STERN-INTERVIEW »Mit der PDS auf Bundesebene 2006«

Ex-PDS-Chef Gregor Gysi über seine Partei, ihre SED-Erblast, ihre Zukunft und seine Chancen als Spitzenkandidat bei der Berlin-Wahl. Aus stern Nr. 35/2001.

Ex-PDS-Chef Gregor Gysi über seine Partei, ihre SED-Erblast, ihre Zukunft und seine Chancen als Spitzenkandidat bei der Berlin-Wahl

Herr Gysi, wie wollen Sie mit Ihrer Partei Staat machen?

Mit einer Partei allein geht das nie, den Staat müssen viele Menschen machen, die nicht in Parteien organisiert sind.

Schlau aus der Affäre gezogen.

Das ist ja angeblich mein Stil.

Aber keine Antwort auf unsere Frage.

Die Berliner PDS ist pragmatisch orientiert, und sie hat sich schon wegen des Westteils der Stadt intensiver mit ihrer Geschichte befassen müssen. Wir können miteinander gut antreten.

Richard Schröder von der SPD sagt, Ihnen gelinge das Kunststück, ständig Dinge zu sagen, die niemals ein PDS-Parteitag beschließen würde.

Mit den meisten meiner Positionen bin ich in der PDS in der Mehrheit.

Eben, längst nicht mit allen.

Ein bestimmter Grad an Unabhängigkeit ist nötig, um erfolgreiche Politik für die Stadt zu machen. Aber ich will die Solidarität der Partei nicht missen.

Gregor Gysi ist also nicht die PDS?

Leute, die in ihrer Partei etwas herausragen - durch ihre Funktion, durch ihre Bekanntheit -, haben doch geradezu die Pflicht zu versuchen, ihr ein paar Schritte vorauszueilen. Nur so kann sich eine Partei entwickeln, Ich wollte immer auch ein bisschen die Zukunft der PDS widerspiegeln, nicht nur den Ist-Zustand.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sagt Ihnen Peter Böcker etwas?

Ich habe ein wahnsinnig schlechtes Namensgedächtnis.

Er war eines der Opfer an der Berliner Mauer. Warum kann sich die PDS nicht bei dessen Angehörigen entschuldigen?

Die wollen von uns wahrscheinlich keine Entschuldigung.

Woher wissen Sie das?

Ich habe mit Vertretern von Opferverbänden darüber gesprochen.

Die halten Sie doch nicht für satisfaktionsfähig.

Unterschiedlich. Für sie käme das einem Angebot zur Aussöhnung gleich; dazu sind sie noch nicht bereit.

Herr Gysi, Sie drücken sich.

Nein. Einzelne, die persönliche Schuld tragen, können versuchen, bei Opfern und ihren Angehörigen um Entschuldigung zu bitten. Aber ich halte die Mauer in Wirklichkeit für gar nicht entschuldbar.

Die PDS hat am 13. August Kränze an der Mauer niedergelegt. SEDOpfer empfanden das so, als wollte die NPD in Plötzensee der Nazi-Opfer gedenken.

Ich finde den Vergleich völlig falsch. Aber selbstverständlich habe ich Verständnis dafür. Wer, wenn nicht diese Menschen, haben das Recht, auch ungerecht zu sein. Sie haben gelitten. Das müssen wir auch aushalten, da müssen wir durch.

Wie denn? Ihre Basis murrt ja schon über die Mauer-Erklärung des PDS-Vorstands ohne Entschuldigung.

Eher wenig. Aber selbst gelebtes Leben verteidigt man meistens. Da sind viele dabei, die die ganzen Probleme mit den Grenzgängern, den abwandernden Fachkräften und dem Kurs zwischen Mark und D-Mark in Erinnerung haben und damals schon rein ökonomisch die Mauer gerechtfertigt fanden. Und die kriegen jetzt von ihrer Parteiführung gesagt: Das war eine

grobe Menschenrechtsverletzung und ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich finde, sie haben es relativ widerspruchslos geschluckt.

Jetzt nehmen wir mal an, ein West-Berliner könnte sich vorstellen, Gysi zu wählen, will sich aber die Partei vorher angucken und landet bei einer Veranstaltung der Basis in Hohenschönhausen-Lichtenberg.

Dann kann er Glück oder Pech haben. Er kann leicht geschockt seine Vorurteile bestätigt sehen oder aus einer Art Satireveranstaltung herauskommen. Er kann aber auch sagen: Donnerwetter, das hätte ich denen nicht zugetraut. Nur kann ich leider keine Garantie übernehmen, welche Variante er erlebt. Besser wäre es, wenn er sich unser Wahlprogramm anguckte.

Sahra Wagenknecht...

...steht in Berlin nicht zur Wahl.

