Es ist Donnerstag, kurz vor sechs am späten Nachmittag. Die Sonne scheint. Trinwillershagen ist picobello hergerichtet. Die 1377 Einwohner haben sich Mühe gegeben. In einem Garten spielen Kinder halb nackt auf der Wiese, die Eltern sitzen auf Plastikstühlen auf der Terrasse. Es ist heiß. In einer Pferde-Koppel bürsten zwei blonde Mädchen zwei glückliche Pferde mit geflochtenen Schweifen. Trinwillershagen ist heute Abend ein ostdeutsches Postkarten-Idyll - auch wenn auf der Straße Polizisten mit stechendem Blick jede Bewegung verfolgen, auch wenn sie Straßensperren errichtet haben, auch wenn sich auf dem Dach eines Beton-Turms ein schwarz-gekleideter, vermummter Scharfschütze auf seinen Einsatz vorbereitet. Trinwillershagen erhält heute hohen Besuch, fast den höchsten denkbaren Besuch: Am frühen Abend soll George W. Bush zum Grillen kommen, mitsamt Gattin Laura. Alles wartet.
Bush landet beim SV Rot-Weiß Trinwillershagen
Bushs Gastgeberin ist zwar eigentlich Kanzlerin Angela Merkel, aber an diesem Abend ist ein anderer Herr im Haus: Olaf Micheel. Ihm gehört die Gaststätte "Zu den Linden", in seinem Hof werden schon jetzt drei Grillspieße gedreht, drumherum springen junge Männer mit Jagdhüten. Das postum berühmt gewordene Wildschwein ist zum Teil in Alufolie gewickelt, es sieht schon jetzt reichlich gar aus. Weiter hinten haben sie eine Bar errichtet, an der Lübzer Pils ausgeschenkt wird. Fünfzig Meter von dem Ort der Grillparty entfernt liegt der Fußballplatz des "SV Rot-Weiß Trinwillershagen", direkt an einer Straße. Bushs Ankunft mit dem Helikopter soll live im Fernsehen übertragen werden. Eigentlich kann so jeder Deutsche dabei sein, wenn die Bushs in die "politische Heimat" der Kanzlerin kommen, wie die Sprachregelung lautet, die Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gerne verwendet. In Trinwillershagen selbst hat die Bundesregierung allerdings nur wenige Journalisten zugelassen. Bis der Präsident eintrifft werden sie in einem hüfthoch holzvertäfelten Raum des Vereinsheims untergebracht. Die Gardinen sind orange, hier stehen die Pokale, hier hängen die Urkunden, die sich die tapferen Fußballmannschaften aus Trinwillershagen im Laufe der Jahre erspielt haben. Es sind auch die Trophäen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) "Rotes Banner", des DDR-Musterbetriebs, der früher mit dem Dorf gleich gesetzt wurde.
Limousinen mit Nummernschildern aus Washington D.C.
Ein Bild zeigt die glorreiche Mannschaft, mit der die LPG im Jahr 1976/77 in die DDR-Liga aufstieg. "Das Wunder von Trin" haben sie in roten Lettern in einem bogenförmigen Schriftzug darüber geschrieben. Zu DDR-Zeiten besuchte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht Trinwillershagen, heute kommt der amerikanische Präsident. Bush will kommen, um zu sehen, wie sich Biografien seit dem Zusammenbruch der DDR gewandelt haben, wie die Freiheit genossen wird. Die Trophäen, jedenfalls, die sind geblieben. Aber die wird der mächtige Mann aus Washington ohnehin nicht sehen.
Er scheint bald zu kommen. Auf der Straße vor dem Fußballplatz wird die Dichte an Männern mit schrankähnlichen Figuren, schnittigen Sonnenbrillen und dunklen Anzügen von Minute zu Minute größer. Soldaten mit weißen Kappen, weißen Handschuhen und eng anliegenden, dunklen Uniformen sind zu sehen. Sie sind die Zeremonienmeister der US-Streitkräfte. Andere Soldaten schrauben amerikanische und deutsche Standarten auf die Kotflügel der beiden dunklen Limousinen, die vor dem Sportplatz in Position gebracht werden. "Washington, D.C." steht auf den Nummernschildern. Auch auf dem Fußballplatz steht einer der schön Uniformierten. Ein reichlich absurdes Bild.
Vor einer Absperrung in Sichtweite des Fußballfelds haben Trinwillershagener mit Kind und Kegel Position bezogen. Einer hat eine US-Flagge mitgebracht. Vor dem Spielfeld beziehen nicht nur Polizisten und Soldaten Position, sondern auch ein furchteinflößender Secret-Service-Mann, der aussieht wie eine gelungene Mischung aus Schwarzeneggers Terminator und Mr. Smith aus Matrix.
"They are so proud"
Dann beginnt das Spektakel. Hubschrauber, die plötzlich wie dicke Hummeln am Himmel auftauchen, setzen auf dem Spielfeld zunächst das Presse-Corps des Weißen Hauses ab, Bushs Leib-Journalisten, und fliegen schnell wieder davon. Dann landet die Maschine des Präsidenten, sie ist elegant, hellgrün und weiß lackiert. Stargast George W. Bush steigt mit Gattin Laura aus. Er winkt. Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer eilen auf die Bushs zu. Merkel trägt, ganz leger, eine helle Jeans. Herr Sauer, der Chemie-Professor, ist im flotten Freizeithemd gekommen. Dass er überhaupt gekommen ist, ist für Bush eigentlich die allergrößte Ehre. Laura hat Herr Sauer am Vormittag das Ehegatten-Programm allein absolvieren lassen. Aber einerlei. Bush winkt erneut, die Trinwillershagener jubeln, sie drücken auf die Auslöser ihrer Kameras, von der Grillstelle her ertönt Blasmusik. Wonderful! Merkel deutet auf zwei blitzblanke Traktoren, die ganz idyllisch vor dem Vereinsheim parken und sagt irgendetwas, das sie mit dem Satz "They are so proud!" abschließt.

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Bush herzt Kinder
Bush winkt wieder und geht den Dorfbewohnern entgegen. Er herzt Kinder, scherzt, legt das graue Jacket ab, soll ja alles ganz casual sein. In Trinwillershagen gibt sich der wohl mächtigste Mann der Welt ganz volksnah. Fast zehn Minuten dauert das Wonnebad, dann ruft Bush: "Thank you all!" Auch für ihn beginnt jetzt das, worauf er sich nach eigenem Bekunden schon den ganzen Tag gefreut hat: den Grillabend. Bush ist derjenige, der das erste Stück anschneiden darf. Anschließend schenken ihm die Trinwillershagener einen Jagdhut. Punkt 20.45 Uhr steigen George und Laura dann in den Hubschrauber, der sie in ihr Hotel nach Heiligendamm bringt. Die Hummeln verlassen das Dorf.
Spätestens am Freitag wird in Trinwillershagen wieder so etwas wie Normalität eingekehrt sein. Das Schwein ist dann gegessen, der Präsident und die Kanzlerin sind weg, die Sicherheitsleute auch, und die Presse ohnehin. Im Glaskasten, der vor dem Vereinsheim hängt, wird allerdings schon über die nächste Herausforderung informiert, die der Ort noch am selben Tag bewältigen muss: Der "SV Rot-Weiß" spielt gegen den SV Rövershagen. Auf dem nunmehr weltpolitisch relevanten Fußballfeld. Am Freitag. Um 18.30 Uhr.