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Staatshaftung Kriegen Kunden nach der Thomas Cook-Pleite Geld vom Staat? Das sagen zwei Rechtsexperten dazu

Reisebüro Neckermann
Zu den deutschen Töchtern von Thomas Cook gehören auch die Marken Signature, Thomas Cook Signature Finest Selection, Neckermann Reisen, Öger Tours, Bucher Reisen und Air Marin.
© Ina Fassbender / AFP
Trotz Insolvenzversicherung: Im Falle der Thomas-Cook-Pleite müssen Betroffene um ihr Geld bangen, weil die Versicherungssumme nicht für alle Urlauber ausreicht. Können Geschädigte auch Geld vom Staat erwarten? Zwei Rechtsexperten beziehen Stellung.
Von Rechtsanwalt Roosbeh Karimi und Dipl.-Juristin Sabine Fischer-Volk

Die deutschen Thomas Cook Gesellschaften haben am 25. September 2019 Insolvenz angemeldet. Diese Insolvenz ist allerdings mehr als die Pleite irgendeines Touristikunternehmens. Im 19. Jahrhundert erfand der Baptistensohn Thomas Cook eher zufällig die Pauschalreise – ein Rundum-sorglos-Paket, das heute meist aus Flug und Hotel mit Verpflegung besteht. 1841 organisierte Cook für 570 Personen eine Bahnreise von Leicester ins 20 Kilometer entfernte Loughborough.

Daraus entwickelte sich in Jahrzehnten ein globaler Reisekonzern mit 22.000 Angestellten, der im vergangenen Jahr 19 Millionen Reisende in 160 Länder der Welt brachte und zuletzt unter 1,7 Milliarden Pfund Schulden litt. Diese stammten zum großen Teil noch aus der Unternehmenskrise 2011 und engten den Konzern in seinen finanziellen Möglichkeiten immer mehr ein. Die Reisebranche blickte daher schon seit längerem mit großer Sorge auf den Branchenriesen.

Doch wähnten sich gerade Pauschalurlauber nach den Airline-Pleiten der vergangenen Jahre wie Air Berlin, Niki Deutschland, Germania und Co. in Sicherheit, da sich Reiseveranstalter in Deutschland gegen Insolvenz versichern müssen, Airlines jedoch nicht. Als beispielsweise nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull 2010 eine Aschewolke den Flugverkehr über Europa lahmlegte, sorgten die Reiseveranstalter für Ersatzflüge und entschädigten die Urlauber. Wer hingegen auf eigene Faust gebucht hatte wie sog. Rucksacktouristen, musste alles selbst organisieren und ging am Ende leer aus.

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Leider liegt beim deutschen Insolvenzschutz für Pauschalreisen der Teufel im Detail und Thomas Cook-Urlauber dürften daher vom Rundum-Sorglos-Paket Pauschalreise nachhaltig enttäuscht sein, da sie auf einem großen Teil des Reisepreises sitzen bleiben werden.

Insolvenzschutz: Zu niedrige Höchstgrenze

Obwohl Art. 7 der ersten RL über Pauschalreisen (90/314/EWG) –PR-RL I- ohne Ausnahme keine Höchstbeträge zuließ, normierte der deutsche Gesetzgeber damals dennoch die bis heute geltende Obergrenze von 110 Millionen. Politiker, Verbraucherverbände und Reiserechtler machten seither wiederholt darauf aufmerksam, dass der Höchstbetrag (jetzt in §  651 r Abs. 3 BGB) von 110 Millionen Euro pro Geschäftsjahr (vom 1.11. bis 31.10.) deutlich angehoben werden muss und zwar auf mindestens 250 Millionen Euro. Hochrechnungen des Verbandes unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) zufolge wären vermutlich sogar 300 bis 400 Millionen Euro nötig. Denn dass 110 Millionen Euro pro Geschäftsjahr bei der Pleite eines Branchenschwergewichts wie jetzt Thomas Cook ausreichen, wurde vielfach bezweifelt. Zu Recht wie sich jetzt zeigt:

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin rechnete jüngst zur Thomas Cook-Pleite vor: Wenn 140.000 Urlauber gestrandet sind und der Rückflug pro Person 500 Euro kosten würde, dann wären schon 70 Millionen von den 110 Millionen Euro weg. Hinzu kommen dann noch die Ansprüche Hunderttausender Kunden, die ihre Reise abbrechen mussten und deshalb einen Teil des Reisepreises zurückbekommen. Andere haben an ihre Hotels vor Ort noch zusätzliche Zahlungen leisten müssen, weil diese von Thomas Cook keine Zahlungen erhalten haben.

