Rechte Diskursstrategien Warum Querdenken und Fridays for Future dieselben Parolen rufen

Querdenken-Protest in Berlin
Die Querdenken-Bewegung setzt sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien gegen Corona-Maßnahmen ein
© Marc Vorwerk/SULUPRESS.DE / Picture Alliance
Seit Wochen ertönen auf den Demonstrationen der Querdenken-Bewegung Lieder und Parolen aus dem linken und grünen Spektrum. Wie funktioniert die Kommunikation der Impfgegner und warum eignen sie sich die Parolen des politischen Gegenübers an?

In ganz Deutschland gehen noch immer jede Woche tausende Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße – trotz Versammlungsverboten und Inzidenzen in Rekordhöhe. Dass die Bewegung auch zwei Jahre nach dem Ausbruch der weltweiten Pandemie besteht, hat sie auch einer organisierten Kommunikationsstrategie zu verdanken, meint der Politologe Johannes Kiess im stern-Interview. Er hat die Querdenken-Szene seit ihrer Entstehung im Frühjahr 2020 beobachtet.

Kiess zeichnet ein differenziertes Bild der Impfgegner:innen: Bei Querdenken würden viele Menschen mitlaufen, die vor allem eine anthroposophisch-esoterische Weltanschauung besitzen, allerdings sind auch immer wieder rechtsextreme Akteure dabei. Was die beiden Gruppen verbinde sei ihre Ablehnung gegenüber der Moderne und ein fragwürdiges Demokratieverständnis. "Die Impfgegner-Bewegung wird nicht von einer einheitlich rechtsextremen Ideologie dominiert. Die Heterogenität war zu Beginn allerdings auch stärker ausgeprägt als jetzt", beschreibt Kiess. In zwei Jahren Pandemie habe sich ein bestimmtes Weltbild verfestigt, dass antisemitische Verschwörungstheorien reproduziert.

Querdenken: Einfluss rechter Kräfte nimmt zu

Rechtspopulisten haben seit dem Frühjahr 2020 aktiv am Erfolg der Organisation mitgewirkt. Sie sind in großer Zahl auf den Demonstrationen der Impfgegner:innen vertreten, organisieren aber auch Spaziergänge und Aktionen gegen die Polizei. So auch am 7. November in Leipzig, als rechte Querdenker Absperrungen durchbrachen, Polizisten mit Gegenständen bewarfen und mit Reizstoff besprühten. Einen besonders großen Teil ihrer Arbeit sieht der Extremismusforscher allerdings in der Kommunikation innerhalb und außerhalb der Bewegung. Die Rechtspopulisten verteilen Informationen an Maßnahmen-Kritiker:innen und kommunizieren zwischen den einzelnen Splittergruppen.

Dabei scheint es, als würden sich die Querdenken-Proteste immer häufiger vom politischen Gegner inspirieren lassen. In Goslar ertönte vor einigen Wochen immer wieder eine Parole, die eindeutig der Fridays for Future Bewegung zugeordnet wird - "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut". Auch auf Spaziergängen in anderen Städten hat sich dieser Ruf inzwischen durchgesetzt. Mehrere Aktivist:innen von Fridays for Future distanzierten sich daraufhin von Querdenken und riefen zu Gegenprotesten auf.

Die linke Szene ist von diesem Phänomen am meisten betroffen. Aus "Gib Aids keine Chance" machte Querdenken "Gib Gates keine Chance". Statt "Refugees Welcome" kleben nun "Unvaccinated Welcome"-Sticker an Berliner Straßenlaternen. Motive, die für Solidarität und Aufklärung stehen, werden für verschwörungstheoretische Parolen zweckentfremdet. In Hamburg spielten die Veranstalter:innen von Querdenken vor einigen Wochen sogar die Internationale, eine Hymne sozialistischer Arbeiterbewegungen aus dem 19. Jahrhundert.

