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Berlin³ Auffanglager in Libyen: Die SPD hat ihren ersten Populismus-Anfall

Die SPD schlägt vor, Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen zu errichten
Afrikanische Migranten, darunter viele Kleinkinder, im Lager Zawiyah, 45 Kilometer von Tripolis in Libyen entfernt
© Mahmud Turkia/DPA
Die SPD will Flüchtlinge in libyschen Auffanglagern stoppen. Der Vorschlag ist zu schlicht, um noch als Politik durchgehen zu können.

Kurze Rückschau in den Sommer 2004. Nein, der war nicht so verregnet wie dieser. Politisch aber ging es ziemlich heiß her. Otto Schily, der "Eiserne Otto", hatte gerade seinen Vorschlag rausgehauen, wie Europa den zu erwartenden Flüchtlingsströmen aus Afrika Herr werden könne – und das Geschrei war groß. Schily, hauptberuflich Innenminister und im Nebenjob Sozialdemokrat, hatte "Ausnahmeeinrichtungen" für Asylsuchende in Nordafrika vorgeschlagen. Lager? Nein, keine Lager - Einrichtungen.

Die FDP fühlte sich an Guantanamo erinnert. Schilys Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble mutmaßte, der Innenminister wolle die Genfer Flüchtlingskonvention aushebeln. Die eigene Partei war skeptisch. Und der grüne Koalitionspartner? Der tobte sowieso.

SPD und Martin Schulz bleiben unpräzise

Das ist jetzt 13 Jahre her – und da isser wieder, der Vorschlag. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), im Wahlkampfteam von Martin Schulz der Mann für die Innere Sicherheit, hat jetzt "Auffanglager" in Libyen vorgeschlagen, damit die Flüchtlinge "nicht in Italien sitzen", sondern "möglichst schon außerhalb der EU Ansprechpartner finden."

Man kann sagen: Die SPD hat das Thema Migration entdeckt, knappe acht Wochen vor der Bundestagswahl. Ihr Kanzlerkandidat war kürzlich in Italien und hat dort ziemlich eindringlich vor der Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 gewarnt. Das ist sein gutes Recht. Noch wertvoller als zukunftsorientierter Politikgestalter wäre er allerdings, wenn er sagte, was er im Fall der Fälle zu tun gedächte. Da sieht es noch nicht ganz so präzise aus. Nun also hat sein Innere-Sicherheitsmann immerhin schon mal das Thema von der populistischen Seite beleuchtet. Man könnte sagen: Er hat den "Lager-Wahlkampf" eröffnet.

Das liest sich – wie heute in der aktuellen SZ nachzuschlagen ist – bisweilen recht hemdsärmelig und bierzeltkompatibel. Etwa: Mögliche Einwände der Libyer, die damit eine Einschränkung ihrer Souveränität hinnehmen müssten? Könne man mit Geld zukleistern!

Herzerfrischend pragmatisch und naiv

Und sonst so? Europa verteilt den Teil derer, die berechtigt kommen dürfen, nach einem bestimmten Schlüssel.

Das Ganze kann man herzerfrischenden Pragmatismus nennen, vorausgesetzt, man ist naiv genug. Oder platten Populismus. Pistorius unterschlägt, dass Libyen von einem funktionierenden Staatsgebilde in etwa so weit entfernt ist, wie der gemeine Flüchtling von einer Festanstellung als Gärtner in der Villa eines sozialdemokratischen Arbeiters im Tessin.

Pistorius unterschlägt auch, dass sich Europa sichtbar schwer tut mit einer auch nur in Ansätzen als gerecht zu bezeichnenden Verteilung der Geflüchteten. Als gemeinsame humanitäre Aufgabe, identitätsbildend für diesen Kontinent, wird es in der EU jedenfalls nicht gesehen. Das hat auch Angela Merkel schon leidvoll erfahren müssen.

Fazit: Ein Pistorius macht noch keinen Wahlkampfsommer. Aber die Prognose sei gewagt: Die Zeiten werden platter.

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