Stern-Chefredakteur Wie Trump seine zweite Amtszeit vorbereitet: Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern-Titel

Editorial Thema: Donald Trump
Diese Woche widmet sich der stern den Ambitionen Donald Trumps auf eine zweite Amtszeit als US-Präsident
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Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in das neue stern-Heft und spricht diese Woche über den Wahlkampf in den USA und Trumps Pläne.

Die britischen Wettbüros, in denen man auf jedes Ereignis dieser Welt wetten kann, haben für US-Präsident Joe Biden eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Sie bewerten Bidens Chance, seine erste Amtszeit komplett zu erfüllen, mittlerweile als sehr gut. Das ist ein Fortschritt, denn wegen seines Alters (Biden ist 80 Jahre) hatten die Buchmacher daran lange erhebliche Zweifel. Die schlechte Nachricht: Bidens Wett-Chance, eine zweite Amtszeit zu gewinnen, liegt nur noch hauchdünn vor den Aussichten Donald Trumps. Schon binnen weniger Wochen dürfte dieser in den Wettbüros als Favorit gelten.

Das mag uns amüsieren oder kurios vorkommen, wie so vieles, seit Trump zu unser aller Leben gehört. Doch bis heute ist uns noch immer das Lachen vergangen. Daher sollten wir auch diesmal die Vorzeichen todernst nehmen: Die Wette, dass Joe Biden oder einfach die unzähligen Skandale Trumps dessen Comeback schon irgendwie verhindern werden, könnte die riskanteste politische Wette aller Zeiten sein.

Für Donald Trump heißt es: Knast oder Oval Office

Der amerikanische Rechtsstaat vermag ihn nicht aufzuhalten. Auch als verurteilter Straftäter könnte Trump Präsident werden, auf diesen Freispruch an der Wahlurne hofft er: Knast oder Oval Office. Vermutlich würde ihm eine Verurteilung sogar helfen, sich als Opfer einer gigantischen Verschwörung darzustellen.

Und Joe Biden? Vielleicht ist er wirklich der einzige Demokrat, der gegen Trump gewinnen kann, immerhin hat er es schon einmal geschafft. Er wirkt bodenständig, nicht abgehoben wie Hillary Clinton oder Barack Obama. Er hat jede Menge Jobs geschaffen und den Westen in der Ukraine-Krise zusammengehalten. Er bekämpft den Klimawandel wie keiner seiner Vorgänger.

Aber trotzdem (oder deswegen) ist Biden ein sehr unbeliebter Präsident. Er ist eigentlich viel zu alt und schwach für einen langen Wahlkampf. Vor vier Jahren brauchte er den nicht zu führen, wegen Corona durfte er meist daheim im Keller bleiben. Nun muss er raus zu den Menschen. Was, wenn er vergisst, wo er ist oder vor aller Augen böse stürzt? Viele US-Demokraten trauen sich nicht, diese Sorgen anzusprechen. Trump würde keinen Moment zögern, Biden auf offener Bühne ins Gesicht zu sagen, er sei senil.

Blick in eine mögliche Zukunft mit Trump

Wer sich bei führenden Politikerinnen und Politikern in Berlin umhört, wie sie sich auf ein mögliches Trump-Comeback vorbereiten, erhält stets die gleiche ausweichende Antwort: Lob für Joe Biden. Der sei viel weiser, entschlussfreudiger, agiler, als er wirke. Und er werde am Ende siegen. Aber was, wenn nicht? Bereits jetzt planen rechte Ideologen, wie unser Titelteam rund um Washington-Korrespondent Marc Etzold beschreibt, eine weit besser organisierte und weniger chaotische zweite Trump-Amtszeit. Sie wollen dem Umweltschutz, der globalen Ordnung, dem Handelssystem den Todesstoß versetzen.

Einige Beispiele: Die Unterstützung für die Ukraine will Trump binnen 24 Stunden so gut wie einstellen, Klimaabkommen aushebeln, mit Strafzöllen den Handel strangulieren. Das Ringen mit China, von Biden diplomatisch austariert, könnte zum Krieg eskalieren. Unsere Politiker müssen sich unbequemen Wahrheiten stellen. Ja, wir werden noch mehr Geld für Verteidigung brauchen, wenn die USA als Schutzmacht ausfallen. Ja, wir müssen Handelsabkommen mit anderen Regionen vorantreiben, selbst wenn sie unpopulär sind. Und ja, wir müssen wieder lernen, strategisch zu denken. Kanzler Olaf Scholz, der sich gern als besonders weitsichtiger Mann geriert, muss uns auf eine Welt ohne einen verlässlichen amerikanischen Partner zumindest vorbereiten. Alles andere wäre grob fahrlässig.

Apropos Opfer-Inszenierung: In unserer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich knapp die Hälfte der Befragten für ein Verbot der AfD aus – und sogar zehn Prozent der AfD-Anhänger. Entweder sie haben die Frage nicht verstanden, oder sie hoffen, dass so ein Verbot ihrer Bewegung weiteren Auftrieb gibt.

Erschienen in stern 33/2023