ZUWANDERUNG Gebraucht und doch unerwünscht?

Nach zehnmonatigen Beratungen will die Einwanderungskommission heute ihren Abschlussbericht vorlegen. Die Diskussion schwelt schon seit Wochen, der Streit zwischen Koalition und Union scheint vorprogrammiert.

Nach zehnmonatigen Beratungen will die Einwanderungskommission der Bundesregierung heute ihren Abschlussbericht vorlegen. In dem unter Leitung der CDU-Politikerin Rita Süssmuth erstellten Konzept werden flexible Zuwanderungsquoten für Arbeitsmigranten empfohlen, für Spitzenkräfte soll es keine Beschränkung geben. Die Kommission will insgesamt weit mehr als 50.000 Ausländern den Zuzug nach Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen ermöglichen.

Der Bericht sieht zudem Integrationskurse für Einwanderer und bereits in Deutschland lebende Ausländer vor, in denen neben Sprachkenntnissen auch Informationen über Gesellschaft, Wirtschaft und Recht vermittelt werden sollen. Auch Empfehlungen zur Einwanderung aus humanitären und politischen Gründen sind in dem fast 300-seitigen Bericht enthalten. Die Koalition betrachtet das Süssmuth-Papier als eine der Grundlagen für ein umfassendes Zuwanderungs- und Integrationsgesetz.

Die Kommission war im Juli vergangenen Jahres von Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzt worden. Die konstituierende Sitzung des 21-köpfigen Gremiums fand am 12. September 2000 statt.

Schily lobt Konzept der Zuwanderungs-Kommission

Kurz vor der offiziellen Übergabe des Konzeptes hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) das Papier als grundlegend gelobt. Das Konzept sei eine gute Grundlage für ein entsprechendes Gesetz, sagte Schily am Morgen in der ARD. Es sei fast deckungsgleich mit dem Konzept der CDU-Kommission, das auch ein hervorragendes Schriftstück sei. Schily bekräftigte, einen breiten Konsens anzustreben. Ein Gesetzgebungsvorhaben, das weit in die Zukunft reiche, brauche eine große Zustimmung.

Mit Blick auf die zunehmende Veralterung der Bevölkerung in Deutschland sagte Schily: »Wir müssen natürlich die demographischen Entwicklungen berücksichtigen, aber zu glauben, dass man mit Zuwanderung den Altersaufbau der Gesellschaft ausgleichen kann - also die so genannten demographische Lücke - ist ein Irrtum.« Die Vorsitzende der Zuwanderungskommission der Bundesregierung, die CDU-Politikerin Rita Süssmuth, sagte am Mittwochmorgen in der ARD: »Ganz entscheidend finde ich, dass wir sehen, dass wir für unsere Wohlstandssicherung, für unsere Zukunft, auch angewiesen sind auf Menschen aus anderen Ländern.«

Nach dem Konzept der Regierungskommission, das am Mittwoch offiziell Schily übergegeben werden soll, sollen jährlich mindestens 50.000 Einwanderer ins Land gelassen und die Finanzmittel für die Integration aufzustockt werden. Ein Teil der

Zuwanderer soll über ein Punktesystem ausgewählt werden, bei dem auch Alter und Qualifikation berücksichtigt werden. Zudem soll es Quoten für Auszubildende und für Arbeitnehmer aus Branchen mit Arbeitskräftemangel geben.

Der Bericht der Kommission soll als Grundlage für einen Gesetzesentwurf dienen, den Schily im Sommer erarbeiten soll. Schily sagte in der ARD, die Gesetzgebungsarbeiten sollten sofort beginnen. Einfließen soll in den Gesetzentwurf auch ein Konzept der SPD-Bundestagsfraktion, das am Freitag verabschiedet werden soll. Die Bundesregierung will noch in diesem Jahr ein Zuwanderungsgesetz verabschieden. Dazu braucht sie im Bundesrat die Zustimmung der Union. Deren Fraktionsvize Wolfgang Bosbach hat bereits erklärt, er könne sich einen Kompromiss auf Basis des Süssmuth-Berichts nicht vorstellen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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»Keine Einwanderung ohne Integration«

In der Debatte über ein Einwanderungsgesetz hat das Essener Zentrum für Türkeistudien vor einem Minimalkonsens ohne langfristig wirksame Integrationshilfen gewarnt. Bei Verabschiedung eines Zuwanderungsgesetzes ohne Integrationskomponente würden Fehler der Vergangenheit wiederholt, erklärte der Leiter des Zentrums, Faruk Sen. »Integration und Zuwanderung sind zwei Seiten einer Medaille.«

Sen betonte, die von der Bundesregierung angestrebte Verständigung mit der Opposition dürfe nicht dazu führen, dass die Gesetzesvorlage zu sehr die Züge des Minimalkonsensss trage. Ein Schwerpunkt müsse insbesondere auf die Einbindung der schon in Deutschland lebenden Zuwanderer gelegt werden.

Anti-Diskriminierungsgesetz gefordert

Die Fixierung auf die Befriedigung der Arbeitskräftenachfrage und die Ausblendung der menschlichen und sozialen Dimension von Einwanderung habe schon bei der ersten Welle der Arbeitsmigration in den 50er und 60er Jahren zu verpassten Chancen

bei der Integration von Zuwanderern geführt. Auf keinen Fall dürften nur die an die Einwanderer gerichteten Forderungen aus dem Kommissionsbericht übernommen werden, während Vorschläge für die Integrationsanstrengungen der Deutschen unter den Tisch fielen.

Sen forderte ein Anti-Diskriminierungsgesetz, die Einführung islamischen Religionsunterrichts als Regelfach, die Entwicklung von Konzepten zur Verbesserung der Sprachkenntnisse im Deutschen wie in der Sprache des Herkunftslandes. »Teilnahme am Leben in Deutschland setzt Partizipationschancen voraus«, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler.