Der Amtssitz des ungarischen Ministerpräsidenten ist in einem ehemaligen Kloster, dass nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg durch die Deutschen vor wenigen Jahren wieder aufgebaut wurde. In Zeiten der osmanischen Herrschaft war es einst als Moschee genutzt worden. Ein Ort, aufgeladen von der komplizierten ungarischen Geschichte.
Das Interview mit Viktor Orban findet in einer Zeit statt, in der die Stimmung zwischen Ungarn und Deutschland nicht schlechter sein könnte. Ungarische Politiker greifen zu Nazi-Vergleichen, deutsche werfen Orbán diktatorische Züge vor.
Das wichtigste Thema für Orbán, das wird schon nach wenigen Minuten in der Bibliothek seines Amtssitzes klar, ist die Zuwanderung. "Thema Nummer eins", nennt er es selbst. Mit Blick auf die geringe Ausländerquote von unter zwei Prozent in Ungarn sagt er: "Das ist gut so! Wir wünschen keine illegale Zuwanderung, das verhindern wir mit der Schließung unserer grünen Grenze." Er stellt sich im Interview gegen den Versuch anderer EU-Länder wie Deutschland, Geflüchtete fair über die Mitgliedsstaaten der EU zu verteilen: "Einer der wichtigsten Kampfbereiche in Brüssel ist es derzeit, nicht zuzulassen, dass man vom Westen her Migranten nach Ungarn schickt."
Explizit wendet sich Orbán gegen die Zuwanderung von Muslimen nach Ungarn. Es gebe zwar Muslime in seinem Land, aber "ihre Zahl geht über ein bestimmtes Maß nicht hinaus. Wir wollen nicht, dass sie in so großen Massen nach Ungarn kommen, dass das in unserem Leben eine kulturelle Änderung herbeiführt", sagt er. Gefragt nach seiner persönlichen Haltung gegenüber dem Islam und der Frage, wie er reagieren würde, stünde eine seiner Töchter mit einem muslimischen Freund vor ihm, antwortet Orbán: "Ich würde wahrscheinlich noch fragen: Hast du es dir gut überlegt? Und wenn die Antwort ,Ja‘ lauten würde, dann wäre meine Aufgabe zu Ende. Eltern können nicht das Leben ihrer Kinder leben. Ich würde mir wahrscheinlich denken, dass der liebe Gott die Entscheidung getroffen hat. Man liebt seine Kinder, egal, welchen Weg sie einschlagen."
Nach seiner Meinung zur Bundesrepublik gefragt, sagt er, er habe keine Angst vor Deutschland. Aber: "Die Wortwahl der Politiker müsste insgesamt besser werden." Als der stern ihn mit Provokationen konfrontiert, die er selbst gegenüber den Deutschen äußerte, beschwichtigt Orbán: "Lasst uns das etwas lockerer nehmen. Das richtet sich nicht gegen die Deutschen. Wir Ungarn sprechen eine pointiertere Sprache." Dagegen bedauert er etwa eine Äußerung seines Parteikollegen Tamás Deutsch, der für die ungarische Fidesz-Partei im Europäischen Parlament sitzt. Deutsch hatte dem CSU-Politiker und EVP-Fraktionsvorsitzenden, Manfred Weber, im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn Gestapo-Methoden vorgeworfen. "In diesem angespannten Klima kann so ein Satz viel zerstören", sagt Orbán, "er hätte ihn vermeiden sollen." Zu Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich Orbán positiv. Er halte sie für "eine starke Frau, die zwei Kreuze trägt: das der deutschen Politik und das der europäischen Politik. Und sie geht immer aufrecht, Respekt!"

Den Kurs der Europäischen Union kritisiert Orbán scharf. "Europa geht gerade in die falsche Richtung. Das sieht man an den nackten Zahlen: Vor Jahren lag der globale Anteil der EU-Wirtschaftsleistung bei 25 Prozent. Heute ist er auf rund 15 Prozent gesunken." Und Orbán fügt hinzu: "Europas Wettbewerbsfähigkeit müsste steigen. Aber wir nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, dass die EU sich immer stärker in Richtung Verteilung entwickelt."
Am Ende redet Viktor Orbán fast drei Stunden mit dem stern. Das gesamte Interview gibt es hier.