Sie sagt, die DDR war nicht undemokratischer als die Bundesrepublik

Ich finde das absurd, wirklich absurd. Die versuchte Gleichschaltung von Menschen, der Hang zur Uniformierung - das kann

man mit der heutigen Demokratie bei aller Kritik überhaupt nicht vergleichen. Die DDR hätte nur eine Chance gehabt, wenn sie mehr individuelle Freiheiten gewährt hätte als der Westen. Dann hätten die Menschen materielle Nachteile vielleicht geschluckt. Aber das schlechtere Auto fahren und dann auch noch die Schnauze halten müssen - das ist als Mischung einfach zu viel verlangt.

Warum schmeißt die PDS die Kommunistische Plattform nicht raus?

Ach, es denken da ja nicht alle so wie Sahra. Es gibt da richtig Nette, auf die lass ich nichts kommen. Nein, diesen Weg kann gerade die PDS mit ihrer Geschichte nicht gehen. Wir müssen uns rumquälen und solche Überzeugungen marginalisieren. Wenn die KPF von den Medien nicht so gepflegt werden würde, spielte sie auch nicht eine solche Rolle.

Wagenknecht würde gar keine Rolle spielen, wäre sie nicht in der PDS.

Die kann doch jetzt gar nicht mehr anders. Sie würde ihren gesamten gesellschaftlichen Stellenwert verlieren, wenn sie plötzlich im stern sagen würde: »Ich hab mir das noch mal überlegt, ich sehe das meiste heute so wie Gregor.« Niemand würde sie je mehr zu irgend etwas einladen.

Wie wichtig ist die Berlin-Wahl für die PDS?

Gar nicht zu überschätzen. Es geht zum ersten Mal darum, die Verantwortung in einem Ost-West-Bundesland mit zu übernehmen. Auf den Gedanken wären wir selbst vor Monaten noch nicht gekommen. Es hätte selbstverständlich auch eine bundespolitische Bedeutung.

Sie schielen schon auf eine Regierungsbeteiligung 2002?

Daran glaube ich nicht. Aber es würde die Akzeptanz der PDS bis nach Bayern deutlich erhöhen. Wir hätten die Chance, Ängste abzubauen. Und das hätte natürlich auch Auswirkungen auf 2006.

Dann wollen Sie mitregieren?

Dann halte ich eine Mitte-Links-Regierung mit der PDS für gut möglich.

Jetzt drohen Sie der SPD aber heftig.

So? Auch die PDS ist wählbar, damit müssen sich die anderen Parteien abfinden.

Im Osten Berlins liegt die PDS bei 40 Prozent. Was trauen Sie sich im Westteil zu?

Die Marke von fünf Prozent sähe ich schon gerne deutlich überschritten. Das hätte eine große symbolische Bedeutung. Die FDP hat aus fünf Prozent der Stimmen hergeleitet, dass sie 40 Jahre lang die Bundesrepublik mitregieren durfte.

Verraten Sie uns, wie eine sozialistische Partei Berlin gesundsparen will.

Berlin zahlt 7,5 Milliarden Mark Subventionen im Jahr, da wird man sich von einer ganzen Menge trennen, anderes effektiver einsetzen müssen. Investitionen müssen wir genau prüfen, ob sie zukunftsträchtig sind und ob wir sie wirklich brauchen. Wir müssen die Verwaltungsarbeit straffen; mein ehrgeiziges Ziel wäre, bis 2010 rund 20 000 Stellen im Öffentlichen Dienst ohne Kündigungen einzusparen. Das sparte Milliarden.

Trotzdem würden Sie gerne von Bund und Ländern einen ordentlichen Hauptstadt-Zuschuss kassieren?

Teilungsbedingte Sonderlasten sind gemeinsam zu tragen. Von Berlin als Hauptstadt könnte ja das ganze Land etwas haben.

Nach der Wahl sollte eine neue Berliner Koalition darauf drängen, dass eine Kommission gebildet wird, die klärt, was Berlins Aufgabe als Hauptstadt ist und wie das von allen gemeinsam finanziert werden kann. Der Senat selbst kriegt das nie glaubwürdig hin. Was immer er machte, würde nur als Zahlungsaufforderung verstanden.

Wer soll in der Kommission sitzen?

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass sie von zwei ehemaligen Berliner Bürgermeistern geleitet wird: Richard von Weizsäcker und Hans-Jochen Vogel. Es sollten Vertreter von Medien, Kirche, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften aus dem ganzen Land beteiligt sein. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Einigung, sonst stünde Berlin eines Tages vor der Frage, ob es vors Bundesverfassungsgericht ginge. Es kann keine leere Floskel sein, wenn Berlin gesetzlich als Hauptstadt festgeschrieben ist.

Interview: Andreas Hoidn-Borchers, Dieter Krause / Fotos: dpa