Herr Lottsiepen, der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein schlägt die Einführung einer Autobahnvignette zur Senkung der Benzinpreise vor. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Der Vorschlag ist unsozial und ökologisch unsinnig. Er begünstigt Vielfahrer, die mit spritdurstigen Edelkarossen unterwegs sind und bestraft die Besitzer energieeffizienter Fahrzeuge.
Günther Beckstein meint, Benzin könne auf diesem Wege 15 Cent pro Liter billiger werden, Diesel-Treibstoff um zehn Cent. Stimmen diese Zahlen?
Nach unseren überschlägigen Berechnungen ist das Beckstein-Modell um mindestens 500 Millionen Euro unterfinanziert. Finanzminister Steinbrück ist in dieser Frage ausnahmsweise der natürliche Verbündete von Klimaschützern.
Die niedrigeren Mineralösteuer-Einnahmen will er mit einer Pkw-Maut von 120 Euro pro Jahr gegenfinanzieren. Ist eine Gebühr in dieser Höhe vernünftig?
Die Gebühr für die Gegenfinanzierung ist zu niedrig, für Wenigfahrer und Besitzer von Spritspar-Autos ist sie zu hoch, für Schnellfahrer und Luxusautos viel zu gering.
Zur Person
Gerd Lottsiepen, 54, ist verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD). Der VCD ist setzt sich für eine umwelt- und sozialverträgliche Mobilität aller Verkehrsteilnehmer ein.
Für Autofahrer, die mehr als 9000 Kilometer pro Jahr zurücklegen, würde sich die Gebühr bereits lohnen. Kommt ein durchschnittlicher Autofahrer jährlich auf diese Strecke?
Die durchschnittliche Fahrleistung liegt heute bei einem Diesel bei ca. 20.000 Kilometer pro Jahr, bei einem Benziner sind es über 11.000. Die Beckstein-Berechnung stimmt für den Besitzer eines Benziners, der neun Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Ein Dieselfahrer muss schon deutlich mehr fahren. Aber völlig unsozial ist, dass ein Rentner, der im Jahr 5000 Kilometer unterwegs ist, 60 Euro draufzahlt. Wer mit einem Porsche oder einer S-Klasse mit einem Verbrauch von 20 Litern auf 100 Kilometer 50.000 Kilometer im Jahr unterwegs ist, spart 1380 Euro.
Der Vorschlag könnte also dafür sorgen, dass sich Menschen häufiger ins Auto setzen, damit sich die Autobahngebühr auszahlt?
Ich glaube zwar nicht, dass jemand bewusst mehr fährt, um die durchschnittlichen Kosten pro Kilometer zu drücken. Weil aber jede einzelne Autofahrt mit der Senkung der Mineralölsteuer im Vergleich zu heute billiger wird, werden sicher mehr Fahrten angetreten, die man sich heute "spart". Fatal ist, dass mit der Beckstein-Idee der Spritverbrauch und damit der Ausstoß des Treibhausgases CO2 weniger Einfluss auf die Gesamtkosten hat und so der Anreiz schwindet, ein spritsparendes Auto zu kaufen.

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Ist es im Rahmen der Klima-Debatte sinnvoll, Menschen zum Autofahren zu motivieren?
Nein. Wer Klimaschutz auf seine Fahnen schreibt, muss den Ausstoß des Treibhausgases CO2 senken. Der hängt unmittelbar vom Spritverbrauch ab. Den Kraftstoff billiger zu machen, ist das völlig falsche Signal.
Interview: Thomas Krause