EM-Fernsehkritik, Tag 15 Béla Réthy und die russische Kälte

  • von Malte Krebs
Klare Sache: Holland gewinnt! In aller Ruhe konnte man das Spiel der potenziellen deutschen Final-Gegner verfolgen - und das in einem sonnigen Biergarten. Alles gut also. Doch der weitere Spielverlauf sorgte für eine Riesenüberraschung. Selbst ZDF-Urgestein Béla Réthy war da mit seinem Latein am Ende.

Das Wetter meinte es diesmal richtig gut mit ihnen: Kerner, Klopp und Meier ließen sich von der lauen Abendsonne am Bodensee beleuchten, während sie die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren ließen. Die deutsche Mannschaft hat zu ihrer Form gefunden, eine Revanche gegen Kroatien wird es diesmal nicht geben und der deutsche Halbfinalgegner heißt Türkei - kaum Neuigkeiten also von der Bregenzer ZDF-Bühne. Und weil das Wetter nicht nur dort gut war, konnte man sich getrost den Rest der uninspirierten Vorberichterstattung ersparen, und rechtzeitig zum Spielbeginn in einen Biergarten fahren.

Großbildleinwand, Grillstation und viele Gäste - die Hamburger Freiluft-Bar schien an diesem Samstagabend der ideale Ort, um sich über den potenziellen Final-Gegner der deutschen Mannschaft zu informieren. Wie im Basler Stadion waren auch hier die meisten der Besucher für die Niederländer - mit Außenseiter-Sympathien für die Russen. "Zwei zu eins für Holland" lautete die gängige Prognose.

Prächtige Stimmung im Biergarten

"Dö, dö dö dö dö dö dö dö döööööö" - spätestens beim Basslauf der "Seven Nation Army" von den White Stripes, der sich ungeachtet der offiziellen EM-Song-Bemühungen von Christina Stürmer und Shaggy als inoffizielle Hymne durchgesetzt hat, war die Stimmung unter den Gästen im Biergarten prächtig. Nun waren auch die letzten aufgewacht, denen der Elfmeter-Krimi des Vortags und das nächtliche Freuden-Hupkonzert der türkischen Fans noch in den Knochen steckte. Da machte es auch nichts, dass der unvermeidliche ZDF-Haudegen Béla Réthy das Spiel kommentierte.

Am Nebentisch hatten sich einige Briten versammelt, offenbar angelockt vom kontinentalen Fußball-Fieber aus ihrer EM-abstinenten Heimat. Doch die Vorfreude währte nicht lange. Die als "Europameister der Vorrunde" favorisierten Niederländer spielten partout nicht so, wie sie sollten.

"Ein Tor würde dieses Spiel verändern"

Nach gut 20 Minuten hatten die Oranjes ihre ersten Torchancen. Viel Zeit, die man im Biergarten mit Bier, im ZDF mit Reden überbrückte. Und so machte sich Réthy Gedanken über die beiden niederländischen Trainer, wog ab zwischen dem alten und dem jungen und stellte eine "Metamorphose des Marco van Basten" fest - vom Über-Tainer zum blassen Bondscoach. Doch auch er kam letztlich nur zu der schlüssigen Erkenntnis: "Ein Tor würde dieses Spiel verändern."

Wie Recht er hatte! Doch es wollte einfach keins fallen. Aus Mangel an übertragenswerten Bildern vom Rasen schwenkte die Bildregie immer häufiger ins Basler Stadionpublikum. Auch der Kommentator ließ die Blicke über die Zuschauerränge schweifen und landete schließlich bei einer blonden Schönheit: "Am Rand steht Sylvie van der Vaart - auch bei ihr steht es null zu null"

Zu viel russische Seele dabei

Nach dem 1:0 der Russen, das mit dankbarem Applaus bedacht wurde, häuften sich die Chancen für den Außenseiter. Réthy hatte nun endlich wieder etwas, worüber er reden konnte. "Entzaubert" seien die Niederländer - eine Beschreibung, die sich im Laufe dieser EM zu einem Lieblingswort der Kommentatoren entwickelt hat. Auch bei den Russen kramte er tief in der Stereotypen-Kiste: "Es fehlt ihnen an der russischen Kälte vor dem Tor - da ist zu viel russische Seele dabei!"

Ein ereignisarmes Spiel ging in die Verlängerung, und Réthy gingen so langsam die Worte aus. "Die bleierne Stimmung auf dem Spielfeld überträgt sich auf die Ränge, die Oranjes hier in Basel schweigen." Dennoch: "Ein an sich fröhliches Volk", wie der ZDF-Mann beteuerte.

Meiers Vortrag endete im Nichts

Wie hier gingen viele seiner Erklärungsversuche ins Leere. Umstrittene Schiedsrichter-Entscheidungen konnte er weder sich noch den Zuschauern erklären, überließ die Regelauslegung lieber seinem ZDF-Kollegen: "Ein Fall für Urs Meier". Entsprechend ließ es sich der Schweizer in Kerners Nachberichterstattung nicht nehmen, nun alle Klarheiten zu beseitigen. Sein Vortrag über "grobes Foulspiel", "taktisches Foulspiel" und das "Kommunikations-System der Schiedsrichter" endete jedoch ebenfalls im Nichts.

Doch das wollte schon niemand mehr hören. Stattdessen: Bier austrinken, zahlen, Kerner, Klopp und Meier drei gute Männer sein lassen und ab nach Hause. Und wem dort nichts Besseres einfiel, als erneut den Fernseher einzuschalten und ausgerechnet die ZDF-Comedy "Nachgetreten" zu sehen - dem war dann auch nicht mehr zu helfen.

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