Urteil über Klimafonds Die 60-Milliarden-Entscheidung – die Ampel zittert vor Karlsruhe

Professorin Doris König Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgericht und Vorsitzende des Zweiten Senats, entscheidet mit über das Schicksal des Klima- und Transformationsfonds. 
Professorin Doris König Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgericht und Vorsitzende des Zweiten Senats, entscheidet mit über das Schicksal des Klima- und Transformationsfonds. 
Es ist eine brisante Frage: Durfte die Regierung 60 Milliarden Euro aus der Corona-Hilfe in den Klimafonds umbuchen? Am Mittwoch entscheidet Karlsruhe - das Urteil könnte die Ampelkoalition zerreißen.

Es gibt düstere Tage, vor denen man sich regelrecht fürchtet. Die man mit Macht aus seinen Gedanken verdrängt - bis sie dann doch unerbittlich anbrechen. Für die Ampelregierung gibt es in dieser Woche solch einen Tag: Heute, Mittwoch, 15. November 2023. Denn heute wird das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Bundesregierung mit einem spektakulären Haushaltsmanöver sehr teuren Bockmist gebaut hat.

Es geht um Kreditermächtigungen von 60 Milliarden Euro. Die waren 2021 vom Bundestag verabschiedet worden, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen. Als das Geld nicht benötigt wurde, weil alles glimpflicher verlief als befürchtet, buchte das Parlament die Milliarden mit der Ampelmehrheit in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) um, der, so jubelt die Bundesregierung, „der Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele Deutschlands“ dient. Dessen Wert wuchs damit schlagartig von 40 auf satte 100 Milliarden Euro. 

Der KTF hat sich über die Jahre zu einer Art Berliner Allzweckfinanzierungswaffe entwickelt. Wenn man nicht weiß, wie man eine irgendwie wirtschafts- und klimarelevante Zukunft finanzieren soll, lädt die Bundesregierung durch. Das KTF-Geld soll nicht nur helfen, Gebäude energetisch zu sanieren, die Industrie zu dekarbonisieren oder grüne Kraftwerke zu errichten. Es soll auch die Elektromobilität voranbringen, eine üppige Ladeinfrastruktur sicherstellen, ja sogar die Ansiedlung neuer Computerchip-Fabriken fördern. Und demnächst soll es auch die Steuersubventionen für den Industriestrompreis tragen, den die Ampel gerade beschlossen hat.

Union wettert gegen Finanztricks

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fand das Umbuchungsmanöver gar nicht clever, sondern unrechtmäßig. Sie klagte in Karlsruhe. Juristisch: Sie stellte einen „Antrag auf abstrakte Normenkontrolle“. Die Union bemängelt unter anderem, dass die 60 Milliarden Euro Miese per Nachtragshaushalt komplett dem Haushaltsjahr 2021 zugeordnet wurden. 

Warum, lässt sich leicht durchschauen. Zum einen war das Jahr 2021 ideal, um neue Schulden zu machen; denn da war die Schuldenbremse, die seit 2009 in Artikel 115 des Grundgesetzes verankert ist, wegen der Coronakrise ausgesetzt. Zum anderen eröffnete die trickreiche Umbuchung Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Möglichkeit, in den Folgejahren kräftig Geld aus dem KTF zu verteilen, ohne die Schuldenbremse zu lösen. Denn diese Ausgaben müssen ja im Jahr ihrer Auszahlung nicht mehr als Defizite verbucht werden. Viele Experten nennen so etwas „Schattenhaushalt“.

Irgendwie wurde den Ampelkoalitionären im Verlauf der vergangenen Monate aber doch mulmig wegen der eigenen finanztechnischen Beherztheit. Finanzstaatssekretär Werner Gatzer (SPD) versuchte die Umbuchung in das Sondervermögen wie folgt zu begründen: Auch der KTF diene der Bekämpfung der Coronafolgen, schließlich habe man nach all den Lockdowns und Lieferschwierigkeiten mit ihren heftigen ökonomischen Folgen einen Konjunkturimpuls setzen müssen. Die Union hält dagegen: Unsinn, die Ampel habe vielmehr frech eine „Vorratskasse“ eingerichtet, um die Schuldenbremse auszuhebeln.

Zittern vor dem Karlsruhe-Entscheid

Wie der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter seiner Vorsitzenden Doris König entscheiden wird, ist bei Fachjuristen offen. „Wir betreten hier Neuland“, sagte Richterin König selbst. Das Gericht muss letztlich die sogenannte „Notfallklausel“ bewerten, die besagt, dass die Schuldenbremse bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“ vom Bundestag ausgesetzt werden kann. Die Karlsruher Entscheidung ist zeitlich besonders brisant, weil schon am Donnerstag die Bereinigungssitzung für den Bundeshaushalt 2024 ansteht, die "Nacht der langen Messer". Hier klärt der Bundestag in zähem Ringen mit den Ministerien abschließend, wofür im kommenden Jahr Geld zur Verfügung steht - und wofür nicht.

 

In Berlin spielt man längst die Was-wäre-wenn-Szenarien durch. Im besten Fall segnet Karlsruhe den Finanztrick ab und alles wäre gut. Im schlimmsten Fall pocht das Bundesverfassungsgericht auf eine strenge Einhaltung der Haushaltsausgaben und der Schuldenbremse. Dann müssten die 60 Milliarden wieder aus dem KTF ausgebucht werden - was für die Ampel einer Katastrophe gleichkäme, denn alle Gelder sind längst verplant. In das Schatzkästchen KTF fließen zwar auch noch andere Einnahmen, zum Beispiel aus dem europäischen Emissionshandel oder der nationalen CO2-Bepreisung. Aber die werden bis auf weiteres längst nicht ausreichen, um einen herben Etat-Einbruch auszugleichen. Die Bundesregierung müsste folglich ihre ambitionierte Klimapolitik künftig in weiten Teilen ohne neue Schulden finanzieren oder doch die Schuldenbremse aussetzen. Manche Politiker fabulieren schon von einem Nothaushalt. 

Am wahrscheinlichsten halten viele Experten eine Zwischenlösung: Die Richter erteilen der Ampel einen Rüffel und formulieren Leitplanken, um solche Haushaltstricks künftig zu unterlassen.  Möglicherweise könnten sie auch verlangen, Teile der 60 Milliarden Euro zurückzugeben, zum Beispiel die rund zehn Milliarden Euro Subvention für das Intel-Chipwerk in Magdeburg.   

So oder so: Läuft es nicht überraschend glatt für die Ampel, steht sie vor ihrer nächsten, wohl heftigsten Zerreissprobe. Die Schuldenbremse zu missachten, ist derzeit mit der FDP ebenso wenig zu machen wie die Steuern kräftig zu erhöhen, um das neue Finanzloch auszugleichen. Die Klimapolitik herunterzufahren, können sich Grüne und SPD nicht leisten. Es drohen die nächsten Tage des Zitterns.