Forsa-Umfrage SPD-Basis sehnt sich nach Opposition

Die SPD-Basis ist unendlich frustriert. Die Mehrheit der Genossen hat genug vom Regieren. Sie glaubt, in der Koalition verrate die Partei ihre Werte, sie zweifelt an Kurt Beck - und gibt die Wahl 2009 schon jetzt verloren. Das ist das Ergebnis einer umfassenden stern-Umfrage an der SPD-Basis.

Sieben Jahre Rot-Grün. Eineinhalb Jahre Große Koalition. Und die SPD-Basis ist frustriert. Unendlich frustriert. Mehr als die Hälfte der Mitglieder ist davon überzeugt, dass die Parteispitze in der Großen Koalition sozialdemokratische Prinzipien verraten hat. Mehr als zwei Drittel finden, dass der SPD eine gewisse Zeit in der Opposition gut tun würde, um wieder zu sich selbst zu finden. Und mehr als die Hälfte der Basis glaubt nicht, dass Parteichef Kurt Beck die SPD aus ihrem Stimmungstief führen kann. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des stern hervor. Demnach sagten 58 Prozent der befragten SPD-Mitglieder, dass die SPD in der Zusammenarbeit mit der Union sozialdemokratische Prinzipien über Bord geworfen habe, 52 Prozent sagten, die Arbeit in der Großen Koalition schade der Partei. 63 Prozent der befragten SPD-Mitglieder sagten, dass ihrer Partei eine gewisse Zeit in der Opposition gut tun würde. Die nächste Bundestagswahl hat das Parteivolk dabei ohnehin abgeschrieben: Nur 22 Prozent glauben an einen Sieg. In der vergangenen Woche hat Forsa insgesamt 1003 SPD-Mitglieder befragt.

Im Zangengriff von Linkspartei und Union

Die Ergebnisse der SPD-Umfrage des stern zeichnen das Bild einer bis ins Mark frustrierten Partei. Sie belegen, dass die Sozialdemokraten in einer existenziellen Krise steckt. Im Zangengriff von Linkspartei und Union geht der SPD die Puste aus. Die Linkspartei schwingt sich auf zum Anwalt all jener, die sich abgehängt fühlen, von der Politik - und vor allem von der SPD. Sie spielt den Anwalt des Prekariats. Gleichzeitig probt die sozialdemokratisierte Union die feindliche Übernahme vormals klassischer SPD-Domänen, etwa der Familienpolitik. Die Identität der SPD, so scheint es, wird in dieser Zange zermalmt. Alarmierend für die Strategen im Willy-Brandt-Haus muss sein, dass das auch die eigene Basis so sieht.

Mehr als zwei Drittel gegen Rente mit 67

Wie sehr die SPD-Basis genug hat von staatstragenden koalitionären Kompromissen, wird in der stern-Umfrage auch dadurch deutlich, dass die Mehrheit der Befragten die Politik der Großen Koalition in zentralen Fragen ablehnt: 62 Prozent der von Forsa befragten Genossen lehnen die Rente mit 67 ab, immerhin ein Steckenpferd des SPD-Arbeitsministers Franz Müntefering. Ebenfalls 62 Prozent lehnen die Unternehmenssteuerreform ab. 51 Prozent sprechen sich für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan aus. Das sind schallende Ohrfeigen für die Sozialdemokraten im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel.

Kann Beck die Partei aus dem Stimmungstief führen?

Jedoch sind es nicht nur Inhalte, die die Genossen frustrieren. Auch ihren Führungsfiguren trauen sie wenig zu. Nur 23 Prozent der Befragten glauben, dass SPD-Chef Kurt Beck der Kanzlerkandidat wäre, mit dem man die größten Chancen hätte, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen. Beck liegt zwar vorn, aber dicht gefolgt von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (20 Prozent). Mit etwas größerem Abstand folgen Finanzminister Peer Steinbrück (14 Prozent), Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Franz Müntefering (alle acht Prozent). Becks Arbeit bewertet nicht einmal die Hälfte der Befragten als "gut" (43 Prozent) oder als "sehr gut" (5 Prozent). 56 Prozent der SPD-Mitglieder glauben nicht, dass Beck die Partei aus dem Stimmungstief führen kann.

Mitglieder schätzen Arbeit von Steinmeier und Steinbrück

Steinmeier und Steinbrück sind es auch, die bei der Bewertung der Arbeit der SPD-Minister am besten abschneiden. Auf die Frage, wessen Regierungsarbeit positiv oder negativ sei für die Partei, sagten 77 Prozent, die Arbeit des Außenministers sei "positiv", nur 10 Prozent halten sie für "negativ." Die Affäre Kurnaz hat Steinmeier offenbar unbeschadet überstanden. An zweiter Stelle folgt Finanzminister Peer Steinbrück (72 Prozent "positiv", 15 Prozent "negativ"). Franz Müntefering erhält ein ernüchterndes Zeugnis (53 Prozent "positiv", 27 Prozent "negativ"). Ganz hinten rangiert Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. 50 Prozent der SPD-Mitglieder glauben, ihre Arbeit in der Großen Koalition sei negativ für die Partei, nur 32 Prozent bewerten sie positiv.

Die Mehrheit würde sich im Wahlkampf engagieren

Zwar hat die SPD in den vergangenen Jahren bereits einen erheblichen Mitgliederschwund verzeichnet, ein Ende der Abwanderung scheint aber noch nicht abzusehen. So haben laut stern-Umfrage 29 Prozent der Mitglieder in jüngster Zeit darüber nachgedacht, ihr Parteibuch zurückzugeben, vier Prozent geben an, kurz vor dem Austritt zu stehen. Allerdings sagten auch 58 Prozent der Mitglieder, dass sie sich derzeit aktiv für die SPD in einem Wahlkampf engagieren würden. Und 62 Prozent glauben, dass die SPD im Februar 2008 die Bürgerschaftswahlen in Hamburg gewinnen kann - anders als die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Dort rechnet eine Mehrheit mit einer Niederlage.

<em>stern.de</em>