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SPD-Führung Parteichef Gabriel bleibt (vorerst)

Die Gerüchte um einen Rücktritt Gabriels zogen einen Hagel Dementis nach sich - die gesamte Parteispitze hat sich mit ihm solidarisiert. Dafür rückte ihm auf der Gerechtigkeitskonferenz Putzfrau Neumann auf die Pelle.

Das war ein heißes Wochenende - auch für die deutsche Sozialdemkratie. Am Freitag hatte der stern über Gerüchte berichtet, wonach Parteichef Sigmar Gabriel sein Amt in den kommenden Wochen hinschmeißen könnte. In der SPD werde nur noch die Frage "Schulz oder Scholz" diskutiert, hatte ein Informant dem stern gesagt. Gemeint sind Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident und Olaf Scholz, Erster Bürgermeister Hamburgs. Am Sonntag präzisierte Focus-Herausgeber Helmut Markwort, Schulz sei für die Kanzlerkandidatur vorgesehen, Scholz werde Parteichef. Markwort berief sich ebenfalls auf eine ungenannte Quelle. Daraufhin glühten in der SPD-Parteizentrale die Telefondrähte.

Praktisch die gesamte Parteispitze sah sich gezwungen zu dementieren. "Quatsch" (Justizminister Heiko Maas), "Absoluter Quatsch" (Olaf Scholz), "Dummes Zeug" (NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft), "Kein Grund, herumzuspekulieren" (SPD-Generalsekretärin Katarina Barley). Auch Gabriel selbst meldete sich zu Wort. "Dass man in Deutschland nicht mal mehr krank werden darf als Politiker, ohne dass einer dummes Zeug erzählt, hat mich auch bisschen überrascht", sagte er dem TV-Sender RTL. Er hatte wegen einer Hauterkrankung alle Termine bis Sonntag abgesagt.

Gabriel im Candy-Storm

Wenn die Gerüchte einen Effekt hatten, dann den, dass Gabriel plötzlich im Candy-Storm stand. Offenkundig will die SPD-Spitze zu diesem Zeitpunkt keine Personaldiskussion führen. Gabriel bleibt damit bis auf Weiteres das, was er ist: Parteichef und potentieller Kanzlerkandidat. Bestätigt wurde, wie vom stern gemeldet, dass der Kanzlerkandidat spät, also wohl erst im Frühjahr 2017 ausgerufen werden soll. Das Wahlprogramm soll im Sommer 2017 fertig sein. Das würde den Wahlkampf auf eine kurzen Schlagabtausch reduzieren.

Als eine Art Kick-Off für das Wahlprogramm lud die SPD an diesem Montag zu einer Konferenz ins Willy-Brandt-Haus. Der Medienandrang war enorm, aber Gabriel, der wieder genesen zu sein scheint, vermied es, auch nur einen Halbsatz zu den Rücktrittsgerüchten zu sagen. Dafür intonierte er schon im ersten Satz seiner Rede das Thema, mit dem die Sozialdemokratie 2017 in die Wahl ziehen wird. "Was sind Staaten anderes als große Räuberbanden, wenn es in ihnen keine Gerechtigkeit gibt?", fragte er, den römischen Kirchenlehrer Augustinus zitierend. Mithin wird sich die SPD abermals auf ihren Markenkern besinnen, die soziale Gerechtigkeit. Auf dem Parteitag im Dezember hatte es noch so ausgesehen, als wollte Gabriel - zum großen Ärger der Parteilinken - eine betont auf die gesellschaftliche Mitte zugeschnittene Kampagne fahren mit Themen wie wirtschaftliche Prosperität, Innere Sicherheit und steuerpolitischer Zurückhaltung. Nun ist er wieder da, wo Peer Steinbrück 2013 bereits war. Dass nur noch 32 Prozent der Deutschen der SPD eine Kompetenz in Fragen der sozialen Gerechtigkeit beimessen würden, sei ein "Alarmsignal", sagte Gabriel. Die Botschaft war klar: Fürchtet Euch nicht. Ich werde nicht versuchen, Merkel 2.0 zu werden.

