Debatte um Waffenlieferungen Deutsche Panzer – und dann? Warum Waffenlieferungen allein den Krieg in der Ukraine nicht beenden werden

Kampfpanzer Leopard 1
Über die Lieferung schwerer Waffen wie etwa den ausgemusterten Kampfpanzer Leopard 1 (Archivbild) an die Ukraine gibt es in Deutschland eine Kontroverse
© Egon Steiner / DPA
Seit 58 Tagen tobt der Krieg in der Ukraine. In Deutschland kreist die Diskussion um die Lieferung schwerer Waffen. Doch ist es nicht langsam an der Zeit, sich ganz andere Fragen zu stellen?

Von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel hieß es ja immer, sie würde komplizierte Sachverhalte vom Ende her denken. Mal ganz unabhängig davon, wie man Merkels Rolle in der Russland- und Ukraine-Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte bewertet: Es ist am 58. Tag der russischen Invasion vielleicht mal an der Zeit, den Ukraine-Krieg mit der Methode Merkel zu analysieren.

In den vergangenen Tagen kreiste die Debatte hektisch über einer einzigen Frage: Soll die Nato, soll insbesondere Deutschland schwere Waffen ins Kriegsgebiet liefern? Bundeskanzler Olaf Scholz stand wegen seiner zögerlichen Haltung, vor allem aber auch wegen seines diffusen Kommunikationsstils in der Kritik. Zwar hatte Scholz im Bundestag eine Zeitenwende ausgerufen und Milliarden für die Modernisierung der maroden deutschen Streitkräfte in Aussicht gestellt. Doch in den Tagen danach verstummte der Kanzler weitgehend. Mehr noch: Weil andere Nato-Länder nicht nur klarer kommunizierten, sondern auch schneller und pragmatischer handelten, wiederholte sich der Eindruck, dass Deutschland – wie schon zuvor bei Nordstream 2 und der Frage eines Gas-Embargos – als Bremser wahrgenommen wurde, als Land, das eigene wirtschaftliche Interessen über das Wohl der Ukraine stellt.

Doch letztlich ist die Frage "schweres Gerät Ja oder Nein" bloß ein Zwischenschritt. Müsste "vom Ende her denken" nicht eigentlich heißen, sich ganz andere Fragen zu stellen? Etwa folgende:

  • Was ist das Ziel aller Nato-Bemühungen?
  • Wie soll dieser Krieg enden?
  • Was hat Priorität: ein schneller Waffenstillstand oder dass die Ukraine den Krieg gewinnt?
  • Was kann Putin an den Verhandlungstisch zwingen?
  • Und nicht zuletzt: Wie soll eigentlich eine künftige Politik mit Russland aussehen?

Im Ansatz unternahmen gestern im ZDF – zunächst bei Maybrit Illner und dann bei Markus Lanz – die Teilnehmer der Diskussionen den ehrenwerten Versuch, auf diese Fragen zumindest in Teilen eine Antwort zu finden. Beide Talks zeigten jedoch erneut, wie kompliziert das Unterfangen ist. Beispielhaft war dabei das Aufeinanderprallen von Erich Vad, Brigadegeneral a.D., ehemaliges Mitglied im Bundessicherheitsrat und langjähriger Berater von Angela Merkel und der deutsch-ukrainischen Publizistin Marina Weisband bei Maybrit Illner. "Mich stört es, wenn Politiker von den Grünen eine militärische Lösung als ultimatives Ziel darstellen", ereiferte sich Vad. "Das ist doch verrückt!"

Was ist das Ziel: Ukraine-Sieg oder schnelle Waffenruhe?

Für ihn sei vielmehr entscheidend, einen schnellen Waffenstillstand herbeizuführen und nicht den Sieg der Ukraine zum Kriegsziel auszurufen. Weißband widersprach vehement. Ein Sieg der Ukraine bedeute in ihren Augen, Russland hinter die ukrainische Landesgrenze zurückzudrängen und dem Abschlachten und Vergewaltigen von Zivilisten ein Ende zu setzen. Und deshalb sei ein Sieg der Ukraine selbstverständlich das legitime Ziel aller westlichen Bemühungen.

Beides verständliche Positionen. Und letztlich ein bekanntes Dilemma in der Politik: Was ist wünschenswert? Was ist erreichbar? Moral kontra Realpolitik.

Ein ähnliches Muster bei der Frage, wie man Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zwingt. Nur eine Niederlage Russlands bringe Putin dazu, Verhandlungen aufzunehmen, sagte der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter bei Illner. "Der Atomkrieg ist wahrscheinlicher, wenn wir der Ukraine nicht helfen." "Russland ist eine Nuklearmacht, da müssen wir vorsichtig sein mit Waffenlieferung und Kriegsrhetorik", entgegnete Vlad." Erst recht, so Sigmar Gabriel, wenn auf der anderen Seite ein Barbar wie Putin sitzt, der sich letztlich nicht ums Völkerrecht schere.

Bei Markus Lanz war es die frühere Grünen Politikerin Marieluise Beck, die unter dem Verweis auf das Sterben der Menschen in Charkiw und Mariupol vehement und nachvollziehbar für deutsche Panzerlieferungen an die Ukraine plädierte. Einordnung kam vom Militärexperten und stern-Podcaster Carlo Masala. Es reiche nicht, da einfach Panzer hinzustellen. "Dann springt die Kette ab. Wo ist die neue Kette? Wo ist der Techniker, der die Kette wieder draufhauen kann?", skizzierte Masala den Ansatz von Waffenlieferungs-Skeptikern. Andererseits gebe es eben auch die Argumentation: "Bildet die Leute aus. Schmeißt das ins Gefecht. Und wenn's zwei Wochen hilft, dann hilft's, und dann können wir uns um die Logistikkette auch später kümmern."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Keine einfachen Antworten in Sicht

"Vom Ende her denken", das zeigten die beiden Talks aufs Neue, das heißt eben auch: zulassen, dass die Antworten unbefriedigend sind. Oder dass es keine einfachen Antworten gibt. Ein schneller Waffenstillstand, der das Sterben rasch beendet, führt zu dem schalen Gefühl, dass Putin mit seinem Raubzug auf der Krim, in Mariupol und im Donbass durchkommt. Das Zurückdrängen Russlands mit aller Nato-Macht hingegen birgt die Gefahr, dass ein in-die-Ecke-gedrängter Kremlchef alle zivilisatorischen Fesseln fallen lässt und den Krieg nuklear eskaliert.

Ukraine-Krieg: Experte über Invasionsgefahr in baltischen Staaten
Ukraine-Krieg: Experte über Invasionsgefahr in baltischen Staaten
© Celestino Arce Lavin/ / Picture Alliance
"Die Bedrohung wird hier sehr real gesehen" – Experte über Invasionsgefahr in baltischen Staaten

Man möchte derzeit wirklich nicht tauschen mit Scholz, Macron, Biden und Co. Aber ein paar Sätze jenseits von Apokalypse-Szenarien wären angebracht. Beispielsweise könnte Olaf Scholz vielleicht mal erklären, was es in seinen Augen heißt: "Putin darf nicht gewinnen!" Wie will er das anstellen? Auf dem Schlachtfeld? Bei Verhandlungen? Und was heißt das überhaupt: gewinnen? Zurück hinter die alten Grenzen? Raus aus Mariupol, der Krim, dem Donbass? 

Alles noch viel kompliziertere Fragen als die nach schwerem Gerät.