In Litauen versteht man die Deutschen nicht. Man fragt sich, warum sie so zögerlich sind, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Die Angst vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges lähmt die Deutschen, das ist hier der Eindruck. Bloß nicht Putin provozieren! Dessen Äußerungen, dass Russland bereit sei, Atomwaffen einzusetzen, haben offenbar deutsche Politiker wie Bürger dazu bewogen, sich noch stärker gegen Waffenlieferungen und eine starke Verteidigung auszusprechen.
Die Litauer macht das fassungslos. Sie kennen die Russen, sagen sie, haben jahrzehntelang unter der sowjetischen Besatzung gelitten. Ihre Warnung an Europa: "Die Russen sind Verbrecher, ihnen ist nicht zu trauen! Wir wissen es!" Die Annexion der Krim 2014 und der Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 haben ihnen Recht gegeben. Und doch verhallen die jahrelangen Warnungen bis heute.
Abrüsten hilft Putin
Was braucht es noch, damit Deutschland und Europa endlich auf die Litauer und die anderen baltischen Staaten hören? Was muss passieren, damit die ewigen Zauderer, die Zaghaften, die Zurückhaltenden in der EU zur Einsicht gelangen, die Unterstützung für die Ukraine deutlich zu verstärken? Nur so kann ein Sieg Russlands in der Ukraine verhindert werden.
Vor allem sollte der Rest Europas auf die Balten hören, wenn es um die Stärkung der Verteidigung geht. Putin weiß, wann ein Staat schwach ist. Es ist auf psychologischer Ebene zwar verständlich, dass Regierungen in Europa den russischen Machtapparat nicht mit Waffenlieferungen oder Aufrüstung provozieren wollen. Aber realpolitisch hat es sich das Wegducken als Irrweg entpuppt.
Schluss mit dem Appeasement, mit der militärischen Selbstkastration.
Wenn wir nicht wollen, dass Russland die Nato oder gar uns angreift, muss Europa seine militärischen Kapazitäten verstärken. Nur eine kraftvolle Verteidigung wird Putin in die Schranken weisen und seinen Imperialismus stoppen.
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Das Argument Trump
Das reflexartige Gegenargument, Aufrüstung verleite Putin erst recht zu einem Angriff, geht fehl. Denn wer es ernsthaft zu Ende dächte, müsste sogar weiter gehen und weniger Militär und Waffenlieferungen fordern, ja, im Grunde: eine Annäherung an Moskau einleiten.
Genau das ist es, was Putin will. Er sät mit seinen Drohungen Zweifel, er kalkuliert das Zögern und die Zurückhaltung in unseren Köpfen ein. Moskau hat absolut kein Interesse an einem militärisch starken Europa, weil es weiß, dass es dagegen nicht ankommt. Deshalb will Russland die Armeen der Europäer kleinhalten. Es ist, noch vor dem Krieg der Waffen, ein Krieg der Worte. Der Klügere rüstet nach.
Für ein starkes europäisches Militär spricht derweil noch ein weiterer guter Grund: die US-Wahlen im November. Die Chancen stehen gut, dass Donald Trump wieder ins Oval Office einzieht – und der ist, das wissen wir, genauso unberechenbar wie Putin. Seine Äußerungen, Nato-Staaten, die zu wenig für ihre Verteidigung ausgeben, nicht zu unterstützen, sollten uns Warnung genug sein. Falls Trump auch noch der Ukraine die Unterstützung entzieht, dann gute Nacht.

Hören wir endlich auf die Balten!
Was die Bedenkenträger und Mahner nicht verstehen wollen: Die Stärkung der militärischen Fähigkeiten Europas bedeutet eben nicht automatisch, dass diese auch präventiv eingesetzt werden. So wollen Deutschland und Europa Russland abschrecken, damit es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt. Und falls doch, sollen sie verhindern, dass wir zu schwer getroffen oder gar überrannt werden.
Es liegt in unser aller Interesse, Putin zu stoppen. Und deshalb ist es an der Zeit, auf diejenigen zu hören, die die russische Bedrohung am eigenen Leib erlebt haben. Es ist an der Zeit, die Unterstützung für die Ukraine und die Verteidigung Europas zu verstärken. Es ist an der Zeit, Putin seine Grenzen aufzuzeigen und eine starke, eine entschlossene Haltung einzunehmen.
Kurzum: Es ist an der Zeit, endlich auf die Litauer, die Balten und die Polen hören. Sie haben den Ernst der Lage längst begriffen.