Man merkt den Gästen in der vollen Berliner SPD-Parteizentrale an, dass sie bei dem aufgetischten Grünkohl und der "Hessenquiche mit Sauerkraut" mal wieder so richtig einen Erfolg feiern wollen. Nervös sind sie und aufgekratzt. "Hast du schon was gehört?", fragen sich die Funktionsgenossen mit Schlips vor den ersten Prognosen und Hochrechnungen verschwörerisch.
"Jawoll, das ist es", rufen Sie dann kollektiv bei den ersten Ergebnissen um 18 Uhr und recken die Arme in die Höhe wie Boris Becker nach seinen besten Tennisspielen. Applaus und Jubel füllt das Willy-Brandt-Haus. Doch die Ernüchterung kommt schnell und sie hält quälend lange über den Abend an. Was ist mit der Linken in Hessen? Kommt sie in den Landtag und macht so rot-grüne Zahlenspiele überflüssig? Zum Freuen gibt es da zwar das Andrea Ypsilanti-Ergebnis aus Hessen, aber eben auch immer wieder die mürbe machenden Prozente aus Niedersachsen.
Bis zum Auftritt von Parteichef Kurt Beck zeigt sich kein Parteipromi und die Stimmung bleibt seltsam abwartend. Der erste Auftritt Ypsilantis im Fernsehen sorgt dann endlich für die so lange erwartete Erlösung. Ihr Ausruf "Die Sozialdemokratie ist wieder da!" wird mit langem Jubel quittiert, der dann aber auch bald wieder abebbt. Für die ganz große Stimmung sind die Ergebnisse dann doch noch zu wackelig.
Erst Beck sorgt um 19 Uhr endlich für anhaltend gelösten Gesichter unter den Fans der SPD. Lächeln betritt er von links das Podium, krallt sich dort fest und lässt sich zwei Minuten lang beklatschten. Was er danach zu sagen hat, wärmt vor allem das sozialdemokratische Herz, bleibt aber taktisch kühl. Man habe großartig gewonnen, sagt Beck, und auf die Themen gesetzt, die die Menschen antreiben: Gerechtigkeit und Bildungschancen. Das gelte für beide Landtagswahl-Länder, aber natürlich hält Beck sich lieber mit dem Erfolg in Hessen auf. Roland Koch habe dort "ganz weit rechts" gefischt, damit aber verloren. Genüsslich vermerkt er die Verluste der CDU und den Gewinn der SPD. "Wenn das kein Auftrag ist, dann weiß ich auch nicht, was ein Wählerauftrag sein soll!"
Mehr Führung gibt es nicht
Das zieht natürlich. Mehr Führung gibt es zu diesem Zeitpunkt - er redete keine fünf Minuten - aber nicht. Auf was für eine Koalition es etwa hinauslaufen soll, das hat der Ober-Sozialdemokrat vorläufig offenbar noch nicht auf seine doppelseitig beschriebe Karteikarte mit Rede-Stichworten geschrieben.
Schnell holt sich Beck den in Hamburg wahlkämpfenden Michael Naumann an die Seite, der zwei Daumen in die Höhe reckt. Dann ist Kurt Beck im Getümmel nur noch zu entlocken, dass alle weiteren Koalitionsoptionen in Hessen sich "zu ihrer Zeit" ergeben würden. "Wir wünschen uns Rot-Grün", sagt er, um in einem der folgenden Fernsehgespräche von der "so genannten" Linkspartei zu sprechen, mit der es keine Koalition geben werde. Alles andere müsse sich zeigen.

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Die Berliner CDU-Zentrale servierte zum Wahlabend ihren Anhängern hessische Spezialitäten. Göttinger Speckkuchen, hessische Bohnensuppe. Doch Ronald Pofalla, ansonsten ein unermüdlich lächelnder Glattbügler aller politischen Probleme, schien sich schwer den Magen daran verrenkt zu haben, an dem, was ihm die hessischen Parteifreunde und der stellvertretende CDU-Vorsitzende Roland Koch bei der Landtagswahl aufgetischt hatten. Er sah aus, als platze er demnächst. Die Backen aufgeblasen, der Mund ein dünner Strich. Und dann prustete er einen jener Sätze heraus, mit denen sich Generalsekretäre zuweilen lächerlich machen: "Ein großartiger Wahlerfolg. Herzlicher Glückwunsch für Christian Wulff."
Die CDU-Parteigänger, die bis dahin betrübt die Hochrechnungen auf den Bildschirmen zur Kenntnis genommen hatten, konnten jetzt endlich einmal ein bisschen jubeln. Wie hätten sie auch dem Satz Pofallas applaudieren können, dass die SPD in Niedersachsen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren habe. Roland Koch in Hessen, das war doch die Hiobsbotschaft des Abends. Der war förmlich abgestürzt, zweistellig. Die Linken in Niedersachsen dicke drin, und auch Christian Wulff hatte dort mit über fünf Prozent deutlich verloren.
Die Analysen der Besucher der Wahlparty fielen weit nüchterner aus als der künstlich aufgeblasene Optimismus des CDU-Generalsekretärs, der gerade mal drei Fragen beantwortete, ehe er sich wieder eilig in die sicheren oberen Gemächer der CDU-Zentrale flüchtete. Wie würden sich die Kräfteverhältnisse in der Bundes-CDU jetzt verschieben, fragten viele der CDU-Fans. Kommt jetzt Wulff, der mit seiner Kritik an Merkel noch nie hinterm Berg gehalten hat? Sei nicht auch Angela Merkel mit schuld an dem Desaster in Hessen?
"Ihr Mindestlohnkurs hat doch die SPD erst aufgepäppelt", knurrte einer in sein Bierglas. Koch habe gewiss Recht, mutmaßte ein anderer, wenn er sage, dass die Niederlage in Hessen ein Problem für die ganze CDU. Andere blickten nach vorn. Was, wenn man jetzt auch noch in wenigen Wochen in Wahl in Hamburg verliere? Keiner glaubte noch daran, dass an der Elbe die Linkspartei draußen gehalten werden könne.
Unterm Strich des CDU-Wahlabends stand nur die Gewissheit, dass die politische Landschaft sich neu sortiert. Ob zum Vorteil der CDU, davon war keiner überzeugt.