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Ukraine-Krieg Warum Putin sogar in der Karibik nach Soldaten sucht

Ukraine-Krieg: Wladimir Putin
Russlands Präsident gerät im Ukraine-Krieg zunehmend in Personalnot. Mittlerweile rekrutiert Russland auf der ganzen Welt – sogar auf Kuba
© Mikhail Metzel / AFP
Je länger Russlands Krieg in der Ukraine dauert, desto größer werden die Personalprobleme bei Putins Militär. Der Kreml rekrutiert deshalb mittlerweile sogar auf Kuba. Ein Großereignis im nächsten Jahr erschwert aber die nächste Mobilisierungswelle.
Von Kevin Schulte

Dieser Text erschien zuerst auf ntv.de

Seit mittlerweile über anderthalb Jahren greift Russland die Ukraine an. Hunderttausende Soldaten hat Präsident Wladimir Putin für den Krieg im Nachbarland zusammengezogen. 400.000 feindliche Kämpfer sollen momentan in der Ukraine sein, sagt das ukrainische Militär. Dazu kommen schätzungsweise bis zu 300.000 Gefallene in den vergangenen rund 19 Monaten. Das sind extrem hohe Zahlen. Zwar ist Russland ein riesiges Land, neue Soldaten zu finden und in den Krieg zu schicken, wird aber trotzdem immer komplizierter.

Deshalb sucht Moskau mittlerweile sogar im Ausland nach Soldaten. Unter anderem im weit entfernten Kuba, früher ein sowjetischer Bruderstaat. Dort soll es ein russisches Schleuser-Netzwerk geben, das angeblich Kubaner mit falschen Versprechungen in den Krieg gelockt hat. Das teilte Anfang des Monats das kubanische Außenministerium mit und verwies darauf, dass es an der Zerschlagung dieses Systems arbeite. 

"Sie sind an der Front, um die russischen Truppen zu schützen. Sie sind Kanonenfutter", sagt eine kubanische Mutter bei ntv über das Schleuser-System auf ihrer Heimatinsel. Die Russen hätten ihren Sohn angeheuert, um die zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen, stattdessen sei er aber in den Krieg geschickt worden.

Mehrere Hundert Kubaner sind nach Einschätzung der Regierung in der Ukraine im Einsatz. Experten vermuten, dass der Karibikstaat vor allem aus Furcht vor neuen Sanktionen aus den USA so vehement gegen die russischen Rekrutierungen vorgeht. Erst kürzlich wurden auf Kuba 17 Männer verhaftet, die verdächtigt werden, für den Krieg in der Ukraine rekrutiert zu haben.

Nicht nur Kuba im Fokus

Aber Kuba scheint nicht das einzige Land zu sein, in dem sich Russland nach möglichen Soldaten umsieht. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums hat Moskau vor allem in den zentralasiatischen Nachbarländern viel Potenzial ausgemacht. Demnach gehe der Kreml von mindestens sechs Millionen möglichen Rekruten aus.

Als konkrete Beispiele werden Werbeanzeigen in Kasachstan und Armenien genannt. Hier lockt Moskau die Menschen mit einer Prämie von 495.000 Rubel, das sind umgerechnet knapp 4800 Euro. Pro Monat im Kriegseinsatz kommen demnach mindestens 1800 Euro dazu - das übersteigt den Durchschnittslohn in diesen Ländern deutlich.

"Ökonomie des Todes"

Der hohe Sold kann aber nicht nur auf die Menschen im benachbarten Ausland verlockend wirken, sondern auch auf die Bewohner entlegener Gebiete innerhalb Russlands. In Jakutien im Fernen Osten oder in Burjatien an der Grenze zur Mongolei verdienen die Menschen pro Monat im Durchschnitt weniger als 400 Euro.

Das Geld sei für viele Menschen in diesen Regionen ein gutes Argument, in den Krieg zu ziehen, sagt der russische Ökonom Wladiwslaw Inosemzew im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Denn, wenn sie sich bei der Armee melden, gibt es 600.000 Rubel auf die Hand und noch einmal eine Million Rubel zusätzlich, wenn sie ein halbes Jahr kämpfen. Mit dem Geld können sie ihre Hypothek zurückzahlen oder ihre Tochter zum Studieren nach Moskau schicken."

In Russland ist sterben inzwischen in vielen Fällen lukrativer als leben. Inosemzew spricht deshalb von der "Ökonomie des Todes".

Im Todesfall fließen Riesensummen

Stirbt ein Rekrut im Krieg, ist für die Hinterbliebenen finanziell gesorgt. Wenn sich ein Familienmitglied freiwillig für den Kriegsdienst meldet und im Einsatz fällt, werden etwa 30.000 Euro ausgezahlt. Eine ziemlich hohe Lebensversicherung, die Putin erst diesen Sommer per Erlass eingeführt hat. Hinzu kommen 5 Millionen Rubel, derzeit etwa 48.000 Euro, als sogenannte "Einmalzahlung des Präsidenten", die es seit März 2022 für die Familien von Kriegstoten gibt.

