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Ach guck – am Dienstag, beim Digitalgipfel in Jena, musste er dann doch mal was sagen. Olaf Scholz sprach über Künstliche Intelligenz, schnelles Internet und – ganz kurz – auch zur Frage, wie es eigentlich mit seiner Regierung weitergehen soll, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Koalition vor einer Woche der haushaltspolitischen Schlamperei überführt hatte.
Naja, sagte Scholz also in Jena. "Wäre natürlich für Sie spannend, wenn Sie jetzt hier bei mir irgendwas anschalten könnten und ich würde Ihnen meine Gedanken offenlegen oder das, was ich an Austausch mit Herrn Habeck und Herrn Lindner und Herrn Wissing habe. Aber das behalten wir noch für uns." Ein Grinsen. Nö, ich sage nix. Hihi. Das war es.
Ich gebe zu: Als Journalist mit kritischer Grundeinstellung steht man zuweilen vor der Schwierigkeit, nicht permanent rumzunörgeln oder ins Schlechtreden zu verfallen. Aber nachdem ich Scholz da in Jena sitzen sah, fällt es mir wirklich schwer, etwas Nettes zu ihm zu schreiben, so sehr ich mich auch anstrenge.
Man könnte als Kanzler in diesen Tagen schon mal auf die Idee kommen, ein beruhigendes Signal zu senden, wie 2008 zum Beispiel, als die Banken zusammenbrachen und die Große Koalition die Spareinlagen garantierte. Aber Scholz sagt nichts. Und vergrößert damit noch die Verunsicherung. Wird der Strom teurer? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Es sind Alltagsfragen, an denen viele Deutsche gerade interessiert sind. Nicht irgendwelche geheimen Plaudereien zwischen dem Kanzler und seinen Ministern.
Diese Regierungskrise ist historisch. Weil die Ampel seit Tagen im Blindflug unterwegs ist. Weil ein Plan B fehlte. Weil nun innerhalb von Tagen ein Loch gestopft werden muss, das größer ist als der gesamte Haushalt manch anderer Länder. Der Kanzler kann froh sein, dass mein Kollege Benedikt Becker in dieser Woche für ihn eingesprungen ist – und eine gute Orientierungshilfe durch die komplizierte Krise aufgeschrieben hat.
Es wäre auch deshalb schön, wenn Scholz sich mal ausführlicher äußern würde, weil die Misere ohne ihn selbst nicht denkbar wäre. Karlsruhe hat ein Prinzip zur Disposition gestellt, mit dem kaum jemand so verbunden ist wie Scholz. Der Ansatz nämlich, politische Gefahren und weltanschauliche Unterschiede mit haushaltspolitischer Nonchalance aushebeln zu können.
Scholz erfand die "Bazooka", als die Pandemie ausbrach, plante den "Doppelwumms", um der Energiekrise zu begegnen. Und die Ampel hätte womöglich keinen Koalitionsvertrag, wenn dem Schlaufuchs Scholz nicht jener Schuldenbremsen-Bypass eingefallen wäre, der ihm nun höchstrichterlich um die Ohren flog: Kredite auf Vorrat, um die Wünsche aller drei Parteien unterbringen zu können.
Ich will damit gar nicht sagen, dass alle Ideen politisch falsch gewesen sind. Viele Hilfspakete, die Scholz durchsetzte, haben diesem Land geholfen, das sollte man fairerweise zur Kenntnis nehmen. Aber das Prinzip Scholz ist jetzt Geschichte. Jeder haushaltspolitische Schritt des Kanzlers, auch jede Wohltat, die er im Wahlkampf ankündigt, steht von nun an unter besonderer Beobachtung. Er selbst hat es sich zuzuschreiben.
PERSON DER WOCHE

Auf Scholz gucken gerade viele in der Ampel – auf Werner Gatzer praktisch alle. Gatzer kennen Sie nicht? Dann sind Sie wahrscheinlich nicht allein. Seit 18 Jahren geht der Sozialdemokrat weitgehend geräuschlos und unauffällig seiner Arbeit nach, er ist Staatsekretär im Finanzministerium, hat Ministern aus drei verschiedenen Parteien gedient: Peer Steinbrück (SPD), Wolfgang Schäuble (CDU), Olaf Scholz (SPD), jetzt Christian Lindner (FDP). Gatzer steht eigentlich kurz vor der Rente, muss jetzt, auf seinen letzten Metern, noch einmal das Geld zählen und irgendwie dafür sorgen, dass die Regierung einen rechtssicheren Haushalt hinbekommt. Es ist eine Aufgabe für die Geschichtsbücher. Mein Kollege Nico Fried hat für Sie ein schönes Portrait über Werner Gatzer geschrieben.
UND SONST SO?
Es gibt manchmal schon kuriose Zufälle in der Politik. Die Grünen kommen Ende der Woche zu einem Parteitag zusammen. Wissen Sie wo? In Karlsruhe, ausgerechnet, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichtes. Es wird unruhig werden. Mein Co-Politikchef Jan Rosenkranz hat mit unserer Kollegin Lisa Becke die beiden neuen Chefinnen der Grünen Jugend interviewt. Stimmung? Scheint mir so lala.
Wie ist das eigentlich so, wenn Karlsruhe einem einen Strich durch die Rechnung macht? Meine Kollegin Miriam Hollstein und ich sind am Montag nach Hannover gefahren. Zwischen zwei Terminen haben wir Rolf Mützenich in einem Hotel zum Interview getroffen. Auf die Richter war er nicht wirklich gut zu sprechen. Dafür hat er ein kleines Hobby aus seiner Jugend preisgegeben. Sie kommen garantiert nicht drauf.
LAUTER LIEBLINGE
Ihr Highlight der Woche
… war ein kleiner Wutausbruch des Kollegen Fried. Sein Ärger bezog sich auf Robert Habeck und seine Neigung, die Schuld für politische Probleme in der Regel bei allen zu suchen - nur nicht bei sich selbst. Habeck, schreibt Nico, zeige sich gerade von seiner schlimmsten Seite. Hat er recht, finde ich.
Mein Highlight der Woche
… ist ein Text meines Kollegen Florian Schillat über den neuen Juso-Chef Philipp Türmer. Wenn man das Portrait liest, ahnt man: Auf Scholz kommen auch parteiintern schwierige Zeiten zu. Florian war übrigens drei Tage auf dem Juso-Kongress in Braunschweig. Muss man auch erstmal aushalten.
Wenn Sie noch nicht genug von Politik haben, dann kommen Sie doch am nächsten Montag nach Berlin. Da ist unsere nächste "stern-Stunde", das Talk-Format mit meinem Chef Gregor Peter Schmitz. Er hat zwei interessante Gäste eingeladen: Den früheren CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und die Sicherheitsexpertin Claudia Major. Infos und Tickets gibt es hier: stern.de/sternstunde
Eine schöne Woche und viele Grüße aus unserem Berliner Büro,
Veit Medick
Ressortleiter Politik
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