Schwarz-gelbe Koalition Weihnachtsmänner in Katerstimmung

"Mehr Netto vom Brutto" - das haben sich Union und FDP auf die Fahnen geschrieben. Doch langsam macht sich Katerstimmung breit. Drei CDU-Schwergewichte stellen jetzt die große Steuerreform in Frage.

Hieß es nicht jahrzehntelang, die Sozialdemokraten könnten mit Geld nicht umgehen? Die Union hingegen stehe für solides Wirtschaften? Hat dieser Eindruck nicht auch die Bundestagswahlen 2009 beeinflusst? Wenn es so war, dann ist es höchste Zeit umzudenken. Die schwarz-gelbe Koalition liefert sich derzeit ein Wettrennen in finanzpolitischer Geisterfahrerei. Die Ausgaben für Bildung sollen steigen. Die Ausgaben für Entwicklungshilfe auch. Gleichzeitig brechen die Steuereinnahmen weg. Die Sozialkassen brauchen wegen steigender Arbeitslosigkeit immer höhere Zuschüsse. Und die Staatsverschuldung erreicht Rekordniveau.

Dennoch beharren FDP und CSU auf einer großen Steuerreform im Jahr 2011 - die jährlich bis zu 24 Milliarden Euro kosten würde. Dass die Reform komme, sei "bombensicher", sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Auch FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle schwörte an diesem Wochenende wieder einen Eid auf die Reform. Allein: Wie das Ganze bezahlt werden soll, darüber mag niemand reden. Zu hören sind nur vage Hoffnungen, dass eine Entlastung die Wirtschaft schon wieder ankurbeln und die öffentlichen Kassen sanieren werde.

Oettinger, Wulff, Koch

Die Ministerpräsidenten der Länder aber können von der Hoffnung allein nicht leben. Sie dürfen wegen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse im Jahr 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Weil dieses Ziel schon allein bei unveränderten Steuersätzen extrem schwer zu erreichen ist, morsen sie nun FDP und CSU zu: Vergesst es mit der großen Steuerreform. Am klarsten formulierte dies Günther Oettinger, CDU, Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Entlastungen bis zu 24 Milliarden Euro seien "absolut unvorstellbar", sagte er dem "Focus". Oettinger hat das Privileg, sich relativ frei äußern zu können - er geht 2010 als neuer Energiekommissar nach Brüssel und muss deswegen keine Rücksichten auf die FDP nehmen.

Christian Wulff, CDU, Ministerpräsident von Niedersachsen, äußerte sich moderater, aber mit gleicher Stoßrichtung. "Ich werde in den nächsten Jahren nur Beschlüssen zustimmen, bei denen die Bürgerentlastungen im Einklang stehen zu Zukunftsinvestitionen und Konsolidierung der Haushalte", sagte er der Nachrichtenagentur dapd. Ausdrücklich verwies Wulff in dem Interview darauf, dass alle im Koalitionsvertrag verabredeten Maßnahmen - also auch die große Steuerreform - unter Finanzierungsvorbehalt stünden. Hessens Ministerpräsident Roland Koch sagte, es gäbe im Koalitionsvertrag keine Verbindlichkeit über die Wörtchen "soll" und "möglichst" hinaus. Auch das lässt sich als Absage an die Steuerpläne von FDP und CSU verstehen.

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen

Dass der Widerstand der CDU-Ministerpräsidenten nicht noch viel deutlicher ausfällt, ist dem Umstand geschuldet, dass in Nordrhein-Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten Bundesland, im Mai gewählt wird. Jürgen Rüttgers, CDU, muss dort das Amt des Ministerpräsidenten verteidigen, andernfalls würden sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dramatisch zuungunsten von schwarz-gelb verschieben. Rüttgers Wahlkampf soll nicht durch lautstarke Streitereien gefährdet werden. Also lautet die offizielle Losung: Es müssen zunächst die Ergebnisse der Steuerschätzung 2010 abgewartet werden, die - natürlich - erst nach der NRW-Wahl auf dem Tisch liegen. Zudem zerbricht sich eine eigens eingesetzte Kommission den Kopf über das Projekt Steuerreform. So lässt sich die Vertagung der heiklen Steuerfrage begründen. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte das in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FaS) die "Ankündigung eines Wahlbetrugs".

Weil den Haushältern in Bund und Ländern indes klar ist, dass sie schon jetzt mit leeren Händen dastehen, stimmen sie sowohl die Bevölkerung als auch die spendierfreudigen Koalitionspartner FDP und CSU auf härtere Zeiten ein. Die große Steuerreform könnte in einer vorwiegend kosmetischen Lösung enden, die zwar den versprochenen Stufentarif bringt, aber nur die kalte Progression bereinigt. Auf der anderen Seite steigen täglich politische Testballons auf, wie sich sparen respektive die Einnahmen erhöhen ließen. In der CDU wird über eine Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung diskutiert, die von den Wirtschaftsverbänden allerdings strikt abgelehnt wird. Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, brachte im "Focus" eine Kürzung der Leistungen für Familien ins Spiel, ohne seine Vorschläge weiter zu konkretisieren. In Berlin ist an einer Straßenecke von einem Wegfall der Pendlerpauschale die Rede, an einer anderen von der Erhöhung der Mehrwertsteuer und einer PKW-Maut. Finanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, hält sich vorerst bedeckt und wird erst nach der NRW-Wahl die Instrumente auspacken. Seine lapidare Erklärung gegenüber der "FaS": "Wer jetzt schon alles verrät, läuft Gefahr, dass später alles zerredet wird."

Kommunen im Eimer

Unterdessen nähern sich die die Kommunen bereits dem finanzpolitischen Koma. Wie Stephan Articus, der Präsident des Deutschen Städtetages, der Agentur dapd sagte, rechnen die Kommunen 2010 mit einem Rekorddefizit von elf Milliarden Euro, weil die Einnahmen aus der Gewerbesteuer wegbrechen und gleichzeitig die Sozialausgaben steigen. Laut Articus sind die Konsequenzen jetzt schon zu besichtigen: In Wuppertal müssten Schwimmbäder, Schulen und das Stadttheater geschlossen werden, Oberhausen werde für überschuldet erklärt und dürfe keine Auszubildenden mehr einstellen. Das in dieser Situation die kommunalen Gebühren steigen werden, darf als gesichert gelten. Articus: "Die derzeitige Finanzmisere der Kommunen ist beispiellos in der Nachkriegsgeschichte."

"Mehr Netto vom Brutto"? Die Weihnachtsmänner der schwarz-gelben Koalition sind jetzt schon, nach dem jüngst verabschiedeten "Wachstumsbeschleunigungsgesetz", in Katerstimmung. Die Wähler werden es auch bald sein.

Mit Agenturen