Deutsche Einheit Oberhof-Grün oder was die Farbwahl der CDU über die Einheit verrät

Labyrinth-Feld in den Umrissen Deutschlands - samt Flüssen und Grenzen
Auch in diesem Labyrinth-Feld zum 25. Jahrestag der Einheit war der einstige Grenzverlauf zwischen Ost und West noch gut zu erkennen
© Peter Kneffel / Picture Alliance / DPA
Drei Wahlen im Osten vor der Brust, aber nur Rhöndorf on my mind? So wird das wohl nichts. Ein Einwurf zum neuen Bericht über den Stand der Deutschen Einheit

Es sind die Kleinigkeiten, die feinen Unterschiede, nicht nur bei französischen Soziologen, auch bei Deutschen in Ost und West. Und darum, versprochen, noch ein vorerst letztes Wort zu „Cadenabbia-Türkis“ und „Röhndorf-Blau“, den neuen Farben der CDU. Was haben wir gelacht. Allerdings aus den falschen Gründen.

Natürlich war es ein Marketing-Gag, die schnöden Töne nach Wohn- und Urlaubsort des ersten bundesdeutschen Kanzlers Konrad Adenauer zu benennen, um sie gleichsam historisch aufzuladen. Ein Gag, der aus Versehen mehr zum Stand der deutschen Einheit verraten hat als manche sozioökonomische Kartengrafik, die uns ab heute wieder tagelang beschäftigen wird. So wie jedes Jahr Anfang Oktober, seit nunmehr 33 Jahren.

Beim CDU Wahlkampf 1990 mischen sogar die kleinsten mit
Beim CDU Wahlkampf 1990 mischen sogar die kleinsten mit
© Jens Rötzsch

Oder doch Karl-Marx-Stadt-Beige?

Kann man machen, ist aber eine interessante Strategie, für eine Partei, die gerade im Osten eine Art Überlebenskampf führen muss. Bei der Sache mit den Farben muss man sich dafür nur für einen Moment vorstellen, die Linkspartei hätte sich entschieden, ihr signalrotes Design (Farbcode HKS 14) um die Farbtöne Karl-Marx-Stadt-Beige und Oberhof-Grün zu erweitern – letztere übrigens benannt nach dem liebsten Urlaubsort von Walter Ulbricht. Natürlich ist das kein politischer Vergleich, schließlich ließ Ulbricht einst die Mauer bauen, Adenauer brachte uns die soziale Marktwirtschaft. Wobei genau dieses „uns“ eben die spezielle Perspektive verrät. Es handelt sich dabei um keine explizit ostdeutsche, es ist eine exklusiv westdeutsche Perspektive.

Konrad wer? Mal abgesehen von Angela Merkel, die früh erkannt hatte, dass sie als ostdeutsche Protestantin in ihrer katholisch geprägten Westpartei nur als Adenauer-Ultra Karriere machen würde, hats der Ossi sonst nicht so mit dem Alten aus Köln. Und ähnlich wenig hat er es mit der sozialen Marktwirtschaft. Sie brachte ihm Coke und nahm ihm den Job. Aber jetzt sollen sie mal nicht so undankbar sein: weil ohne Adenauer kein Wohlstand, ohne Wohlstand West kein Aufbau Ost.

Warum ich mich so aufrege? Das muss ein Missverständnis sein, ich rege mich nicht auf. Fast gar nicht. Ich bin ja kein CDUler, der im nächsten Jahr versuchen muss, drei Ost-Landtagswahlen zu gewinnen. Ich wäre nur sehr dafür, wenn sich alle demokratischen Parteien dabei zumindest so sehr anstrengten, dass nicht am Ende jene Partei als Sieger daraus hervorgeht, die ohnehin seit Jahren stetig stärker wird, die AfD. (Nordhausen mal ausgenommen, liebe Grüße in den Südharz!)

