stern-Chefredakteur Wundervolle Rettung – Gregor Peter Schmitz über eine journalistische Schatzsuche im kolumbianischen Regenwald

Das aktuelle stern Cover
Für die aktuelle Titelgeschichte reiste stern-Reporter Jan Christoph Wiechmann nach Kolumbien und sprach mit den Rettern und der Familie der vermissten Kinder
© stern
Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über die große stern-Recherche zu den verschollenen Kindern im Regenwald Kolumbiens. Außerdem: eine urlaubsreife Ampelkoalition.

Journalismus ist oft mühsame Schreibtischarbeit, ist Aktenwühlen, ist Quellenstudium, ist Kommatarecherche. Aber er ist bisweilen auch: eine Schatzsuche. Der stern ist für diese Art des Journalismus, die auch immer etwas von Abenteuerreise hat – eine Reporterin, ein Reporter ziehen los in die Welt und sehen, wie sich deren Wunder finden und beschreiben lassen –, immer berühmt gewesen, manchmal berüchtigt. Ein besonders brillanter journalistischer Schatzsucher ist mein Kollege Jan Christoph Wiechmann, dessen Reportagen ich schon als Journalistenschüler verschlungen habe. Ein besonderes Faible hegt er für Süd- und Lateinamerika. Als die Nachricht um die Welt ging, vier Kinder hätten einen Flugzeugabsturz und 40 Tage und Nächte im kolumbianischen Regenwald auf wundersame Weise überlebt, ging mir sofort durch den Kopf: "Was für eine Geschichte für Jan."

Nur ist Wiechmann nicht einfach ein Schatzsucher, sondern ein extrem schneller Schatzsucher. Als mir diese Gedanken kamen, saß er längst an der Recherche. Viele unterschiedliche Menschen hat er gesprochen und so dieses unfassbare Dschungel-Drama exklusiv rekonstruiert. Wiechmann musste sich dabei heftiger Konkurrenz von Hollywoodstudios und Streamingdiensten erwehren, die mit Exklusivverträgen vor allem für die vier Kinder wedelten. Wohl auch weil die Geschichte, in der es durchaus um Geister aus dem Wald geht, zwar eine reale ist, aber doch an die wundersamen Erzählungen eines Gabriel García Márquez erinnert, Stichwort: magischer Realismus.

Eine weitere Baustelle für Olaf Scholz

Streubomben bestehen aus kleinen Mini-Bomben, sogenannte Submunitionen, die sich beim Abfeuern über weite Flächen verteilen. Das ist in der Kriegsrealität genauso schrecklich, wie es sich liest, deswegen sind Streubomben auch von vielen Ländern geächtet. US-Präsident Joe Biden liefert sie dennoch an die Ukraine, vielleicht auch weil er Ängsten begegnen will – etwa der (ukrainischen) Sorge, er werde aus Angst vor innenpolitischen Konsequenzen seine Unterstützung für Kiew allmählich zurückfahren. Zugleich machte Biden aber sehr deutlich, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine derzeit nicht auf der Agenda stehe. Eine Sicherheitspartnerschaft, wie die Amerikaner sie mit Israel unterhalten, sei hingegen eine Option. Das klingt nur vermeintlich nach Entschärfung: Wollen Nato-Mitglieder, darunter auch Deutschland, der Ukraine eine vergleichbare strategische Unterstützung wie Israel gewähren, wäre dies ein vieljähriges und sehr aufwendiges Engagement. Noch eine Baustelle also für Bundeskanzler Olaf Scholz, der über einen Mangel an Baustellen derzeit ohnehin nicht klagen kann, wie unser Kanzler-Versteher Andreas Hoidn-Borchers beschreibt. 

Das Rechercheteam rund um den großartigen stern-Podcast "Frauke Liebs" – die unfassbar spannende und zugleich behutsame Aufarbeitung eines bis heute ungeklärten Entführungs- und Mordfalls – war in gleich zwei Kategorien für den Deutschen Podcast Preis nominiert. Gewonnen haben andere Kolleginnen und Kollegen, denen wir ganz herzlich gratulieren. Aber ich erlaube mir trotzdem, Ihnen "Frauke Liebs" als Hörtipp ans Herz zu legen, zumal der Podcast selbst an heißesten Sommertagen für Frösteln sorgen wird. Und wenn Sie neugierig geworden sind auf viele andere großartige stern-Podcasts – hier gibt’s hier was auf die Ohren.

Erschienen im stern 29/2023