Megathema soziale Gerechtigkeit

In einer zum Teil launigen, zum Teil selbstkritischen Rede ("Fehler zu machen ist nicht schlimm, sie nicht zuzugeben ist schlimm") wurde Gabriel erstaunlich konkret. So bezeichnete er es als "Fehler", Einkünfte aus Kapital geringer als Arbeitseinkommen zu besteuern - eine Regelung, die Steinbrück als Finanzminister eingesetzt hatte. Das müsse die SPD korrigieren, sollte sie wieder an der Regierung sein. Auch für die seit gefühlten Ewigkeiten geplante Finanzmarkttransaktionssteuer hat Gabriel Pläne: Sie solle eine europäische Steuer werden, deren Erträge in Investitionen in Süd- und Osteuropa fließen. Bislang kann die EU auf keine eigenen Steuereinnahmen zurückgreifen. Darüber hinaus sprach sich Gabriel die Einführung einer Bürgerversicherung, weitere Investitionen in Bildung und eine bessere Absicherung im Alter aus. Es gäbe in der Gesellschaft einen großen Hunger nach Gerechtigkeit, die SPD müsse sich fragen, ob sie diesen immer begreife, sagte Gabriel. Manchmal wirke sie wie eine "emotional ermüdete Partei" im Hamsterrad der Sozialreparatur. "Wir sind ein bisschen zu viel Staat und zu wenig soziale Bewegung."

Wer glaubte, damit sei es nun genug mit der SPD-Kritik, wurde nach der Rede eines Besseren belehrt: Gabriel lieferte sich auf dem Podium eine Debatte mit der Putzfrau und Betriebsrätin Susanne Neumann. Sie war mal in der Talkshow "Anne Will" aufgetreten und genießt seitdem eine gewisse Popularität. NRW-Regierungschefin Kraft setzte sich persönlich dafür ein, dass Neumann in die SPD eintritt. "Die SPD sinkt ja immer weiter ab", sagte Neumann zu den Beweggründen für ihren Eintritt. "Aber wenn die SPD weg ist, haben wir ja überhaupt nix mehr." Das waren die letzten freundlichen Worte, die sie zu liefern hatte.

Trockene Konter von Putzfrau Neumann 

Dann berichtete Neumann von den Zuständen in ihrer Branche, von den konkreten Auswirkungen der Agenda 2010, von befristeten Arbeitsverträgen und gegängelten  Mitarbeitern, die sofort rausgeworfen würden, wenn sie sich mal krank meldeten. "Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat?", fragte Neumann trocken. Gabriel erwiderte, dass die SPD nur in der Regierung gestalten könne - aber einige Reformen an der Union scheitern würden. "Warum bleibt ihr dann bei den Schwatten?" wollte Neumann wissen, wofür sie tosenden Applaus bekam. Offenkundig hat die Basis, wie so oft in der Geschichte der SPD, das Gefühl, sie verrate in der Regierung ihre politische Seele.

Gabriel konterte, dass es ohne die Große Koalition zum Beispiel nicht den Mindestlohn gegeben hätte. Neumann ließ sich jedoch nicht aus dem Kozept bringen und sagte, ohne Regierung wäre das Vertrauen der Wähler größer. "Ich soll also raus aus der Groko ..." sinnierte Gabriel. Aber wie könne er dann weiter Sozialpolitik umsetzen? "Wenn eine Reinigungskraft Dir das sagen könnte, wie Du das hinkriegst ..."  - und wieder hatte  Neumann die Lacher und den Applaus auf ihrer Seite. Mit ihren staubtrockenen Repliken aus der Arbeitswelt beschrieb sie genau das, woran die SPD, allen Anstrengungen zum Trotz, leidet: den auch von Gabriel eingeräumten "tiefen Vertrauensverlust".

Das 20-Prozent-Ghetto

Und auch wenn der Parteivorsitzende bleibt - Markwort sagte an diesem Montag, er könnte auch instrumentalisiert worden sein, um einen Rücktritt zu verhindern - so wird die Debatte um Gabriel kaum aufhören. Einige in der Partei glauben nicht mehr daran, dass es ihm gelingen wird, die SPD aus dem 20-Prozent-Ghetto zu führen, sondern befürchten einen weiteren Absturz. Die Lage des Vorsitzenden bleibt fragil.

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