Auch das russische Verteidigungsministerium zahlt eine eigene Entschädigung, seit Anfang dieses Jahres sind das gut 45.000 Euro. Hinzu kommen etwa 10.000 Euro von der jeweiligen regionalen Behörde. In Summe können umgerechnet über 130.000 Euro an Zahlungen für die Hinterbliebenen zusammengekommen. In den ärmsten Regionen Russland müssen Menschen für diese Summe 30 Jahre lang arbeiten.

Die zynische Folge von Putins Politik sei ein "riesiges Strukturprogramm für die ärmsten russischen Regionen", kommentiert Ökonom Inosemzow. In den entlegenen Gebieten des riesigen Landes würden bereits jetzt vielerorts "neue Häuser und hoch bezahlte Jobs" entstehen.

Zehntausende Zwangsrekrutierungen

Dem russischen Präsidenten geht es nicht darum, besonders motivierte oder gut ausgebildete Männer zu rekrutieren. "Mittlerweile dürfte jede russische Familie Menschen haben, die als Kanonenfutter in diesen Krieg geschickt worden sind. Putin nimmt darauf aber keine Rücksicht. Es geht nur um die Masse von Menschen, die man da ins Feld führen kann", sagt Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im "Stern"-Podcast "Ukraine - die Lage". 

Doch manchmal reicht selbst vergleichsweise viel Geld nicht aus, um Männer in den Krieg zu locken. Es gibt etliche Berichte über Zwangsrekrutierungen, vor allem in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten. Laut Kiews Militärgeheimdienst sollen insgesamt etwa 60.000 Ukrainer unter Zwang für die russischen Streitkräfte rekrutiert worden sein.

Auf der Krim ist dieses Vorgehen bereits seit der illegalen Annexion der Halbinsel im Jahr 2014 an der Tagesordnung. In den acht Jahren bis zur vollständigen Ukraine-Invasion haben die Russen 34.000 Personen auf der Krim zwangsrekrutiert, zitiert das ZDF Jewgenij Jaroschenko von der Menschenrechtsorganisation "KrymSOS".

Das britische Verteidigungsministerium meldete kürzlich sogar einen Fall, bei dem Ausländer zum Kriegseinsatz gezwungen wurden. Zum Beispiel seien in der besetzten südukrainischen Stadt Mariupol usbekische Bauarbeiter dazu gedrängt worden, sich dem russischen Militär anzuschließen.

Ukraine-Krieg: Putin setzt auf Masse

Russlands verschiedene Rekrutierungswege deuten darauf hin, dass dem riesigen Land tatsächlich die Soldaten ausgehen. Experte Christian Mölling sieht den Grund für den steigenden Personalmangel vor allem in der Kriegsstrategie Putins. "Russland hat die permanente Notwendigkeit, Soldaten oder normale Bürger nachzuziehen, um sie an die Front zu werfen. Aber es gelingt ihnen nicht. Das ist ein Dauerzustand."

Russland setzt auf den Faktor Masse, um Kiews Truppen mit möglichst vielen Soldaten auf lange Sicht zu zermürben.

An Menschen mangelt es zumindest theoretisch jedenfalls nicht - mehr als 140 Millionen Einwohner hat Russland und damit mehr als dreimal so viele wie die Ukraine. Doch die bloße Anzahl von Kämpfern hat diesen Krieg bisher nicht entscheiden können. Die russischen Soldaten sind oft schlecht ausgebildet und wenig motiviert, die Ukrainer dagegen gewillt, ihr Land unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen.

"Könnte Kontrollverlust verstärken"

Wladimir Putin wünscht sich das auch von seinen Truppen - der Kreml-Chef muss fehlenden Willen aber oft mit viel Geld kompensieren. Und weil er plant, sich im nächsten Jahr als Präsident für weitere sechs Jahre wiederwählen zu lassen, kann er sich derzeit auch keine weitere große Mobilmachung erlauben. Zumindest keine offene, wie ntv-Russland-Korrespondent Rainer Munz berichtet. "Im kommenden Jahr sind Präsidentschaftswahlen, da will man keine schlechte Stimmung haben. Was passiert, wenn offen mobilisiert wird, hat man im vergangenen Jahr gesehen. Hunderttausende haben das Land verlassen."

Auch Sicherheitsexperte Mölling rechnet nicht mit einer offiziellen Mobilisierung neuer Kräfte. "Das würde wahrscheinlich nach hinten losgehen und die rechten Kräfte in Russland möglicherweise noch viel stärker machen. Das könnte den Kontrollverlust im Kreml verstärken. Ich denke, das ist die Aussicht, die man scheut." 

16-jähriges Mädchen wird aus russischen Umerziehungslagern gerettet

Putin will vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr kein Risiko mehr eingehen. Das erklärt die Anwerbeversuche des russischen Militärs in Zentralasien und der Karibik.

Auf Kuba scheint der Kreml sogar bereits einen Schritt weiter gekommen zu sein. Der Botschafter in Russland ließ jedenfalls zuletzt durchblicken, dass es in Zukunft Möglichkeiten für eine legale Rekrutierung von Kubanern geben könne. Ob dies aufgrund von Druck aus Russland oder alter sozialistischer Brüderlichkeit geschieht, ist nicht bekannt.

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