Der SPD-Wirtschaftsexperte Hermann Scheer hat das Verfahren zur Nominierung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten kritisiert. "Ich hätte es sehr viel besser gefunden, wenn die Nominierung Steinmeiers in einer normalen Vorstandssitzung abgelaufen wäre", sagte Scheer stern.de. Vertreter des linken Parteiflügels, zu dem auch Scheer gerechnet wird, kritisieren intern den Verfall von Parteistrukturen. Aus Parteikreisen hieß es, dass mit der plötzlichen Entscheidung für Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten die Gremien der Partei ausgebremst worden seien.
Auch auf der Klausurtagung der SPD am brandenburgischen Schwielowsee wurden Unstimmigkeiten zwischen SPD-Vorstandsmitgliedern und der Parteiführung deutlich. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa kamen der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, Frank-Walter Steinmeier, die beiden anderen Vizevorsitzenden Andrea Nahles und Peer Steinbrück sowie Peter Struck etwa drei Kilometer vom Tagungsort entfernt in einem Privathaus zusammen. Dem Vernehmen nach wurde der Beginn der eigentlichen Beratungen mit allen Teilnehmern deshalb auf 12.30 Uhr verschoben. Teilnehmer hatten sich verärgert darüber gezeigt, dass sie die Entscheidung für eine Kanzlerkandidatur Steinmeiers aus den Medien erfahren hatten und nicht erst die zuständigen Gremien informiert worden seien.
Auch Struck wurde dem Vernehmen nach von der Entscheidung überrascht, die Kandidatur Steinmeiers bereits an diesem Sonntag bekanntzugeben. Verschiedene Sozialdemokraten verwiesen darauf, dass Beck und Steinmeier noch in den letzten Tagen betont hätten, an dem verabredeten Zeitplan werde festgehalten. Der Außenminister hatte am vergangenen Freitag in einem Interview versichert, das Spitzenamt für 2009 sei noch nicht an ihn herangetragen worden.
Der Berliner Politikwissenschaftler Peter Grottian kritisierte ebenfalls die Entscheidung für den Außenminister. "Die Nominierung Steinmeier war unausweichlich, aber sie wird der Partei nur ein kleines Zwischenhoch bescheren", sagte der emeritierte Professor der Freien Universität im Gespräch mit stern.de. "Die SPD hat nicht verstanden, warum sie so tief im Keller steckt. Es gibt keinen Politikwechsel bei den Sozialdemokraten. Die Partei hat nicht verstanden, dass Hartz IV eine tiefe Demütigung der Menschen darstellt. Das hat ihr den Identitätsverlust bei den Wählern eingebracht." Grottian gilt als einer der profiliertesten Linken unter Deutschlands Wissenschaftlern. Er kritisierte auch die Zurückhaltung des linken Parteiflügels innerhalb der SPD. "Außer den Äußerungen von Andrea Nahles habe ich nichts gehört, was der Nominierung Steinmeiers wirklich klar entgegen gewirkt hätte."
Der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende Garrelt Duin hat die Nominierung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten dagegen begrüßt. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Steinmeier ist der Wunschkandidat der niedersächsischen SPD. Die Entscheidung löst in der SPD eine Aufbruchstimmung aus, die uns dauerhaft nach vorn bringt."
Der Hamburger SPD-Vorsitzende Ingo Egloff erhofft sich von der Entscheidung für Außenminister Frank-Walter Steinmeier wieder mehr Geschlossenheit der Partei. Er hoffe, die Richtungsdebatte in der SPD sei damit beendet und die Partei könne nun die für einen Erfolg bei der Bundestagswahl erforderliche Disziplin aufbringen, sagte er am Sonntag dem Radiosender NDR-Info. Steinmeier sei sein Wunschkandidat.