Wer ist Karl-Theodor zu Guttenberg – und wenn ja, wie viele? Es wird hohe Zeit, dass der Verteidigungsminister diese Frage beantwortet. Sonst tun es andere für ihn. Und es sieht nicht so aus, als ob die Antwort besonders günstig für ihn ausfallen wird. Gerne zeichnet Guttenberg ja ein Bild von sich, das ihn als werte-geprägten, an klaren Maßstäben orientierten Mann zeigt. In diesem Selbstbild ist für Unaufrichtigkeit kein Platz. War er unaufrichtig?
Es ist der schärfste Vorwurf, der ihm im Zusammenhang mit dem Bombardement von Kundus gemacht wird. Und er steht seit der Vernehmung von Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Ex-Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss vom Donnerstag deutlicher im Raum denn je. Beide, Schneiderhan und Wichert, waren von Guttenberg am 25. November 2009 entlassen worden, weil der Minister sich von ihnen nicht ausreichend über den verheerenden Militärschlag von Kunduz informiert fühlte, bei dem wahrscheinlich bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen sind.
Was aber hat ihn dazu getrieben? Tatsächlich mangelndes Vertrauen? Das Gefühl, nicht ausreichend informiert worden zu sein? Oder doch eher eine Mixtur aus Selbstüberschätzung, politischem Opportunismus und dem Willen, vermeintliche Führungsstärke zu demonstrieren?
War Guttenberg der Getriebene?
Was immer auch genau geschah, im Amtszimmer des Ministers an jenem 25. November nachmittags zwischen 14.20 Uhr und 17.35 Uhr – es hat eine Kettenreaktion ausgelöst, an deren Ende die fundamentale Neubewertung des Luftschlags von Kundus stand. Guttenberg hat bis heute inhaltlich nicht begründet, weshalb eigentlich. Die Öffentlichkeit hat aber ein Recht darauf. Es ist wichtig zu wissen, was einen Verteidigungsminister bewegt angesichts des folgenreichsten Militärschlags in der Geschichte der Bundeswehr. Es ist eine Frage der Maßstäbe. Stimmen die nicht, dann hat sich der Minister disqualifiziert.
War Karl-Theodor Guttenberg in dieser Angelegenheit womöglich der Getriebene seines eigenen Aktionismus, weil nur eine Neubewertung jener Unterlagen, die ihm nicht vorgelegt worden waren, den Rauswurf seiner wichtigsten Mitarbeiter legitimieren konnte?
Wolfgang Schneiderhan hält den Angriff von Kundus auch heute noch für "militärisch angemessen." Der General a. D. ist ein gewissenhafter Mann. Er hat den jungen Minister seinerzeit so beraten – unter Hinzuziehung aller Unterlagen, die er für relevant gehalten hat. Ein vor Ort von deutschen Feldjägern erstellter Bericht gehörte nicht dazu. Mit der Qualität des Feldjägerberichts, sagt Schneiderhan, sei er "zutiefst unzufrieden" gewesen. Schneiderhan ist alles andere als ein Raubein, aber in fast 44 Dienstjahren geprägt vom militärischen Denken. Seine Diktion zur Bewertung des Bombardements von Kundus war, so hat er es am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss noch einmal verdeutlicht: Man hat so handeln können.
Ein subtiler Nadelstich gegen den Minister
Karl-Theodor zu Guttenberg aber hat in seiner ersten politischen Bewertung Anfang November daraus gemacht: Man hat so handeln müssen. Guttenberg hatte Anfang November den Angriff von Kunduz nicht nur als "militärisch angemessen," sondern sogar als zwangsläufig bezeichnet. Er hat sich damit weit aus dem Fenster gelehnt – weiter ging es nicht. Es hatte alles so gut gepasst. Er wollte der forsche Minister sein, der mit der klaren Sprache.
Schneiderhan aber hatte zuvor zur Vorsicht gemahnt. Im Untersuchungsausschuss hat der frühere Generalinspekteur gesagt, er sei zuständig dafür gewesen, dass die Urteilsfähigkeit des Ministers hergestellt werde. Das Urteil müsse er sich aber selber bilden. Es war ein subtiler Nadelstich gegen Guttenberg.

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Der Minister wird nun belegen müssen, wie es um seine Urteilsfähigkeit bestellt ist und worauf sie genau gründet. Schafft er es nicht, dann bekommt sein Bild mehr als nur einen Kratzer. Dann bleibt das, was die geschassten Schneiderhan und Wichert am Donnerstag in stundenlangen Befragungen vor dem Ausschuss sehr subtil intonierten: Da ist einer an der Spitze des Ministeriums, der doch arg zur Selbstüberschätzung neigt.