Auch solche Zwangszahlungen sind im Reiseinsolvenzschutz mitversichert. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 651 r Abs. 1 Nr. 2 BGB. Danach hat der Veranstalter für den Fall seiner Zahlungsunfähigkeit neben dem gezahlten Reisepreis außerdem abzusichern, dass dem Reisenden vom Insolvenzversicherer Zahlungen erstattet werden, die der Urlauber durch Zahlungsaufforderungen der Leistungsträger des Veranstalters wie Hotels, Mietwagenfirmen usw. an diese leisten muss. Denn solche Zahlungen sind eine Folge der  Zahlungsunfähigkeit des Veranstalters, der die Entgeltansprüche seiner Leistungsträger nicht mehr erfüllen kann. Betroffene Urlauber sollten sich solche Zahlungen auf jeden Fall vom Hotel schriftlich bestätigen lassen. Auch Adressen von Mitreisenden, die solche Zwangszahlungen bestätigen können, sind hilfreich.

Hinzugerechnet werden müssen auch Ansprüche jener Urlauber, die ihre Reise noch gar nicht angetreten haben, den Reisepreis aber bereits vollständig bezahlt oder eine Anzahlung geleistet haben. Es ist daher mehr als wahrscheinlich, dass viele Thomas Cook-Urlauber auf einem großen Teil ihrer Kosten sitzen bleiben werden.

Insolvenzschutz im Falle erhöhten Risikos

Der Nachfolgerechtsakt, die RL (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (PR-RL II), dagegen fordert zwar in Erwägungsgrund 39, dass Reisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang zu schützen sind, räumt jedoch den EU-Mitgliedsstaaten diesbezüglich einen Gestaltungsspielraum ein. So spricht der Wortlaut des Erwägungsgrundes 40 dafür, dass ein Haftungshöchstbetrag zulässig ist (so auch Staudinger in RRa 2015, 281).

Dennoch, bezüglich der PR-RL I rügte der EuGH in der Rechtssache Rechberger (NJW 1999, 3181; bestätigt durch EuGH am 16.1.2014, C-430/13, BeckRS 2014, 80245), eine unzureichende Umsetzung der RL bei der damaligen österreichischen Risikobegrenzung von 5 Prozent des Umsatzes eines Veranstalters im Quartal des Vorjahres. Daher kommt durchaus eine Staatshaftung wegen unzureichender Umsetzung der RL in Betracht, wenn Reisende aufgrund der Haftungsbegrenzung nur anteilig entschädigt werden.

Eine derartige am Umsatz des Veranstalters orientierte Insolvenzsicherung führt Erwägungsgrund 40 der PR-RL II zwar auf. Dennoch heißt es dort: "Die erforderliche Abdeckung kann zwar anhand der aktuellen Geschäftszahlen wie etwa des Umsatzes im vorhergehenden Geschäftsjahr berechnet werden, doch sollten die Veranstalter verpflichtet werden, den Insolvenzschutz im Falle eines erhöhten Risikos einschließlich eines erheblichen Anstiegs des Verkaufs von Pauschalreisen anzupassen."

Anspruch auf Staatshaftung

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die Vorschriften einer Richtlinie von den Mitgliedsstaaten in der Weise umgesetzt werden, dass sie verbindlich und konkret, bestimmt und klar sind und dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen (EuGH, NJW 1996, 3141). Eine solche starre Haftungsbegrenzung erscheint aber bei einem Großschaden wie den gleichzeitigen Insolvenzen eines Großveranstalters mit mehreren Töchtern als Reiseveranstalter, die alle bei einem einzigen Absicherer versichert sind, nicht mehr richtlinienkonform. 

Der Anspruch auf Staatshaftung kann vor den deutschen Gerichten geltend gemacht werden. Dieses kann dann den europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen, um zu klären, ob die Bundesrepublik Deutschland gegen europäisches Recht verstoßen hat. Ist dies der Fall, wird das im Ergebnis zu berechtigten Schadenersatzansprüchen des einzelnen Thomas Cook Kunden führen. Besser wäre es sicherlich, der Bund würde die bereits geforderte freiwillige Übernahme der Ausfallschäden erklären.

