Es sollte der große Wurf von Rot-Grün werden. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wollte gar das modernste Zuwanderungsrecht Europas schaffen. Doch davon ist schon lange nicht mehr die Rede. Im zähen Ringen der Parteitaktiker wird derzeit das Zuwanderungsgesetz im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat zerrieben. Der Migrationsforscher Dieter Oberndörfer befürchtet, dass allenfalls noch ein fauler Kompromiss zu Stande kommt. Aber auch ein endgültiges Scheitern des ehrgeizigen Reformprojekts wird nicht mehr ausgeschlossen.
Dabei sah es vor zweieinhalb Jahren zeitweilig danach aus, als könnte ein parteiübergreifender Konsens gelingen. Die Regierung und alle Parteien hatten Kommissionen eingesetzt, die in ihren Einschätzungen und Schlussfolgerungen nicht weit auseinander lagen. Doch bald geriet das Gesetz in die parteipolitischen Mühlen. Der Union ging vieles zu weit. Nach der fragwürdigen Abstimmung im Bundesrat kippte das Bundesverfassungs-
gericht kurz vor Weihnachten 2002 das Gesetz aus formalen Gründen. Im zweiten Anlauf steckt es jetzt seit Monaten im Vermittlungsverfahren fest.
Deutschland ist ein Einwanderungsland
Faktisch ist Deutschland schon lange ein Einwanderungsland, auch wenn die Integration der Migranten Jahrzehnte kein Thema war. Von 1960 bis jetzt stieg die Zahl der hier zu Lande lebenden Ausländer von 700 000 auf 7,3 Millionen. Im Laufe der Jahre wucherte das Ausländerrecht zu einem verworrenen Gebilde. Die Aufenthaltsregeln enthalten manche Ungereimtheiten. So dürfen Ausländer zwar hier studieren, aber wenn sie sich qualifiziert haben, müssen sie wieder gehen. Manch einer von ihnen wendet seine in Deutschland erworbenen Kenntnisse dann in den USA an.
Unübersichtlich sind auch die vielen Ausnahmen von dem 1973 verfügten Anwerbestopp. Die Anwerbestoppausnahmeverordnung listet sie mittlerweile auf neun Seiten auf. Ohne die Helfer aus Polen und anderswo würden die Spreewaldgurken verrotten, der Spargel nicht gestochen und manch ein Pflegeheim müsste schließen.
Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist heftig umstritten
Das von Wirtschaft, Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen und Kirchen begrüßte Zuwanderungsgesetz wollte drei Bereiche neu regeln: Integration, humanitäres Flüchtlingsrecht, Arbeitsmigration. Es ist vor allem die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, an dem sich der Streit nachhaltig entzündet. Rot-Grün wollte hier neue Regeln einführen. Ausländer aus Nicht-EU-Ländern dürfen hier arbeiten, wenn der Arbeitsplatz weder mit einem Deutschen noch einem EU-Bürger besetzt werden kann. Neben diesem Regelfall will das Gesetz ein Punktesystem einführen, das von Spitzenkräften keinen Arbeitsplatznachweis verlangt. Ein Punktesystem schlug dereinst auch Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) vor, der jetzt die Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses leitet.
Während bei der Integration und beim Flüchtlingsrecht Kompromisse denkbar sind, könnte das Gesetz an der Arbeitsmigration scheitern. Die Union hängt die Latte für die nächste Verhandlungsrunde am 27. Februar hoch. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) bekräftigte erst am Wochenende: Das Punktesystem muss weg, der seit 1973 geltende Anwerbestopp bleiben. Und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach betonte, diese Teile "sind für uns nicht verhandelbar". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, fragte sich daraufhin, über was man dann noch reden solle. "Wenn das das letzte Wort der Union war, dann hat sie das Zuwanderungsgesetz beerdigt."

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Die SPD hat noch nicht aufgegeben
Unionspolitiker halten indes eine Einigung mit der SPD für möglich. "Das Problem sind die Grünen", sagt Beckstein, und der SPD-Fraktionsvize Hans-Joachim Hacker findet, dass die Grünen die Lage zu negativ sehen. Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz gibt noch nicht auf. Nicht Einzelpunkte seien entscheidend, sondern das Gesamtpaket. Sollten einem Kompromiss die zentralen Regelungen Arbeitsmigration zum Opfer fallen, dann, findet Migrationsforscher Oberndörfer, könne man gleich alles beim Alten lassen.
Überraschend wich jetzt Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust von der harten Linie ab und hielt sogar das Punktesystem für eine denkbare Lösung. Doch damit steht er bislang im Lager der Union allein. Von Beust hat die CDU zum Einlenken im Streit um ein Zuwanderungsgesetz aufgefordert. "In meiner Partei muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Deutschland eine kontrollierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt braucht", sagte der CDU-Politiker im Gespräch mit "Bild am Sonntag". Das dafür vorgeschlagene Punktesystem sei eine denkbare Lösung, fügte Beust im Unterschied zur bisherigen CDU-Linie hinzu.