesserung der Coronalage in den kommenden Monaten vorgelegt. Wie die Regierung am Dienstag mitteilte, sieht er vier Stufen vor, die sich an den bekannten Inzidenzstufen 100, 50 und 35 orientieren. Dazu kommen ergänzende Erwägungen wie die Lage auf Intensivstationen, die Impfquoten und epidemiologische Faktoren, wie die mögliche Verbreitung von neuartigen Mutationen.
Für die Zeit nach dem 14. Februar brauche es einen Plan, der sich an den Inzidenzzahlen orientiere, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in Kiel. Das nördlichste Bundesland ist damit das erste, das einen solchen konkreten Plan vorlegt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte zuvor schon angekündigt, Schulen und Kitas öffnen zu wollen, wenn die Lage es zulasse. Auch von der Bundesregierung ist bisher kein solch konkreter Öffnungsplan bekannt.
So sieht der Vier-Stufen-Plan aus
Auch die Frage, wie lange die Inzidenzwerte durchgehend erreicht werden müssen, bevor eine neue Stufe aktiviert wird, spielt dabei eine Rolle. Dabei gibt es Phasen von sieben beziehungsweise 21 Tagen.
Konkret sehen die Stufen laut Landesregierung so aus:
Stufe IV: Der Inzidenzwert liegt über 100:
In dieser Stufe werden keine Änderungen gegenüber dem Status quo vorgesehen.
Stufe III: Der Inzidenzwert liegt sieben Tage stabil unter 100:
- Es ist erlaubt, sich mit maximal fünf Personen aus zwei Hausständen zu treffen. Ausnahmen gelten für Kinder bis 14 Jahre.
- In den Kitas beginnt ein eingeschränkter Regelbetrieb.
- Die Jahrgänge 1 bis 6 an den Schulen starten in den Wechselunterricht, liegt der Wert 21 Tage stabil unter 100, erfolgt Präsenzunterricht. Für die Jahrgänge 7 bis 13 bleibt es – mit Ausnahme der Abschlussklassen – beim Distanzlernen.
- Grundlegende körpernahe Dienstleistungen werden wieder erlaubt. Das betrifft insbesondere Friseure.
- Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, die derzeit nur von einer jeweils registrierten Person besucht werden können, dürfen – getrennt – zwei Besucher empfangen, wenn diese Personen nicht zu einem Haushalt gehören. Die Testpflicht bleibt bestehen.
- Sportanlagen für den Individualsport im Außenbereich werden nach 21 Tagen stabiler Inzidenz unter 100 wieder geöffnet. Zu diesem Zeitpunkt dürfen auch Zoos und Wildparks ihre Tore wieder öffnen.
Stufe II: Der Inzidenzwert liegt sieben Tage stabil unter 50:
- Die Kitas wechseln in den Regelbetrieb, die Klassenstufen 1-6 haben wieder Präsenzunterricht und die Klassenstufen 7-13 an den Schulen gehen in den Wechselunterricht, Abschlussklassen in den regelhaften Präsenzbetrieb. Bleibt der Inzidenzwert weitere 14 Tage lang unter 50, findet auch in den Klassenstufen 7-13 wieder Präsenzunterricht statt.
- An den Hochschulen sind wieder praktische Lehrveranstaltungen erlaubt. Präsenzprüfungen sind mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Hygieneauflagen wieder möglich.
- Auch der Einzelhandel kann mit Auflagen wie der Maskenpflicht und einer Zugangsbeschränkung (zum Beispiel 10 Quadratmeter je Person) wieder öffnen. Dasselbe gilt für weitere körpernahe Dienstleistungen wie die kosmetische Fußpflege, Nagelstudios oder Maniküre.
- Ebenfalls mit Auflagen kann auch die Gastronomie wieder öffnen. Erlaubt ist zunächst die Bewirtung von 50 Prozent der nach dem jeweiligen Hygienekonzept zulässigen Sitzplätze. Die Öffnungszeiten sind noch von 5 bis 22 Uhr beschränkt.
