Zwischenruf Der versengte Kandidat

  • von Hans-Ulrich Jörges
Der Kampf um Wolfgang Clements Parteiausschluss gefährdet eine Kanzlerkandidatur von Frank-Walter Steinmeier - Clement scheint das egal zu sein, die SPD-Linke könnte es genau darauf abgesehen haben.

Ist der Kandidat allen gleichgültig - oder geht es einigen gerade um ihn? Ist die SPD in einen Prozess der Selbstzerstörung eingetreten, in dem kein vernünftiger Gedanke an morgen mehr Raum hat - oder wird das Schauspiel von ein paar Strategen sehr kühl, sehr überlegt beobachtet, in Wahrheit sogar toleriert oder gefördert, weil es ihren Absichten dient? Im einen wie im anderen Fall liefe es auf das Gleiche hinaus: Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister mit den überragenden Beliebtheitswerten, stünde als Kanzlerkandidat der SPD von vornherein auf verlorenem Posten. Ja, er wäre unter den denkbar gewordenen ungünstigsten Umständen schwerlich als Kandidat vorstellbar. Weil er nicht mehr zu dieser SPD passte. Weil er vielleicht selbst gar nicht mehr wollen könnte. Weil er den Kurs der SPD nicht glaubwürdig zu vertreten imstande wäre. Weil der Gegner im Wahlkampf leichtes Spiel hätte, einen Keil zwischen ihn und seine Partei zu treiben, ihn als Handpuppe einer Regie führenden Linken abzutun. Mit einem Wort: weil er der Dumme wäre. Und Angela Merkel triumphieren könnte.

Triumphiert die Linke, passt Steinmeier nicht mehr

Verlöre Kurt Beck die Wahl 2009, schiene der Weg frei für Andrea Nahles und Klaus Wowereit

Es lohnt sich jedenfalls, den Blick nach vorn zu wenden, um zu verstehen, was in diesen Tagen für die SPD auf dem Spiel steht. Beginnen wir mit Wolfgang Clement und dem Kampf um seinen Parteiausschluss. Wenn es zuträfe, was er sagt, dass die Linke die Oberhand gewinnt in der SPD, dass sich die Partei im Prozess einer Ideologisierung befindet, die fast hinter das Godesberger Programm von 1959 zurückführt, dass es um einen Richtungskampf gegen die Reformagenda 2010 geht, also um eine Entschröderisierung der SPD - dann würde mit Clement auch Steinmeier, der Autor jener Agenda, gemaßregelt oder ausgeschlossen. Dann passte er einfach nicht mehr. Punkt und aus.

Die Selbstverbrennung des Egomanen

Clement freilich ist alles andere als ein leidenschaftslos analysierender Kopf. Seine Sturheit, seine Weigerung, auch nur einen Schritt auf die SPD zuzugehen und anzuerkennen, dass man bei aller Kritik nicht dazu aufrufen darf, die eigene Partei nicht zu wählen, erinnert an eine Selbstverbrennung. An einen, der gar nicht mehr will, der seine Partei in Wahrheit längst hinter sich gelassen hat und den großen Abgang sucht. Auch die Wahl von Otto Schily als Rechtsbeistand nährt diesen psychologischen Verdacht. Denn auch Schily hat diese Leckt-mich-Haltung vorexerziert, ohne Rücksicht auf die SPD: als er sich weigerte, seine Nebeneinkünfte als Abgeordneter offenzulegen. Die Selbstverbrennung des Egomanen würde den Kandidaten-Kandidaten unweigerlich versengen, wenn nicht mit verbrennen. Ein Gedanke an Steinmeier scheint Clement fremd. Seine Kompromisslosigkeit als Kampf für Steinmeier zu begreifen, fällt jedenfalls schwer.

Die Parteilinke folgt eigenem kalkül. Sie geht ihren Weg, ob ihn Steinmeier mitgehen kann, ist ihr gleichgültig. Womöglich will sie sogar, dass er nicht kann. Gegen seinen Rat und seinen politischen Kurs nimmt Andrea Ypsilanti noch einmal Anlauf, sich in Hessen mit den Stimmen der Lafontaine- Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen - ihre letzte Chance, dem programmierten Untergang bei Neuwahlen 2009 zu entgehen. Gegen Steinmeiers Rat und Kurs wurde Gesine Schwan zur Präsidentschaftskandidatin von Lafontaines Gnaden berufen. Beide, Ypsilanti und Schwan, sind vom Scheitern bedroht, und beider Scheitern hätte Steinmeier im Wahlkampf zu verdauen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Weg frei für Nahles und Wowereit

Gegen seinen Rat und Kurs schließlich wird die SPD nächstes Jahr bei den Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen Bündnismanöver mit Lafontaine wagen. Dabei ist die Agenda 2009 für den Kandidaten Steinmeier ohnehin extrem belastend: Im Januar treibt der Gesundheitsfonds die Krankenkassenbeiträge - mit Ulla Schmidt haftet dafür vor allem die SPD. Im Juni droht ihr dann ein Desaster bei der Europawahl - schon 2004 war sie nur auf 21,5 Prozent gekommen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Linke Clement schlägt, um Steinmeier zu treffen - und Kurt Beck zum Kanzlerkandidaten zu befördern. Dessen Popularität liegt aktuell um 50 Punkte unter der Angela Merkels, sogar von den SPD-Anhängern wollen ihn nur 15 Prozent (!) als Kanzler.

Verlöre er die Wahl mit Aplomb, schiene der Weg frei für Andrea Nahles und Klaus Wowereit an die Spitze einer zur Linken offenen SPD, als Vorsitzende die eine, als Kanzlerkandidat der andere. Beide, und das ist höchst bemerkenswert, haben in der hitzigen Clement- Debatte kein Wort verloren. Ein erfolgreicher Kanzlerkandidat Steinmeier, der im zweiten Schritt vielleicht sogar den Parteivorsitz beanspruchte, ist nicht in ihrem Interesse. Sie setzen auf einen untergehenden Beck. Ist der noch bei klarem Verstand, erkennt er das und hält Clement - um Steinmeier zu verteidigen. Und den Parteivorsitz für sich selbst.

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