Nicht nur Fluggesellschaften (und Banken) sollten mit Krediten gerettet werden, sondern auch gänzlich unverschuldet geschädigte Reisekunden! Wahrscheinlich ist das nicht. Hoffnung schöpfen können Geschädigte auch aus einer jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Das Gericht verwies in einer anderen Konstellation ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Staatshaftung:

"Der Gerichtshof hat darüber hinaus befunden, dass eine nationale Regelung die Verpflichtungen aus dieser Bestimmung nur dann ordnungsgemäß umsetzt, wenn sie unabhängig von ihren Modalitäten bewirkt, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters für die Fluggäste die Erstattung aller von ihnen gezahlten Beträge tatsächlich sichergestellt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a., C-140/97, EU:C:1999:306, Rn. 64, sowie Beschluss vom 16. Januar 2014, Baradics u. a., C-430/13, EU:C:2014:32, Rn. 38).

Andernfalls verfügt, wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, der betroffene Reisende jedenfalls über die Möglichkeit, eine Klage gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Ersatz des Schadens zu erheben, der ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2010, Fuß, C-429/09, EU:C:2010:717, Rn. 45 bis 48 und die dort angeführte Rechtsprechung)." EuGH, 10.07.2019 – C-163/18, Rn. 42 und 43

Die Grünen fordern Höchstbetrag von 300 Millionen Euro

Auch die Bundestagsfraktion der Grünen verlangte jüngst eine bessere Absicherung für Reisende. "Es hat sich gezeigt, dass die Absicherungssumme lange nicht ausreicht", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, den jährlichen Höchstbetrag, mit dem Versicherer im Falle von Insolvenzen haften, auf mindestens 300 Millionen Euro zu erhöhen und gegebenenfalls andere Instrumente wie einen Absicherungsfonds zu prüfen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte vor drei Jahren angekündigt, ein Gutachten zu dieser Absicherungssumme einzuholen, d. h. ob und um wieviel der Höchstbetrag angehoben werden muss. Bis heute liegt kein Gutachten vor.

Für deutsche Anbieter wäre das sogar ein Wettbewerbsvorteil, meint Volker Böttcher, ein ehemaliger Vorstand bei TUI, dem größten europäischen Reiseveranstalter und Thomas-Cook-Konkurrenten. "Die aktuelle Krise ist für die Pauschalanbieter auch eine große Chance", sagt er. "Wenn betroffene Kunden ihre Reisekosten zurückerhalten, steigt das Vertrauen in die Branche. Dann hat man gute Argumente gegen die Buchung einzelner Bausteine im Internet zu Hause."

Was britische Reisende angeht, so sind diese bei einer über Thomas Cook gebuchten Pauschalreise automatisch versichert. Dieser Schutz nennt sich ATOL, also Air Travel Organisers' Licensing. Denn jedes britische Reiseunternehmen, das Pauschalreisen und Flüge verkauft, ist gesetzlich verpflichtet, Urlauber damit abzusichern.

Während bei Pauschalreisenden aus Deutschland im Fall einer Insolvenz des Veranstalters ein Versicherer einspringt, bezahlt in Großbritannien der Staat die Rückholung gestrandeter Urlauber aus dem Ausland.

In Frankreich wird diese Verpflichtung aus der PR-RL II durch einen Garantiefonds mit dem Namen "Association Professionnelle de Solidarité du Tourisme" (APST) umgesetzt.

Dieser Fonds, der durch Beiträge französischer Reisebüros, darunter Thomas Cook, finanziert wird, verfügt über rund 20 Millionen Euro zur Deckung der Kosten für die Rückführung von Reisenden. Die Mittel können auch die Kosten decken, die sich aus einer verspäteten Heimreise ergeben (zusätzliche Unterkunft, Mahlzeiten usw.). Aber auch hier gibt es Einschränkungen: Sobald die französische Niederlassung von Thomas Cook in Konkurs ginge, könnten die französischen Kunden zwar von der Rückführungsgarantie profitieren. Für jene Kunden allerdings, die bereits für eine zukünftige Reise bezahlt haben, aber noch nicht abgereist sind, sieht die APST keine Rückerstattung vor.

Roosbeh Karimi und Dipl.-Juristin Sabine Fischer-Volk sind von der Kanzlei Karimi Rechtsanwälte

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