Spionageaffäre Kanzleramt erklärt US-Geheimdienste zu Schmuddelkindern

Deutsche Geheimdienste sollen sich von ihren US-Kollegen auf Anweisung des Kanzleramts fernhalten. "Irgendwann muss auch mal gut sein", poltert Innenminister de Maizière. Washington schweigt weiter.

Wegen der mutmaßlichen US-Spionagefälle verschärft Berlin den Ton gegenüber Washington. Die Ausreiseaufforderung an den obersten Vertreter der US-Geheimdienste in Deutschland sei "angemessen und nüchtern", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstagabend in den ARD-Tagesthemen. "Irgendwann muss auch mal gut sein."

Das habe es "so noch nicht gegeben", sagte de Maizière. Washington solle die Maßnahme als Signal verstehen, dass es wichtigere Aufgaben gebe als die Ausspionierung Verbündeter. "Wir müssen auch aufpassen, dass nicht andere Dienste und andere Staaten, die ganz andere Dinge in Deutschland tun, sich ins Fäustchen lachen, wie das deutsch-amerikanische Verhältnis gestört wird."

Vor einer Woche war bekannt geworden, dass ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Verdacht steht, mehr als 200 Dokumente an die USA verkauft zu haben. Am Mittwoch bestätigte die Bundesanwaltschaft, dass es einen weiteren mutmaßlichen Spionagefall gibt, betroffen ist das Verteidigungsministerium. Als erste Konsequenz hatte die Bundesregierung am Donnerstag den obersten Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland zur Ausreise aufgefordert.

Justizminister Mass droht mit Konsequenzen

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte die USA auf, alle Spionageaktivitäten gegen Deutschland offenzulegen. "Die Amerikaner müssen jetzt aktiv zur Aufklärung der Vorwürfe beitragen, die im Raum stehen. Sie sollten reinen Tisch machen", sagte der SPD-Politiker der "Passauer Neuen Presse". "Dazu gehört eine klare Aussage über eventuelle weitere Spionagefälle, von denen wir möglicherweise noch nichts wissen. Und vor allem: Wir brauchen die verbindliche Zusicherung aus Washington, dass diese Praxis ein für alle Mal beendet wird."

Nach Einschätzung von Maas müssen Spionageaktivitäten der USA in Deutschland Konsequenzen haben, denn Ausspähen und Freundschaft passten nicht zusammen. "Die Amerikaner brauchen ein klares Stoppsignal. Wir müssen ihnen klar machen: Bei uns gilt nicht das Recht des Stärkeren, Sondern die Stärke des Rechts. Wenn sie sich bei uns nicht an die geltenden Regeln halten, dann wird auch gegen sogenannte Freunde strafrechtlich ermittelt. Das gilt ebenso für mögliche Auftraggeber."

"Förderprogramm für Anti-Amerikanismus"

Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung erließ das Kanzleramt eine Anweisung an alle deutschen Geheimdienste, die Zusammenarbeit mit amerikanischen Partnerdiensten bis auf weiteres auf das Notwendigste zu beschränken. Damit seien alle Kooperationen gemeint, die nicht die unmittelbaren Sicherheitsinteressen Deutschlands, wie etwa die Sicherheit deutscher Soldaten in Afghanistan oder bei anderen Auslandseinsätzen, sowie die Abwehr von terroristischen Bedrohungen betreffen.

SPD-Fraktionschef Oppermann äußerte sich im SWR-Radio in einem Interview, das am Sonntag ausgestrahlt werden soll. Die US-Geheimdienstpolitik sei "ein Förderprogramm für den Anti-Amerikanismus in Europa", sagte er darin laut einer Vorabmeldung vom Freitag.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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USA schweigen weiterhin

Die US-Regierung nahm bislang keine Stellung zu den Vorwürfen. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki sagte aber, sie erwarte, dass US-Außenminister John Kerry "in den kommenden Tagen" mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Möglichkeit zu einem Gespräch haben werden.

Mit einigen Tagen Verzögerung macht inzwischen auch der US-Kongress Druck auf Präsident Barack Obama, sich der Affäre anzunehmen. "Die Situation fängt an, außer Kontrolle zu geraten", sagte der republikanische Senator Jim Risch, der im Geheimdienstausschuss sitzt, am Donnerstag zu AFP. Deutschland sei für die Vereinigten Staaten ein "sehr wichtiges Land". Daher müsse der Präsident sich "substanzieller einbringen".

Auch der demokratische Senator Tim Kaine, Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Beziehungen, sieht Obama in der Pflicht. "Ich denke definitiv, dass der Präsident bei diesem Thema den direkten Kontakt mit Angela Merkel haben sollte", sagte Kaine zu AFP. Die Beziehung mit Deutschland sei "zu wichtig", um sie mit einer Spionageaffäre zu beschädigen.

DPA · Reuters
kis/AFP/DPA/Reuters