Im feuchten Keller des Gefühlshaushalts

Dieser AfD ist es gelungen, ein typisches Ostgefühl zu revitalisieren. Ein Gefühl, das die SED-Nachfolge- und Linkspartei-Vorgänger-Partei PDS, zuvor zwei Jahrzehnte lang wohl genährt hat, das in den vergangenen Jahren aber eigentlich nur noch in einer feuchten Ecke im Keller des ostdeutschen Gefühlshaushalts vor sich hin müffelte: die erlernte Hilflosigkeit.

Es ist eine praktische Emotion, passiv und entlastend zugleich, gerichtet gegen „die da oben“ und „die in Berlin“. Mit ihr konnte man schon zu DDR-Zeiten jede Verantwortung für das eigene Tun wie einen Mantel an der Garderobe im Kreiskulturhaus abgeben. Und offenbar funktioniert das bis heute.

Ossi ist Ossi, Wessi ist deutsch

Vielleicht ist dieser „Osten“ ja doch keine reine „westdeutsche Erfindung“, wie der Leipziger Germanist Dirk Oschmann in seinem, aus irgendwelchen Gründen inzwischen mehr als 100.000 mal verkauften Buch behauptet – und wenn doch, dann wäre er zumindest eine Erfindung, an die so manche im Osten inzwischen selbst gern glauben. Es muss schließlich einen Grund haben, warum sich noch immer 40 Prozent der Ostdeutschen als Ostdeutsche fühlen, aber nur 14 Prozent der Westdeutschen als Westdeutsche, wie es am Montag in einer ARD-Doku über den Osten hieß. Klingt komisch? Nein, logisch. Sie, die Westdeutschen, sind ja die Deutschen.

Und drüben in Lostdeutschland? Gar nicht so einfach zu sagen. „Entweder Kommunisten oder Faschisten“, wie Springer-Chef Matthias Döpfner einst so schön simste? Oder alles Transformationsopfer, die seit drei Jahrzehnten nichts anderes im Sinn haben, als ihre Ohnmachtserfahrungen zu rekapitulieren. Auf ewig dazu verdammt, der Angleichung zum Weststandard hinterherzuhinken.

Wenig zu vererben, außer Wut

Und so starren wir ab heute wieder für ein paar Tage gemeinsam auf farbig markierte Karten, auf denen sich, je nach ausgewähltem sozioökonomischem Kriterium noch immer erstaunlich exakt der Verlauf der früheren innerdeutschen Grenze nachzeichnen lässt. Bei der Rente, bei Löhnen und Gehältern gibt es eine Angleichung, beim Vermögen natürlich nicht. Der Osten hinkt historisch bedingt hinterher. Es gibt halt wenig zu vererben, außer Wut vielleicht.

Gibt ja immer neuen Anlass. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung 20 Prozent beträgt, sind nur zwölf Prozent der Führungsjobs von Ostdeutschen besetzt. In den Medien sind es acht, in der Wirtschaft 4 und im Militär ganze 0 Prozent. Und laut Elitenmonitor sind es eben nicht die alten ewigen Ossis, die sich daran stören. Es sind die Jüngeren: Dreiviertel der 18-39-Jährigen, die in Ostdeutschland geboren sind, fernab von Röhndorf.

Ein Hellblau namens Hiddensee

Sie wollen mehr. Auch mehr „politische Selbstwirksamkeit“, wie es der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, nennt. Und er meint all jene, die geblieben sind – nicht trotz allem, sondern vielleicht sogar wegen. Wegen einer Heimat zum Beispiel, die sie nicht kampflos der AfD überlassen wollen. Es würde sich lohnen, vielmehr ihnen zuzuhören. Es ließe sich nämlich auch ein anderes, ein optimistischeres Bild vom Osten malen. Die CDU könnte mittun. Sie müsste den Pinsel ja nicht gleich in ein Uckermärker-Grün tunken. Für den Anfang reicht ein Hellblau namens Hiddensee.

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