Es scheint, als habe sich ordentlich Frust angestaut bei Sigmar Gabriel. "Mangelnde Wertschätzung" erfahre er aus der SPD-Spitze für seine Arbeit, ließ der geschäftsführende Außenminister Reporter der "Funke-Mediengruppe" nach den Koalitionsverhandlungen wissen. Das klingt nach schwerer Kränkung und sie ist verständlich. Der vielfach kritisierte Seitenhieb auf den "Mann mit den Haaren im Gesicht" – ob nun misslungener Witz oder übles Nachtreten gegen seinen Noch-Parteichef – ist da nur ein weiteres Indiz.
Er, Gabriel, der seit über einem Jahr Deutschlands Chefdiplomat ist – in den Koalitionsverhandlungen in einem Handstreich abserviert. Ein Bauernopfer der konfusen Personalpolitik der Sozialdemokraten?
Doch die SPD in diesen Zeiten wäre nicht die SPD, wenn die Welt eine Woche später nicht schon wieder komplett anders aussehen würde: Plötzlich ist Martin Schulz der Abservierte, nachdem er allzu oft die Rolle rückwärts aufgeführt hatte. Und Sigmar Gabriel? Ist wieder im Spiel. Trotz seines Frust-Interviews.
Längst werden in der Partei Stimmen laut, man möge Gabriel auch im neuen Kabinett berücksichtigen. "Es spricht (…) alles dafür, dass er auch in einer künftigen Bundesregierung das Amt des Außenministers ausübt", sagte zum Beispiel der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, dem "Handelsblatt". Auch von Johannes Kahrs, prominenter Vertreter des konservativen "Seeheimer Kreises" in der SPD, ist ähnliches zu lesen: "Sigmar Gabriel sollte Außenminister bleiben. Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen", teilte er mit. Die beiden sind nicht Gabriels einzige Fürstreiter.
Auch viele Gegner in der SPD
In den rund 13 Monaten an der Spitze des Auswärtigen Amtes hat Sigmar Gabriel seine Bewerbung für vier weitere Jahre abgegeben. Umtriebig, unkonventionell, unaufgeregt – der 58-Jährige schien die Rolle seines Lebens gefunden zu haben und verdiente sich in dem Amt Respekt, selbst bei politischen Gegnern. Dem Ansehen Deutschlands in der Welt hat seine Arbeit sicher nicht geschadet. Und auch die Bevölkerung goutiert sein Auftreten: Auf der Beliebtheitsskala der "Forschungsgruppe Wahlen" liegt Gabriel sogar vor Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das hätte vor ein, zwei Jahren wohl kaum einer vorausgesagt.
Welchen Grund gibt es dann eigentlich, künftig auf Gabriel in der Regierung zu verzichten? Kurz: die SPD. Denn gänzlich unumstritten ist der frühere Vorsitzende in der Partei bei weitem nicht. Andrea Nahles, Martin Schulz, Ralf Stegner Olaf Scholz, Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer – die Liste seiner Widersacher ist lang, wie unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" eindrucksvoll darstellt. Als Parteichef gab es viele Gelegenheiten, es sich mit prominenten SPD-Köpfen zu verscherzen und Gabriel hat viele davon genutzt. Auch nachdem er im stern erklärte, auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur zu verzichten, eckte Gabriel im Wahlkampf an, mischte sich ein und fuhr Martin Schulz in die Parade.
Dennoch: Das Gerücht, dass Schulz Gabriel den Außenministerposten auch nach der Bundestagswahl zugesagt habe, hält sich weiter hartnäckig. Aber die Parteispitze will Erneuerung. Passt der bisweilen unbequeme Außenminister aus der alten Garde da noch ins Konzept? Gabriel jedenfalls äußerte sich enttäuscht, "wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt".
Andrea Nahles trug Ausbooten Sigmar Gabriels mit
Es könnten also Eitelkeiten in der SPD sein, die eine zweite Amtszeit Gabriels im Außenministerium verhindern – das Zitat von Gabriels Tochter über den "Mann mit den Haaren im Gesicht" befeuert die parteiinternen Querelen und Bedenken noch, Bedauern hin oder her. Klar ist auch: Sigmar Gabriel bleibt unberechenbar, weitere Querschüsse oder Alleingänge sind nicht ausgeschlossen.
Das weiß auch Andrea Nahles. Die SPD-Chefin in spe trug das Ausbooten Gabriels mit und sie wird irgendwann sagen müssen, wen sie gerne im Außenministerium hätte und welchen Preis sie für die Erneuerung der Partei zu zahlen bereit ist. Offizielle SPD-Linie ist, dass über Ämter nicht vor der Mitgliederabstimmung zum Koalitionsvertrag entschieden werden soll, Diskussionen über Posten könnten diesen ansonsten überlagern, so die Befürchtung.
In Wirklichkeit passiert jedoch genau das schon längst, trotz des Zwischenrufs von Generalsekretär Lars Klingbeil: "Jedem in der SPD muss klar sein, dass die Zeit der öffentlichen Personaldebatten jetzt vorbei ist", sagte er dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Wer zu unfairen Mitteln greift, nimmt sich damit selbst vom Platz." An wen diese Warnung adressiert ist, dürfte klar sein.
Daheim in Goslar wird Gabriel all dies mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Durch den Abgang von Martin Schulz werden die Karten in der SPD neu gemischt. Und wie man zurück auf die große Bühne kommt, das weiß Sigmar Gabriel. Totgesagt war er schon oft.