- In Krankenhäusern und Pflegeheimen darf Besuch von maximal zwei Personen gleichzeitig empfangen werden. Hier gilt weiterhin die Pflicht, einen negativen Corona-Test vorzulegen.
Stufe II: Der Inzidenzwert liegt 21 Tage lang stabil unter 50:
- Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze können ihren Betrieb auch für touristische Zwecke wieder aufnehmen – unter Einsatz von Corona-Schnelltests. Dafür wird ein Testregime erarbeitet.
- Die Begrenzung der Gästezahl in der Gastronomie wird aufgehoben; die Abstandsregel bleibt bestehen.
- Theater, Konzerthäuser und Kinos können für einzelne Schulgruppen wieder öffnen.
- Fitnessstudios mit Kapazitäts- und Nutzungsbegrenzung dürfen öffnen.
- In kontaktarmen Sportarten können feste Sportgruppen für Kinder bis zwölf Jahre mit maximal zehn Personen zugelassen werden, außerdem öffnen Sportanlagen für Individualsport im Innenbereich.
- Die Grenze zur Anzeigepflicht für Veranstaltungen religiöser Gemeinschaften wird angehoben.
- Jugend- und Freizeittreffs mit festen Gruppengrößen können wieder Aktivitäten anbieten.
Stufe I: Der Inzidenzwert liegt sieben Tage stabil unter 35:
- Es dürfen sich wieder bis zu zehn Personen aus mehreren Haushalten treffen.
- Die Schulen wechseln wieder vollständig in den Regelbetrieb. An den Hochschulen sind Präsenzlehr- und Erstsemester-Veranstaltungen in Gruppen zulässig. Präsenzprüfungen finden unter Hygieneauflagen statt. Bibliotheken öffnen unter Hygieneauflagen.
- Veranstaltungen mit Sitzungscharakter und streng begrenzter Teilnehmerzahl sind mit Hygienekonzept wieder zulässig.
- Für die Gastronomie wird die Gästebegrenzung aufgehoben, die Auslastung der Lokalitäten orientiert sich an der Abstandsregel. Auch Bars und Kneipen dürfen wieder öffnen – Gäste müssen dabei feste Sitzplätze haben, ein Hygienekonzept ist erforderlich, die Kontaktdaten der Gäste müssen erhoben werden. Bei einer stabilen Entwicklung des Inzidenzwertes entfällt nach 21 Tagen die Sperrstunde für die Gastronomie.
- Im Breitensport ist der Kontaktsport bei Bildung fester Gruppen nach 21 Tagen wieder erlaubt. Nach sieben Tagen öffnen Hallen- und Spaßbäder sowie Saunen wieder.
- Auch Freizeitparks dürfen wieder öffnen, Ausflugsschiffe wieder ablegen.
- Theater, Konzerthäuser oder Kinos dürfen nun auch für die Allgemeinheit öffnen, allerdings mit einer begrenzten Personenzahl.
- Sportveranstaltungen im Profi- wie im Amateurbereich dürfen wieder mit einer zunächst begrenzten Zuschauerzahl stattfinden, wenn der Inzidenzwert 21 Tage unter 35 liegt.
- Für religiöse Veranstaltungen wird die Teilnehmerzahl angehoben.
- Für Pflegeheime und Krankenhäuser sollen – abgesichert durch ein Hygienekonzept – erweiterte Besuchsmöglichkeiten gelten.

"Wir haben vorgelegt, jetzt ist der Bund am Zug"
Mit diesem Stufenplan will Günther nun auch bei seinen Kolleginnen und Kollegen im Bund und in den Ländern werben. Er sprach von einem "Vorschlag" in der nun beginnenden Debatte um einen "Perspektivplan" für die kommenden Monate. Kiel hoffe dabei auf bundesweit einheitliche Regelungen. "Unser Ziel ist eine bundesweite Regelung. Nur dann können wir sicherstellen, dass die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern hoch bleibt." Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) ergänzte: "Wir haben vorgelegt, jetzt ist der Bund am Zug."