"Gib Gates keine Chance"-Button
"Gib Gates keine Chance"-Button auf einer Corona-Demonstration am Berliner Alexanderplatz
© Christophe Gateau / Picture Alliance

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat diese Strategie der Neuen Rechten bereits vor einigen Jahren in ihrem Blog festgehalten. Anstatt einen Begriff des politischen Gegners komplett zu verbannen, wird dieser mit neuem Inhalt gefüllt. Dabei ist es egal ob dieser völlig konträr zum ursprünglichen Sinn steht. So wird eine Definitionsmacht über geläufige Begriffe und Symbole erstritten. Aus bedeutungsreichen Parolen und Bildern werden auswechselbare Mainstream-Phänomene, wie das Konterfei Che Guevaras.

Die Aufhebung des Links-Rechts-Schemas hat seit vielen Jahrzehnten System im rechten Spektrum. Mit der Aussage es gehe nicht um links oder rechts, fällt es schwer, verschwörungstheoretische Inhalte, wie die der Querdenken-Bewegung, politisch einzuordnen. Rechte Positionen fließen so immer mehr in die Mitte der Gesellschaft, da die Grenzen zwischen linken, konservativen und rechtspopulistischen Inhalten verschwimmen.

Auch universelle Begriffe wie Freiheit, die Unversehrtheit des Körpers und Selbstbestimmung werden bewusst neu besetzt. "Freiheit wird als etwas sehr Egoistisches definiert", erklärt Kiess, "Gesundheit erhält eine darwinistische Lesart, die sehr schnell zu einer natürlichen Auslese führt.“ Die freie Meinungsäußerung wird zu einer Formel Anders-Denkende zu beleidigen und Menschenrechte infrage zu stellen – ohne dafür kritisiert werden zu dürfen. Auch Antisemitismus und Anti-Feminismus erhalten so eine verdrehte Legitimation. "Ich glaube, wenn manche Teilnehmer zurücktreten könnten, würden sie wahrscheinlich selber vor dem erschrecken, was sie da eigentlich äußern." Diese Entwicklung der Debatte bietet Spielraum für Falschinformationen und Wissenschaftsfeindlichkeit.

Feindbild Wissenschaft

Insbesondere in ihrer die Abneigung gegenüber der Wissenschaft ist eine weitere Ähnlichkeit im öffentlichen Auftreten von Querdenken und der Neuen Rechten zu erkennen. Die Autorin Franziska Schutzbach hat sich in ihrem Buch "Die Rhetorik der Rechten" mit der Wissenschaftsfeindlichkeit rechtspopulistischer Bewegungen auseinandergesetzt.

Neben der Abneigung der Moderne, stellt sie ein Zusammenhang zur Anti-Establishment-Historik her. Einerseits wird die Medizin, wie vorher bereits Klimaforschung oder Geisteswissenschaften, politisch kritisiert und als "links-grüne Ideologie" diffamiert, andererseits ergibt sich durch die Förderung mit öffentlichen Mitteln oder der Bill & Melinda Gates Foundation erneut ein Narrativ des "Wir" gegen "die Eliten".

Für Kiess wird die Wissenschaft politisiert, weil sie die moderne Gesellschaft repräsentiert. Für ihn steht daher fest, dass auch nach der Pandemie Bewegungen wie Querdenken den öffentlichen Diskurs mit Falschinformationen  vergiften werden. Rechte Bewegungen brauchen Krisensituationen, um Gehör zu finden. Sollten die Restriktionen Ende März nun tatsächlich fallen, wird man sich ein neues Feindbild suchen müssen. Spätestens dann könnten Verschwörungstheoretiker:innen und Fridays for Future auch inhaltlich öfter aufeinandertreffen.

In den Reihen der Demonstrant:innen gibt es bereits jetzt eine große Fraktion, die eine menschengemachte Klimakatastrophe in Frage stellt. "Im letzten Sommer hat die Leugnung des Klimawandels wieder eine Rolle auf diesen Veranstaltungen gespielt", berichtet Kiess. Das Hinterfragen von Expert:innen und die Abneigung gegenüber wissenschaftlicher Fakten in der Corona-Pandemie haben den idealen Nährboden für Zweifel an der Klimapolitik bereitet. Erst Migration, dann Corona und schließlich der Klimawandel. Es zeigt sich: Das Thema ist auswechselbar, die Ressentiments gegenüber der Moderne bleiben.

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