Zwischenruf Münchner Exorzismus

Sie wurde brutal ausgetrieben aus dem bebenden Parteikörper der CSU, doch Gabriele Pauli hat die Christsozialen dauerhaft verändert. Die Ära autokratischer Herrschaft ist vorüber.

Im Mittelalter hätte man sie als Hexe verbrannt. Auf dem CSU-Parteitag wird sie ausgetrieben. Die Rothaarige. Die Verstörende. Die Teuflische. Die Frau mit der unverschämt zur Schau gestellten Erotik. Die sich dreht und wendet und hingibt, verteufelt verführerisch unter den Scheinwerfern der Fernsehteams. Die die Augen so demütig niederund funkelnd wieder aufschlägt vor den rasenden Fotografen, verflucht gekonnt. Und alle Emotionen auf sich zieht, die Emotionen eines dampfenden Parteitags, die Emotionen von 1.000 Menschen. Den lodernden Hass der Männer, den eisigen Neid der Frauen - und den stillen Jammer all jener, deren Hoffnungen sie so bitter enttäuscht hat. Er ist akribisch geplant, der Exorzismus. Die Rollen sind verteilt. Der Ritus ist brutal. Sie ist gar nicht da, die Frau in der zweiten Reihe, im Nacken der Hierarchen. Und wenn sie sich doch bemerkbar macht, wenn sie widersteht, dann wird ihr gezeigt: Sie ist ganz allein, sie gehört nicht dazu. Sie muss raus aus dem bebenden Parteikörper.

Mit aller Macht. Vier Hierarchen werden aufgeboten, als Gabriele Pauli mit einem Änderungsantrag zum Grundsatzprogramm vorschlägt: "Unter Familie versteht die CSU alle Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen." Sie allein stimmt für diesen Antrag, alle anderen dagegen. Eine gegen 1.000. Zwei Hierarchen blocken sie ab, als sie dafür wirbt, eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht für alle Zeiten, sondern nur "in der jetzigen Situation" abzulehnen. Sie allein stimmt für ihren Antrag. Eine gegen 1.000. Ihre Kandidatur für den Parteivorsitz wird totgeschwiegen, gibt’s in den Reden der Machthaber gar nicht. "Ich gehe davon aus, dass es ein Vorsitzender sein wird", sagt Markus Söder, der Generalsekretär, und die Betonung ist Weisung. Nur Horst Seehofer und Erwin Huber nennt Günther Beckstein, der neue Ministerpräsident. Edmund Stoiber bietet "ihm", seinem Nachfolger im CSU-Vorsitz, Rat an. Alles vor der Wahl.

Aber sie steht. Und sie steht auf. Mutig. Verlangt eine Aussprache nach Becksteins Rede und fragt ihn, warum der sie zu einem Fall für den Psychiater erklärt, fragt so lange, so hartnäckig, bis ihr Söder mit herrischer Geste das Mikrofon abdrehen lässt. Und sie hält ihre Bewerbungsrede, zwischen Seehofer und Huber. Spricht frei wie Seehofer. Zittert nicht wie Huber. Eine verzweifelte, aussichtslose, amateurhafte Rede, aber ohne Stocken vorgetragen - eine Rede, die ahnen lässt, was sie einmal wollte. "Das Andere", eine lebendige Partei "ohne Angst", mit "kontroverser Diskussion", "echten" Politikern - und Frauen, die "viel mehr einzubringen" hätten. Sie gewinnt Respekt dafür, höflichen Beifall sogar. Eigentlich ist sie zurückgekehrt in die CSU nach den Eskapaden der vergangenen Monate. 24 Delegierte, immerhin, bekennen sich bei der geheimen Wahl zu ihr. Fast ein Wunder. Beckstein und Huber stellen ihr persönliche Gespräche in Aussicht.

Ohne Sie hätte es den Parteitag gar nicht gegeben. Ihr wird der Verrat an Stoiber aufgeladen. Sie muss ihn mitnehmen auf ihrer Höllenfahrt

Doch die Austreibung ist vollzogen. Musste vollzogen werden, um die heuchlerische Regie dieses Parteitags zu Ende zu bringen. Eines Parteitags, den es ohne sie gar nicht gegeben hätte. Um den Putsch gegen Stoiber, die Leugnung des Herrn, vergessen zu machen, zu dem die Jünger ohne ihren Mut nicht den Mut gefunden hätten. Ihr wird der Verrat aufgeladen. Sie muss ihn mitnehmen auf ihrer Höllenfahrt. Sie, die Sünderin, muss die Sünder reinwaschen bei diesem katholischen Ritual. Gabriele Pauli war der Einbruch des Weiblichen in die Männerwelt der CSU. Der Einbruch der Wahrheit in die Sphäre des Falschen. Der Einbruch der Basis in die Klüngel der Macht. Am Ende waren die ihr dankbar dafür, dass sie ihnen den Exorzismus eröffnete, als eine, die ausgetrieben gehört. Weil sie ihrer Eitelkeit erlag. Weil sie sich medial prostituierte. In der Mitte ihres Lebens, in der Krise ihrer Weiblichkeit, in der Furcht vor dem Verblühen.

Weil sie medial zugerichtet und dann auch behandelt wurde wie eine aus dem Rotlicht. Weil sie Bilder lieferte, um Männerfantasien zu entzünden. Latex! Mit so einer haben CSUMänner schmutzige Affären. Aber so eine wählt man nicht. Sie hätte es ihnen schwer gemacht, wenn sie die verteufelten Handschuhe ausgelassen hätte. Sie könnte stellvertretende Parteivorsitzende sein und in der Münchner Regierung sitzen, als Staatssekretärin mindestens, wenn sie klug und beherrscht geblieben wäre. Taktisch wie die Exorzisten. Verändert hat sie die CSU dennoch. Beckstein wurde in geheimer Wahl nominiert, nicht per Akklamation, weil ein einziger Delegierter darauf bestand. Ein Paulianer. Und zum ersten Mal wählte die Partei ihren Vorsitzenden aus mehreren Bewerbern. Eine paulinistische Revolution. Dieser Geist lässt sich nicht mehr austreiben.

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Hans-Ulrich Jörges