Günther warnte zugleich vor übertriebenen Erwartungen an einen solchen Plan. Er habe zwar Verständnis, das nach Monaten des Lockdowns jeder Bereich so schnell wie möglich wieder an den Start gehen wolle. Es gehe aber nicht um "einen Terminkalender" mit festen Stichtagen. "Diesen Anspruch kann und wird Politik nicht erfüllen", sagte der Ministerpräsident mit Blick auf die unklare weitere Entwicklung. Es gehe darum, "vorsichtig" zu sein und die Gesundheit der Menschen weiterhin "in den Mittelpunkt" zu stellen.
Darüber hinaus gehe es dabei auch nicht um kurzfristige Schritte, betonte Günther unter Verweis auf die aktuelle Situation. "Es ist keine Öffnungsstrategie, es ist auch nicht von Lockerungen zu reden im Moment", fügte er an. Es gehe darum, den Bürgern in der Pandemie "eine klare Richtung zu geben" und "besser zu erklären", auf welche Ziele hingearbeitet werde. Auf dem letzten Gipfel von Bund und Ländern sei dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden.
Schleswig-Holstein wolle darüber hinaus keinen Sonderweg gehen: "Ich bin aber überzeugt, dass unser Vorschlag die Blaupause für eine bundesweite Verständigung sein kann", so der Ministerpräsident.
Günther betonte jedoch, dass der Perspektivplan nur umgesetzt werden könne, wenn sich die Bevölkerung weiter an die Regeln halte. Die Landesregierung werde daher in Zukunft noch stärker kontrollieren.
Corona-Mutation in Flensburg, Ausbruch in Pinneberg
Schleswig-Holstein ist im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen. Nach aktuellen Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat das Land zwischen Nord- und Ostsee einen Sieben-Tage-Inzidenzwert von 92,5. Die höchsten Werte haben Thüringen und Sachsen-Anhalt mit Sieben-Tage-Inzidenzen von mehr als 180. Insgesamt hat Schleswig-Holstein mit seinen rund 2,9 Millionen Einwohnern 794 Todesfälle durch Covid-19 zu verzeichnen, 34.530 Infektionen mit dem Coronavirus wurden seit Beginn der Pandemie dort gemeldet.
Allerdings gibt es in zwei schleswig-holsteinischen Kreisen besorgniserregende Corona-Ausbrüche: Im Kreis Pinneberg wurden die Corona-Restriktionen verschärft, nachdem der Landkreis eine Sieben-Tage-Inzidenz hatte, die an der 200er-Marke kratzte. Nach Angaben des RKI liegt diese momentan bei 194,2. In den vergangenen sieben Tagen wurden dort 614 Infektionen registriert. Die Mehrzahl der Fälle sei auf ein diffuses Infektionsgeschehen zurückzuführen.

Sorge auch in Flensburg. In der Stadt an der dänischen Grenze war die sogenannte britische Mutation des Coronavirus bei mehreren Menschen nachgewiesen worden. Die Stadt kam relativ gut durch die Pandemie, seit dem Jahreswechsel verzeichnet die Stadt aber einen starken Anstieg an Neuinfektionen. Die Förde-Stadt hat daher die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit verschärft, nachdem auch sie einen Inzidenzwert um die 200 hatte. Inzwischen liegt dieser laut RKI bei 170,8.
Die sich rasant in Großbritannien ausbreitende Virus-Variante ist Experten zufolge nicht nur leichter übertragbar, sondern möglicherweise auch tödlicher. Sie ist bereits in verschiedenen Ländern nachgewiesen worden.
Quellen: Nachrichtenagentur AFP, Landesregierung Schleswig-Holstein, Robert-Koch-Institut