Das "Zentrum für Politische Schönheit" will Syrer aus der Türkei einfliegen - und droht mit einem blutigen Spektakel, wenn es ein Einreiseverbot gibt.
Wenn die Wirklichkeit ins Theater einzieht, nennt man das Realismus. Was aber, wenn umgekehrt das Theater in die Realität einzieht? Wenn es sich anmaßt, von der Bühne zu steigen und mit echten Menschen und echten Schicksalen zu spielen?
Das Aktionskunst-Team "Zentrum für Politische Schönheit" will am 28. Juni 100 syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Berlin einfliegen. Verweigert der Bundestag die dafür notwendige Gesetzesänderung, sollen Geflüchtete sich vier Tigern zum Fraß vorwerfen. "Not und Spiele" – eine radikale Inszenierung in Anlehnung an die Gepflogenheiten im alten Rom – und der Versuch, den Deutschen und ihren Volksvertretern einen Zerrspiegel vorzuhalten: Nicht die Aktion ist zynisch, so die Botschaft der ZPS-Leute, sondern eine Politik, die Menschen aus einem vom Krieg erschütterten Land zwingt, um ihr Leben zu schwimmen, wenn sie Asyl beantragen wollen.
Eine Arena mit vier echten Tigern
Wie immer beim ZPS - bekannt geworden durch provokante Aktionen wie die Beerdigung toter Geflüchteter in Berlin, die Entführung von Berliner Mauer-Gedenkkreuzen an die europäische Außengrenze und ein der Bundesregierung untergejubeltes Rettungsprogramm für syrische Kinder - steckt zunächst einmal eine logistische und konzeptuelle Meisterleistung dahinter: Vor dem Berliner Gorki-Theater steht eine Arena mit vier lebenden Tigern, die Schauplatz des Dramas werden soll. Zwei digitale Countdowns bauen Druck auf: Noch vier Tage bis zur Bundestagssitzung, in der die Regierung aufgefordert werden soll, das Aufenthaltsgesetz zu ändern. Mit Hilfe der Fraktion der Linken ist ein Antrag eingebracht worden, das Gesetz so zu ändern, dass Asylsuchende künftig auch per Flugzeug einreisen können.
Und noch acht Tage, bis die "Joachim 1" in Izmir abheben wird – an Bord, so Deutschland will, 100 syrische Geflüchtete. Die "Joachim 1" ist eine dem Bundespräsident gewidmete Passagiermaschine, die im Auftrag der "Flugbereitschaft der deutschen Zivilgesellschaft" eine sichere Luftbrücke für Geflüchtete errichten will. Bekanntgegeben wurde dieser Plan erstmals in der "Bundeserpressungskonferenz". Es ist ein bisschen wie beim "Spiel des Lebens", nur dass die Institutionen geringfügig umbenannt wurden.
"Joachim 1" - der Flieger der Zivilgesellschaft
Darf die "Joachim 1" nicht mit den Syrern – über deren Auswahl im Internet abgestimmt wird – an Bord in Berlin landen, soll Deutschland seinen barbarischen Charakter offenbaren und sich am Opfertod syrischer Flüchtlinge weiden: 37 Freiwillige stünden bereit, vor die Tiger zu treten, verlautbart die Webseite des ZPS.
Eine davon stellte sich am Montag der Presse vor: Die syrische Schauspielerin und Aktivistin May Skaf.
In einer bewegenden Rede appellierte sie an die Verantwortung der Europäer, die Menschen in Syrien nicht ihrem Schicksal zu überlassen. "Zwingen sie ihre Politiker, die legale Einreise von Menschen in Not zuzulassen!"
Die Rede von May Skaf
Skaf sprach über die tiefe Enttäuschung der Syrer darüber, dass Europa diesen Krieg nicht beenden wolle oder könne. Durch den öffentlich kaum zur Kenntnis genommenen Absatz der EU-Richtlinie 2001/51/EG, der Transportunternehmen mit Strafen bedroht, sollten sie Personen ohne Visum befördern, sei Europa für Geflüchtete unerreichbar geworden: "Wir mussten übers Meer."
Wie sie dieses Wort auf arabisch ausspricht, "Meer", auf einem rauen ch endend, macht klar, wie sehr sich dieser Sehnsuchtsort für sie in einen Abgrund verwandelt hat. "Meer bedeutet für uns nur noch Tod."
Die Zuschauer rücken bei dieser Inszenierung in eine unschöne Position: Egal, ob sie sich passiv verhalten, und damit weiter mitschuldig machen am großen Sterben im Mittelmeer, oder ob sie aktiv für den Flug spenden und dann auswählen müssen, welcher Flüchtling an Bord darf – eine salonhafte Komfortzone im Kulturbetrieb hat das ZPS nicht zu bieten.
Das Bezirksamt und der aggressive Humanismus
Das ZPS wirft einen Stein ins Wasser – und niemand kann vorhersagen, welche Wellen er schlägt. Durch das Prinzip des "aggressiven Humanismus", wie ZPS-Chefdenker Philipp Ruch seine Grundhaltung bezeichnet, wird eine inhumane Politik gezwungen, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Und alle Beteiligten genötigt, in ihren Rollen sichtbar zu werden – als Dulder, Wegseher, Mittäter.
Ob auch die Schauspielerin May Skaf ihr Finale als todesbereite "Sklavin einer mörderischen Macht" in der Arena erleben wird, bleibt offen. Klar ist, dass im Leben der Aktivistin längst die Wirklichkeit selbst zum Drama geworden ist. Doch vielleicht sind es am Ende die Berliner Behörden, die sich schützend vor sie stellen. Auch sie arbeiten an einem rollengemäßen Auftritt: Montag hieß es, das Bezirksamt lasse die Arena abbauen.
Bei allem Zeichen-, Handlungs- und Begriffswirrwarr ist nur eines klar: Die Aktionen des ZPS beginnen mit Theater – und sie führen zu Theater. Und manchmal eben darüber hinaus.