Zwischenruf Kanzler, übergeben Sie!

Gerhard Schröder hat das Vertrauen der Deutschen verspielt, er wird es nicht zurückgewinnen. Falls Wolfgang Clement Erfolg hat, ist er der neue Mann. Aus stern Nr. 7/2003

Dies war kein Denkzettel, keine Ohrfeige - es war ein Abschied. Ein Abschied von jenem freundlich-warmen Bild, das sich die Wähler über Jahre von Gerhard Schröder gemacht hatten. Zornig, radikal und restlos desillusioniert haben sie es zerrissen - nicht allein in Hessen und Niedersachsen, sondern im ganzen Land. Der Mann von nebenan, der unverwüstlich Sympathische, der mitreißend Humorvolle, der zupackend Tatkräftige, der augenzwinkernd Pragmatische - er ist als Trugbild identifiziert.

Die schroffen Gegenbilder, zu denen die Menschen Zuflucht gesucht haben, illustrieren die Dramatik dieses Bruchs: Die Hinwendung zu Roland Koch und Christian Wulff ist wie der Wechsel von Sahnetorte zu Knäckebrot. Lieber verlässlich hart und trocken kauen als ein weiteres Mal der süßen Verlockung erliegen - und am Ende mit verdorbenem Magen die eigene Verführbarkeit verwünschen. Gerhard Schröders magnetische Ausstrahlung ist erloschen, der verschmitzt lächelnde Kanzler ist nicht mehr das Gesicht von Zukunft und Modernität. Deutschland verstößt seinen politischen Superstar. Es ist ein Land ohne Vertrauen.

Das hab ich doch alles schon mal erlebt

Ach ja, wird sich der Kanzler trösten, und seine Berater werden ihn darin bestärken: Das hab ich doch alles schon mal erlebt. 1999, ein Jahr nach dem rot-grünen Wahlsieg, war die Lage vergleichbar düster; und im Wahljahr 2002 sah es bis August schier zum Verzweifeln aus. Hab ich das Ruder nicht immer wieder herumgerissen? Sicher. Aber man kann die Geschichte auch anders lesen. Ja, man muss sie heute neu interpretieren. Vor vier Jahren haben die Deutschen noch einmal Vertrauen gefasst, den Absturz des Kanzlers in Orientierungslosigkeit und operatives Chaos als natürlichen Prozess der Selbstfindung einer neuen Regierung nach 16 Jahren Kohl entschuldigt. Im vergangenen Jahr war das Zutrauen zu Schröder im Grunde genommen schon erschöpft: Flut, Kriegsangst und tief wurzelndes Misstrauen gegenüber dem auf der Sonnenbank geschmeidig massierten Bayern boten ein letztes Mal die psychologische Rechtfertigung, sich vor dem Abschied zu drücken.

Fischer ist außenpolitisch in verzweifelter Lage, Gabriel demoliert

Nun ist er gekommen. Denn Vertrauen kann man nicht drei oder vier Mal verlieren, sondern nur ein einziges Mal. Die Täuschungsmanöver des Wahlkampfs, die störrische Verweigerung einer Geste der Einsicht und Entschuldigung haben es restlos verbraucht. Und die nachfolgenden Wechselbäder des Regierungsalltags haben das System Schröder auch für Gutwillige kenntlich gemacht; bestätigt, was dem Kanzler von seinen Kritikern seit je vorgehalten wird: Er hat kein Konzept und keine Grundsätze - das einzig Beständige an ihm ist der Wechsel der Positionen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Er kämpft nur für ein Ziel - die Macht

Er kämpft nur für ein Ziel - die Macht. Früher ging es um deren Eroberung, heute um ihre Verteidigung. Aber nicht mal das Handwerkszeug wird professionell gebraucht: Einen "inhaltlich und zeitlich strukturierten politischen Masterplan" für 2003 fordern heute die rechten "Seeheimer" in der SPD-Fraktion. Das heißt nichts anderes als: Der Kanzler und Parteivorsitzende hat bislang nicht die leiseste Ahnung davon vermittelt, wie, wann und mit wem er was mit welchem Ziel gestalten will. Reformkraft? Als das Wirtschaftsministerium einen "Masterplan Bürokratieabbau" präsentierte und unter Ziffer 5 das Gebietsmonopol der Schornsteinfeger aufbrechen wollte, blockierte der Kanzler: Er wollte es sich nicht mit den schwarzen Glücksbringern verderben.

Die Demoskopie enthüllt die ganze Tragweite des Verfalls: Über Jahre lag Schröders Ansehen weit vor dem der SPD, er schleppte seine völlig derangierte Partei zum Sieg. Jetzt ist er nicht nur synchron mit ihr in den Keller gestürzt, er ist für sie sogar zum Mühlstein bei Wahlen geworden. Und er verbrennt die Zukunft anderer: Joschka Fischer ist außenpolitisch in verzwei- felter Lage, weggestoßen wie die Grünen (während Washington über Schröders Desaster triumphiert); Sigmar Gabriel als Symbolfigur des Generationswechsels demoliert.

Vertrauen ist für die Deutschen das Schlüsselwort dieses Jahres. So riskant politische Prognosen auch geworden sind, diese sei gewagt: Gerhard Schröder wird das Vertrauen, das er verschenkt hat, nicht mehr zurückgewinnen. Falls Wolfgang Clements Reformoffensive gelingen sollte, wird das sein Erfolg sein, nicht der des Kanzlers. Er ist ja schon heute Hirn und Motor der Regierung. Gerhard Schröder sollte dann klug genug sein zu handeln. So früh wie möglich. Er sollte seinen Abschied nehmen.

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Hans-Ulrich Jörges