Ein einziger Mann könnte den Krieg verhindern. Im allerletzten Moment, wenn alle anderen versagt haben, alle Barrieren niedergerissen sind. Und die amerikanische Militärmaschinerie aufheult, um den Gegner endlich, endlich zu zermalmen. Der Gedanke ist verwegen, aber unser Mann, da bin ich sicher, hat ihn schon gedacht. Stellen wir uns vor, in diesen kritischen Tagen besteigt Johannes Paul II. in Rom eine Sondermaschine und fliegt nach Bagdad. Zu einem unbefristeten Besuch des altbiblischen Zweistromlandes, das sich heute Irak nennt. Begleitet von Würdenträgern der katholischen Kirche. Binnen weniger Tage folgen Vertreter anderer Religionen - und die irakische Kapitale wird Schauplatz einer nie erlebten ökumenischen Manifestation gegen den Krieg.
Es wäre ein tollkühnes Unternehmen, eine Intervention des Vatikans in die Politik, wie sie die neuere Geschichte nicht erlebt hat. Wie könnte George W. Bush die Bombardierung Bagdads befehlen, wenn sich der Papst dort aufhält? Wie wollte er die Nation - ganz zu schweigen von den alliierten Ländern - auf seinen Kriegskurs einschwören, wenn sich der Papst unter Einsatz der eigenen Person gegen ihn stellt? Der Krieg wäre moralisch zerschellt, Amerikas Präsident aufs Höchste desavouiert. Seine Doktrin vom Präventivkrieg gegen das Böse, seine religiös verbrämte Anmaßung, sein verheerender Begriff vom "Kreuzzug" gegen den Terror als christliches Pendant zum "Dschihad" der Muslime - alles würde weggewischt. Die Welt wäre eine andere; die Kirche auch - sie hätte enorm an Autorität gewonnen.
Der Unberechenbare
Pure Fantasterei? Bevor wir uns der Beantwortung dieser Frage nähern, wollen wir untersuchen, warum sie sich überhaupt stellt. Karol Wojtyla beschäftigt sich seit langem und auf geradezu träumerische Weise mit einem Besuch des Irak. Im Heiligen Jahr 2000 verweigerte Saddams Regime dem Unberechenbaren die Visite, schob Sicherheitsbedenken vor. Der Papst folgte dennoch seiner Sehnsucht: In diesen Tagen veröffentlichte der Vatikan eine Gedicht-Meditation des Pontifex, in welcher der in Gedanken mit dem Urvater Abraham durch die Wüste von Chaldäa streift.
So viel zum romantischen Teil der Motive. Die kirchen- und weltpolitischen sind gewichtiger. Wojtyla, längst einer der größten Päpste der Geschichte, sieht in seinem 83. Lebensjahr all das gefährdet, was er an Versöhnung mit den anderen Weltreligionen, dem Islam im Besonderen, zustande gebracht hat. Es ist ein beeindruckendes Erbe, gegen heftige Widerstände reaktionärer Zirkel im Vatikan zusammengetragen: Der kleine, gebeugte Mann hat an der Klagemauer der Juden in Jerusalem gebetet und die bedeutendste Universität der islamischen Welt in Kairo besucht. Er hat in Rom wiederholt seine alten jüdischen Freunde aus dem Krakauer Widerstand gegen die Nazis empfangen - ebenso wie den Palästinenserführer Jassir Arafat und den iranischen Präsidenten Khatami. Gegen den Verzicht auf eigene Missionierung in islamischen Ländern rang er den Führern der Muslime die Erklärung ab, im Namen Gottes dürfe niemals Gewalt angewendet werden. Bushs "Kreuzzug" könnte all das zerschlagen, zum "Krieg der Kulturen" werden und die Christen in gemischt-religiösen Ländern wie Nigeria muslimischer Wut aussetzen.
Seelenlosen Kapitalismus lehnt er ab
Hinzu kommt große Distanz zum amerikanischen Denken. Den gottlosen Kommunismus hat der Pole zu Fall gebracht, den seelenlosen Kapitalismus lehnt er nicht weniger inbrünstig ab. Die leichtfertige Segnung "gerechter Kriege" ist unter seinem Pontifikat - und dem Eindruck von Hiroshima - fundamentaler Kritik am Krieg schlechthin gewichen. Angriffskrieg ist danach in jedem Fall verwerflich, für den Verteidigungskrieg wurden im Kathechismus der katholischen Kirche 1992 strikte Bedingungen formuliert.

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Der Krieg wäre moralisch zerschellt, George W. Bush desavouiert
Der Papst hat viel getan, um den Krieg zu stoppen. Er hat öffentlich protestiert ("Nein zum Krieg. Krieg ist nicht immer unvermeidlich. Er ist immer eine Niederlage für die Menschheit!"); er hat Bush und Saddam Gesandte geschickt; er hat Tony Blair und Jos? Maria Aznar ins Gewissen geredet; er hat für den Frieden gefastet. Nur das Äußerste könnte er noch wagen: die eigene Existenz einzusetzen.
Das Unerhörte ist zu unerhört: Es wäre die Verletzung eines mächtigen Tabus - keine Intervention in die Politik! -, die Aufruhr riskierte; im Vatikan, unter den Gläubigen, in der Politik. Der Papst als Schutzschild eines Diktators! Ihm wie uns bleibt nur der Traum. Aber es ist süß, ihn zu träumen.